Zum Austausch der SAICM Akteur*innen in Deutschland trafen sich 73 Vertreter*innen von staatlichen Institutionen, Industrie, Wissenschaft, internationalen Organisationen und Zivilgesellschaft bei einem Online-Workshop zum Thema „Das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (kurz Lieferkettengesetz) und Chemikaliensicherheit im Textilsektor“ gemeinsam mit BMU und UBA.
Nachdem das Bundeskabinett den Gesetzentwurf am 03.03.2021 auf den Weg gebracht hatte, einigten sich die Koalitionsfraktionen am 27.05. auf die genaue Formulierung des „Gesetzes über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten zur Vermeidung von Menschenrechtsverletzungen in Lieferketten“. Wenige Tage vor dem Workshop, am 11.06., ist das Lieferkettengesetz mit einigen Änderungen im Bundestag beschlossen worden.
Das Gesetz, das 2023 in Kraft treten soll, verpflichtet große Unternehmen mit mehr als 3.000 Beschäftigten, die Einhaltung von Menschenrechten, Arbeits- und Umweltstandards entlang ihrer Lieferketten zu überwachen. Auch ausländische Unternehmen zählen dazu, wenn sie größere Niederlassungen und Beschäftigtenzahlen in Deutschland haben. Ab 2024 fallen alle Unternehmen mit mehr als 1.000 Beschäftigten in den Geltungsbereich. Damit wären rund 4.800 Unternehmen in Deutschland von dem neuen Gesetz betroffen.
Chemikalien im Textilsektor
Rahel Lemke vom Bündnis für nachhaltige Textilien, dessen Sekretariat bei der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) angesiedelt ist, berichtete über Herausforderungen und Lösungsansätze der Chemikaliensicherheit zur Erfüllung von Sorgfaltspflichten. Chemikalien spielen besonders in den sog. Nassprozessen bei der Textilproduktion eine Rolle, hier wird besonders das Abwasser belastet, aber auch in den Verarbeitungsprozessen durch die Emissionen der Abluft. Zu den Herausforderungen gehören uneinheitliche und unzureichende Umweltgesetzgebungen sowie intransparente Lieferketten. Im Textilbündnis arbeiten Unternehmen und andere Akteure gemeinsam an verschiedenen Lösungsansätzen wie z.B. der Substitution gefährlicher Chemikalien über eine MRSL (Manufacturing Restricted Substance List), Sicherheitsdatenblätter und verbesserter Inventarisierung von Chemikalien. Produktionsintegrierte Ansätze ergänzen das Angebot von Schulungen und Trainings für Arbeiter*innen. Zur Reduktion von Emissionen sollten Abwasser- und Klärschlammmanagement verbessert und zertifiziert werden. Das Textilbündnis erhofft sich vom Lieferkettengesetz, dass die Bündnismitglieder durch ihre bereits vorhandene Praxis Vorreiter werden. Zudem sollte die Bedeutung des Sorgfaltspflichtenansatzes, von Einkaufspraktiken, sowie von Kooperation und Transparenz entlang der Lieferketten zunehmen. Darüber hinaus könnte das Gesetz die Entwicklung resilienterer und nachhaltigerer Lieferketten beschleunigen. Frau Lemkes Beitrag finden Sie im Videomitschnitt der Veranstaltung ab Minute 05:49.
Die Bedeutung des Lieferkettengesetzes für Chemikaliensicherheit
Malte Drewes vom Helpdesk Wirtschaft und Menschenrechte der Agentur für Wirtschaft und Entwicklung gab einen kurzen Überblick über das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, dessen behördliche Durchsetzung durch das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) erfolgen wird, z.B. durch Bußgelder oder den Ausschluss von öffentlicher Beschaffung bis zu drei Jahren. Hauptthema des Vortrags waren die umweltbezogenen Risiken, die gem. § 2 Abs. 4 des Gesetzes erfasst werden, nämlich Risiken nach den Übereinkommen von Minamata (Quecksilber), Stockholm (persistente organische Schadstoffe, POP) und Basel (gefährliche Abfälle). Darüber hinaus fordert das Gesetz ein wirksames und angemessenes Risikomanagementsystem, welches neben einer Grundsatzerklärung, in der sich die Unternehmen zu Menschenrechten und Umweltschutz bekennen, auch eine Risikoanalyse, Präventions- und Abhilfemaßnahmen, Berichterstattung und Kommunikation sowie Beschwerdemechanismen vorsieht. Beispiele für Anwendungsbereiche im Textilsektor sind Baumwollanbau und -ernte, bei denen der Einsatz von Pestiziden die prekären Arbeitsbedingungen der teils minderjährigen Feldarbeiter*innen zusätzlich beeinträchtigt. Ferner werden in Gerbereien z.B. giftige Chemikalien eingesetzt, denen die Arbeitenden häufig schutzlos ausgesetzt sind. Generell sollten umweltbezogene Sorgfaltspflichten wie das Management von Klärschlämmen und Abwässern sowie Arbeitsschutz und Menschenrechte integriert werden. Dabei bleibt die Umsetzung von Sorgfaltspflichten ein kontinuierlicher Prozess, in dem immer neue, aktualisierte Informationen verarbeitet werden müssen. Herr Drewes lud interessierte Stakeholder dazu ein, sich beim Helpdesk WiMR kostenfrei und vertraulich beraten zu lassen und auch die anderen Angebote zur Unterstützung in diesen Prozessen wahrzunehmen. Den Beitrag von Herrn Drewes finden Sie im Videomitschnitt der Veranstaltung ab Minute 24:10.
