Gewässertyp 2011 - Steiniger, kalkarmer Mittelgebirgsbach

Bach der um moosbedeckte Steine fließt. zum Vergrößern anklicken
Die Murg im Nordschwarzwald - Baden-Württemberg
Quelle: Matthias Gorka / UBA

Der Gewässertyp des Jahres 2011 ist der steinige, kalkarme Mittelgebirgsbach. Dieser Gewässertyp kommt in Deutschland am häufigsten vor und wird in der Fachsprache als „Grobmaterialreicher silikatischer Mittelgebirgsbach (Typ 5)“ bezeichnet.

Inhaltsverzeichnis

 

Kurzbeschreibung „steiniger, kalkarmer Mittelgebirgsbach“

Im Kartendienst zum Gewässertyp des Jahres finden Sie alle Fließgewässer, Seen, Ästuare (⁠Übergangsgewässer⁠) und Küstengewässer. In den Farben ihrer Zustandsklassen sind die Gewässer des „Gewässertyps des Jahres 2011“ hervorgehoben. Sie können sich für das Gewässer, das Sie interessiert, weitere Angaben zum Zustand der Gewässerflora und –fauna abrufen. Vielleicht gehört ja ein Gewässer, das Sie kennen, zum Gewässertyp des Jahres!

Der steinige, kalkarme Mittelgebirgsbach ist in Deutschland mit über 18.000 km Fließstrecke der am häufigsten vorkommende ⁠Fließgewässertyp⁠. Besonders weit verbreitet ist er in den deutschen Mittelgebirgsregionen über kristallinen Grundgebirgen in Höhen zwischen 250 und 1000 m über N.N. Dazu gehören der Harz, der Thüringer Wald, das Erzgebirge, der Frankenwald, der Schwarzwald, der Bayerische Wald und das Rheinische Schiefergebirge.

Gemeinsame Eigenschaften

  • Einzugsgebietsgröße: kleiner als 100 Quadratkilometer
  • Gefälle: 10 - 50 Promille
  • Strömung: typischer Wechsel von flachen, turbulent schnell überströmten, steinig-kiesigen Bereichen und tieferen Stellen, mit ruhig fließender Strömung
  • Sohlmaterial: es dominieren Steine und Kiese, in ruhigen Abschnitten Sand
  • Typische Habitate: gefällereiche, steinige Fließstrecken, flach überströmte Schotter- und Kiesbänke, ausgeprägtes Lückensystem der Stromsohle (⁠Interstitial⁠), Totholzansammlungen, unterspülte Ufer mit Wurzelbärten und tiefen Aushöhlungen
  • Lebensgemeinschaft: typischer Forellenbach, große Artenvielfalt v.a. unter den Wasserinsekten, kaum höhere Wasserpflanzen, dafür Wassermoose
  • Ökologischer Zustand  im Jahr 2009: circa 20 Prozent im sehr guten beziehungsweise guten , 43 Prozent im mäßigen, 27 Prozent im unbefriedigenden und 10 Prozent im schlechten ökologischen Zustand
  • Hauptbelastungsfaktoren: Querbauwerke, verbaute Ufer, keine Gehölze am Ufer, Nährstoffeinträge insbesondere aus der Landwirtschaft
<>
 

Lebensraum

Die steinigen, kalkarmen Mittelgebirgsbäche haben relativ kleine Einzugsgebiete unter 100 km 2 . Der Bachquerschnitt ist natürlicherweise meist flach. Im Bachverlauf wechseln flache, schnell fließende mit tieferen, stillen Abschnitten. Aufgrund des hohen Gefälles von 10-50 ‰ fließt das Wasser schnell und turbulent. Im Jahresverlauf treten große Abflussschwankungen auf. Besonders nach der Schneeschmelze und Gewittern kann es zu Hochwässern kommen. Das Sohlmaterial besteht aus Gesteinen verschiedener Größen. Steine und Kiese dominieren. Aber auch massive Blöcke können auftreten, die wegen ihres Gewichtes kaum im Gewässer transportiert werden. Sie bestimmen das charakteristische Bild des Mittelgebirgsbaches vom Typ 5. Typisch für die Gewässersohle ist ein großes Lückensystem zwischen den Steinen, das zahlreichen Organismen als Lebensraum dient. In den strömungsberuhigten Bachabschnitten sammelt sich feinkörniges Material wie Sand an. Die Gesteine im ⁠Einzugsgebiet⁠ entstammen oft kristallinen Grundgebirgen und sind in der Regel kalkarm, hart und sehr verwitterungsbeständig. Typisch sind Granite, Gneise, Schiefer, Basalte und Gabbro.