Chemikalienmanagement und Grüner Knopf
Topsy Rödler stellte das staatliche Siegel Grüner Knopf für nachhaltige Textilien vor, das das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) entwickelt hat. Das Siegel vereint Anforderungen an die Herstellung von Produkten, wie sie von existierenden Siegeln bekannt sind, mit Anforderungen an die unternehmerischen Sorgfaltspflichten von Unternehmen. Die existierenden Siegel für Produkte werden auf ihre Glaubwürdigkeit hin geprüft. Außerdem müssen Kriterien erfüllt werden, die soziale Aspekte der Konfektionierung (Schneiden, Nähen etc.) und ökologische Aspekte von Nassprozessen (Bleichen, Waschen, Drucken etc.) adressieren. Die Anforderungen an die unternehmerischen Sorgfaltspflichten beruhen auf den Anforderungskatalogen der Vereinten Nationen, der OECD und der Bundesregierung. Ihre fünf Kernelemente finden sich auch im neuen Lieferkettengesetz wieder. Zu den Branchenrisiken im Textilsektor gehört auch der Einsatz von gefährlichen Chemikalien. Dabei ist nicht nur der Chemikalienanteil im finalen Produkt von Belang, sondern auch der sichere Einsatz von Chemikalien in Zulieferungen und Produktion. Zu den Kriterien des verantwortungsvollen Chemikalienmanagements gehört bspw. der Verzicht auf besonders besorgniserregende Chemikalien d.h. dass chemische Stoffe, die auf der Kandidatenliste der EU REACH-Chemikalienverordnung gelistet sind sowie H-Sätze (Sicherheitshinweise für Gefahrstoffe) definiert durch das Global Harmonisierte System zur Einstufung und Kennzeichnung von Chemikalien (GHS) die bei der Produktion von zertifizierten Produkten ausgeschlossen werden. Aktuell werden die Anforderungen des Grünen Knopfs überarbeitet; so sollen etwa der Umweltmanagementansatz gestärkt und Emissionen, Rohstoffverbrauch und -effizienz sowie die Abfallentsorgung stärker berücksichtigt werden. Auch die Anforderungen des Lieferkettengesetzes sollen dafür beachtet werden. Möglicherweise könnte der Grüne Knopf zukünftig als Nachweis für „Konformität“ mit dem Gesetz etabliert werden. Frau Rödler lud die Teilnehmer*innen dazu ein, sich an der öffentlichen Konsultation zur Überarbeitung des Standards zu beteiligen. Frau Rödlers Beitrag finden Sie im Videomitschnitt der Veranstaltung ab Minute 38:50.
Paneldiskussion
Die Paneldiskussion startete mit Frau Johanna von Stechow, die im Bereich Corporate Responsibility bei Tchibo die Umweltthemen betreut. Das Unternehmen befürwortet das Lieferkettengesetz und hält es für effektiver als freiwillige Selbstverpflichtungen. Tchibo schloss sich 2014 der Detox Kampagne von Greenpeace an. Die eigene Verantwortung geht über das Produkt hinaus und man muss Umweltschäden entlang der Lieferkette ebenso betrachten wie den Anteil schädlicher Chemikalien im Endprodukt. Tchibo habe gelernt, dass es durchaus möglich ist, Verantwortung für die Bedingungen in der tieferen Lieferkette zu übernehmen und spricht sich für proaktive Kontrollen aus und nicht nur anlassbezogen, wie im Lieferkettengesetz vorgesehen. Zielführender als Kontrollen sind aber Maßnahmen zur Unterstützung der Unternehmen vor Ort. Mit Blick auf das Chemikalienmanagement prüft Tchibo mittlerweile nicht mehr nur die Abwässer, sondern vermehrt den Chemikalieninput und die -inventare.