Natürlicherweise sind die Bäche sehr artenreich. Sie beherbergen eine Vielzahl unterschiedlicher Wasserinsekten, wie Köcherfliegen, Steinfliegen, Eintagsfliegen oder auch Libellen. Deren Jugendstadien, die Larven, entwickeln sich über Monate bis Jahre am Gewässerboden und ernähren sich dort als Zerkleinerer von abgestorbenen Pflanzenresten, als Weidegänger auf Algenrasen oder räuberisch von anderen Wasserinsekten. Am Ende ihres Larvenlebens verlassen sie als flugfähiges Vollinsekt das Wasser, um sich an Land fortzupflanzen. Die Wasserinsekten nehmen eine wichtige Stellung im Nahrungsnetz des Baches ein. Sie verarbeiten eingetragenes organisches Material und sind selbst wiederum eine wichtige Nahrungsquelle für ansässige Fische, wie Groppe, Bachforelle und Schmerle.

Charakteristische Tier- und Pflanzenarten für den steinigen, kalkarmen Mittelgebirgsbach

Die Wasseramsel (Cinclus cinclus)

Zur Nahrungssuche taucht die Wasseramsel unter Wasser, um Insektenlarven und kleine  Fische zu fangen. Um ihre Beute  erspähen zu können, benötigt sie die Gesteinsblöcke am Uferrand. Die Wasseramsel brütet von Ende Februar bis August in der Nähe naturnaher Bäche zwischen Steinblöcken oder in unterspülten Uferböschungen.

Die Groppe (Cottus gobio)

Die Groppe oder Mühlkoppe bewegt sich ausschließlich am Gewässergrund. Der bis zu 18 cm lange Fisch benötigt sauerstoffreiches Wasser und ernährt sich vor allem von den am Boden lebenden wirbellosen Tieren, wie Wasserinsekten und Bachflohkrebsen. Sie legt ihre Eier in großen Klumpen in eine Laichhöhle im Kies oder heftet sie an die Unterseite von Steinen. Das Männchen bewacht die Gelege. Barrieren wie Rohre oder kleinere Abstürze an Wehren schränken ihre kurzen Wanderungen ein. Die Groppe ist durch die FFH-Richtlinie besonders geschützt.

Steinfliege (Perla marginata)

Perla marginata ist eine unserer größten heimischen Steinfliegenarten. Steinfliegen gehören zu den Wasserinsekten, die ihre Jugend als Larve im Gewässer verbringen und nach dem Schlupf an Land leben. Die bis zu 20 mm große Larve lebt am Gewässergrund. Vor allem die kleinen Larvenstadien sind auf das große Lückensystem zwischen den Steinen angewiesen. Dort jagen sie kleinere Insektenlarven, die auf ihrem Speiseplan stehen. Sie selbst ist eine beliebte Mahlzeit für Fische und Vögel. Sie atmet über büschelige Tracheenkiemen, die sich an den Seiten der Brustsegmente befinden. Die Larven haben einen hohen Sauerstoffbedarf und bevorzugen kühle Wassertemperaturen. Nach einer Entwicklungszeit von bis zu 3 Jahren schlüpfen die erwachsenen Tiere im Frühsommer. Sie sind trotz ihrer Größe schlechte Flieger und halten sich die wenigen Wochen ihres Daseins bevorzugt im bachnahen Ufergehölz auf. Dort lockt das Männchen durch rhythmisches Trommeln das Weibchen zur Paarung an. Die Weibchen legen ihre Eier im Bach ab.

Eintagsfliege (Ecdyonurus torrentis)

Ecdyonurus torrentis gehört zur Gruppe der Eintagsfliegen; typische Wasserinsekten unserer Fließgewässer. Die bis zu 15 mm lange Larve besitzt einen abgeplatteten Körper und lebt ein bis maximal 2 Jahre im Wasser. Sie ernährt sich von Algen, die sie mit ihren Mundwerkzeugen von der Steinoberfläche abbürstet. Die Atmung erfolgt über blattartige Kiemenplättchen, die an der Seite des Hinterleibs sitzen.Nach der Verwandlung zum erwachsenen Tier lebt Ecdyonurus noch einige Tage, nimmt keine Nahrung mehr auf und stirbt nach der Paarung und der darauf folgenden Eiablage ins Wasser.