Von den anderen Beteiligten wünschte sich das Panel u.a. eine größere Kooperationsbereitschaft der Unternehmen, auch von kleinen und mittleren Unternehmen, die sich von den Grundprinzipien des Gesetzes leiten lassen sollten. Die Wirtschaft ist nun am Zuge und muss das Gesetz und die Sorgfaltspflichten mit Leben füllen. Darüber hinaus hofft Frau von Stechow auf eine europäische Regelung, die nach Möglichkeit über die Anforderungen des deutschen Gesetzes hinausgehen sollte. Engagement in Brancheninitiativen wie dem Bündnis für nachhaltige Textilien können Unternehmen dabei unterstützen Wissen und Expertise zu kanalisieren und Lösungsansätze zu vergemeinschaften. Zertifizierungen wie der Grüne Knopf setzen die geleistete Arbeit von Unternehmen in Wert und machen diese für Verbraucher*innen sichtbar. Frau von Stechows Beitrag und die Paneldiskussion finden Sie im Videomitschnitt der Veranstaltung ab Minute 57:25.
Reflektionen des Nationalen SAICM Focal Point
Dr. Hans-Christian Stolzenberg vom Umweltbundesamt betonte die Bedeutung des Nexus von Menschenrechten, Arbeitsstandards und Chemikaliensicherheit. Dass auch die Erfüllung von Sorgfaltspflichten auf systematischen Risikoanalysen fußt, ist eine bemerkenswerte Analogie zu Risikobewertungen als fester Bestandteil der Chemikaliensicherheit. Immer wieder zeigt sich Kooperation als Schlüssel zum Erfolg, und dass Multi-Stakeholder und Multi-sektorale Ansätze wie SAICM solch ergebnisorientiertes Zusammenwirken fördern. Ebenso wichtig ist die Anerkennung, dass verantwortungsvoller Umgang mit Chemikalien Prozesse stetiger Weiterentwicklung erfordert. Die heutige Veranstaltung sah Dr. Stolzenberg als weiteren Beleg für den Wert von Dialog und Kooperation. Es ist ermutigend, wie Vorreiter*innen zeigen was machbar ist und so auch zur Verrechtlichung neuer zukunftsweisender Standards beitragen können. Auch Kampagnen wie Detox von Greenpeace haben zu nachhaltigen Fortschritten beigetragen. Abschließend hob Dr. Stolzenberg noch einmal hervor, wie sehr die nachhaltige Entwicklung entschlossene Zusammenarbeit erfordert, die zu weiteren Fortschritten auch bei Chemikalienmanagement und unternehmerischen Sorgfaltspflichten führt. Dr. Stolzenbergs Reflektionen finden Sie im Videomitschnitt der Veranstaltung ab Minute 1:09:35.
Abschluss und Ausblick
Moderatorin Dr. Minu Hemmati dankte allen Beteiligten und rief dazu auf, sich untereinander zu vernetzen und sich auch in den laufenden SAICM Prozess einzubringen. Die Multi-Stakeholder Plattform SAICM und der aktuell laufende Prozess zur Weiterentwicklung von SAICM bietet zahlreiche Gelegenheiten zur Mitgestaltung. Frau Hemmati kündigte an, dass weitere Online-Workshops aus SAICM-Perspektive in Deutschland durchgeführt werden. Alle Stakeholder sind eingeladen, sich mit Frau Maro Luisa Schulte (schulte [at] adelphi [dot] de) in Verbindung zu setzen, wenn sie Themenvorschläge für die Workshops haben und/oder zu den Workshops beitragen möchten (z.B. durch die Präsentation ihrer Arbeit oder den Austausch von Informationen zu einem bestimmten Thema). Voraussichtlich findet der nächste Workshop im September zum Thema Arzneimittel in der Umwelt statt.
Ferner konnten alle Stakeholder am Berlin Forum für Chemikalien und Nachhaltigkeit (Berlin Forum on Chemicals and Sustainability – Ambition & Action Towards 2030) teilnehmen. Bundesumweltministerin Svenja Schulze lud am 7. und 8. Juli zu dieser virtuellen Konferenz ein. Vertreter*innen von Regierungen, internationalen Organisationen, Wirtschaft und Zivilgesellschaft tauschten sich darüber aus, wie das globale Chemikalienmanagement künftig gestaltet werden soll. Das Forum setzte sich aus einem Minister*innen- (7. Juli) und einem Stakeholder-Dialog (8. Juli) zusammen und konnte für registrierte Teilnehmer*innen über die Veranstaltungsplattform live verfolgt werden. Eröffnet wurde die Veranstaltung durch Reden VN-Generalsekretärs und der Bundeskanzlerin.
„Für Mensch und Umwelt“ ist der Leitspruch des UBA und bringt auf den Punkt, wofür wir da sind. In diesem Video geben wir Einblick in unsere Arbeit.
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