Wassermoose

In den meist stark beschatteten steinigen, kalkarmen Mittelgebirgsbächen wachsen kaum höhere Wasserpflanzen, sondern vor allem Wassermoose. Diese besiedeln die im Wasser liegenden Stein- und Felsoberflächen. Während das Bach-Spatenmoos (Scapania undulata) und das Ufer-Schnabeldeckenmoos (Rhynchostegium riparioides) schnell fließendes Wasser bevorzugen, besiedelt das Quellmoos (Fontinalis antipyretica) langsam fließende Bachabschnitte. Eine Reihe von Tierarten, insbesondere Wasserkäfer, nutzen die untergetauchten Moosrasen als Lebensraum.

Borsten-Rotalge (Lemanea fluviatilis)

Gut im Wasser sichtbar wächst die Borsten-Rotalge, eine der wenigen Rotlagen, die im Süßwasser vorkommen. Sie sitzt an größeren, lagestabilen Steinen oder untergetauchtem Holz am Gewässerboden. Die bis zu 30 cm langen knorpeligen Fäden, die sich zu Büscheln zusammenfügen, haben eine olivgrüne bis schwarzviolette Färbung. Sie wächst nur in klaren, nährstoffarmen Fließgewässern und ist ein ⁠Indikator⁠ für gute Wasserqualität.

<>
 

Nutzung

Viele Mittelgebirgsbäche des Typs 5 wurden begradigt oder verlegt, um sie für die Wasserkraftnutzung zu erschließen oder die angrenzenden Auenflächen für Siedlungen oder Landwirtschaft nutzen zu können. Der Uferwald wurde entfernt oder auf einen schmalen Gehölzsaum reduziert. Um den ⁠Abfluss⁠ der Bäche zu kontrollieren und die angrenzenden Nutzflächen zu be- oder entwässern oder um zu verhindern, dass sich die geraden, nun steileren Bäche eintiefen, hat der Mensch mit wasserbaulichen Maßnahmen eingegriffen. Es wurden Uferwände, Betonbetten, Wehre und Sohlschwellen angelegt, die das Gewässer vom  Umland abtrennen, es zerstückeln und den Bachlauf in ein festes Korsett pressen. All dies macht die ursprünglich vielfältige ⁠Gewässerstruktur⁠ eintönig. Fachleute sprechen von „struktureller Degradation“. In der Vergangenheit veränderten Besatzmaßnahmen mit nicht-heimischen Fischen, wie der Regenbogenforelle, die ursprünglichen Lebensgemeinschaften drastisch. Nährstoffeinträge aus der Landwirtschaft und kleinen Kläranlagen sind nach wie vor so hoch, dass sie die Zusammensetzung der Algengemeinschaften auf der Gewässersohle beeinflussen.

 

Zustand

Da naturnahe Bäche vielfältige und ökologisch äußerst wertvolle Lebensräume sind und bedeutende Funktionen im Naturhaushalt haben, ist es wichtig ihren ökologischen Zustand zu verbessern oder  zu erhalten. Der ökologische Zustand wird über die Zusammensetzung der Lebensgemeinschaft, bestehend aus Wasserpflanzen, Algen, Fischen und den auf und in der Gewässersohle lebenden wirbellosen Tieren, dem sog. ⁠Makrozoobenthos⁠, bemessen. Dabei wird geprüft, wie stark die Lebensgemeinschaft von den Verhältnissen im natürlichen Zustand abweicht. Der Grad der Abweichung wird in 5 Zustandsklassen angegeben. Knapp 20% der steinigen, kalkarmen Mittelgebirgsbäche Deutschlands befinden sich in einem sehr guten oder guten ökologischen Zustand. Dieser Anteil ist gegenüber allen anderen Fließgewässertypen sehr hoch. Einen mäßigen Zustand haben 43%; einen unbefriedigenden 27% und 10% sogar einen schlechten. Bis 2015 sollen durch Rückbau von Querbauwerken, Entfernung von Verbauungen, Pflanzungen von Gehölzen im Uferbereich, Rückhalt von Nährstoffen aus Kläranlagen und angrenzenden Äckern und andere Maßnahmen weitere 15% den guten Zustand erreichen. Ziel der ⁠Wasserrahmenrichtlinie⁠ ist es, dass alle Gewässer bis spätestens 2027 einen guten ökologischen Zustand aufweisen.