Gewässertyp des Jahres 2019 "Großes Nordseeästuar"
In Deutschland gibt es drei große Nordseeästuare. Es sind die Mündungsbereiche von Ems, Weser und Elbe.
In Deutschland gibt es drei große Nordseeästuare. Es sind die Mündungsbereiche von Ems, Weser und Elbe.
Im Kartendienst zum Gewässertyp des Jahres finden Sie alle Fließgewässer, Seen, Ästuare (Übergangsgewässer) und Küstengewässer. Die großen Ästuare sind dort unter „2019“ farbig entsprechend ihrer Bewertung hervorgehoben. Sie können für das Gewässer, das Sie interessiert, weitere Angaben zum Zustand der Gewässerflora und -fauna abrufen.
Die Mündungsbereiche von Ems, Weser und Elbe in die Nordsee sind die drei großen Ästuare in Deutschand. Sie beginnen in der Ems bei Leer, in der Weser bei Brake und in der Elbe bei Stade.
An Küsten mit großem Tidenhub dringt die Gezeitenwelle weit in Flussmündungen vor. Die regelmäßigen Flutwellen und Ebbströme weiten das Flusstal aus, so dass nach und nach eine trichterförmige Mündung entsteht: das Ästuar. Das sind in der südlichen Nordsee die Mündungen von Ems, Weser und Elbe. Der Tidenhub beträgt dort zwischen zwei und drei Metern. Gezeitenwellen können eine beträchtliche Höhe erreichen.
Im Ästuar des Amazonas erreichen diese Flutwellen eine Höhe von fünf bis sechs Metern und werden „Pororoca“ genannt. Jede dieser Flutwellen transportiert Sand und Schlick am Gewässerboden über die Ästuare den Fluss hinauf. Diese Sedimente lagern sich ab oder werden vom Ebbstrom wieder zurück ins Meer gesaugt. Ständige Veränderung ist ein Merkmal dieses Lebensraums: Sandinseln und tiefe Rinnen bilden sich schnell und vergehen wieder. In den Ästuaren mischt sich das Süßwasser der Flüsse mit dem Salzwasser der Nordsee. So entsteht sogenanntes Brackwasser. Diese Bedingungen stellen die Lebensgemeinschaften vor große Herausforderungen. Das Artenspektrum ist kleiner als in weniger extremen Lebensräumen.
Einige Arten sind hoch spezialisiert und leben nur in diesen Gebieten. Unter dem Einfluss von Ebbe, Flut und Brackwasser können sich in flachen Uferbereichen ausgedehnte Salzwiesen und Röhrichte ausbreiten, die regelmäßig oder sporadisch überflutet werden. Sie sind Laichgebiet, Raststätte, Brut- und Lebensraum für Insekten, Amphibien, Fische und Vögel.
Salz Teichsimse (Schoenoplectus tabernaemontani)
Die Salz-Teichsimse (Schoenoplectus tabernaemontani) besiedelt die tidebeeinflussten Gewässerufer in dichten Röhrichten. Aufgrund ihrer Salztoleranz wächst sie oft an „vorderster Front“ in einem Bereich, der mindestens zweimal täglich unter Wasser steht und nur von wenigen höheren Pflanzen besiedelt werden kann. Durch ihre Wuchsform sind Teichsimsen sehr gut an die hohen mechanischen Belastungen durch das tidebedingte Wechselbad der Gezeiten angepasst.
Schierlingswasserfenchel (Oenanthe conioides)
Der Schierlingswasserfenchel (Oenanthe conioides) ist eine mehrjährige krautige bis zu zwei Meter hohe Pflanze. Er ist ein Endemit der Tide-Elbe, das heißt, die Art kommt an keinem anderen Ort der Welt vor. Der Schierlingswasserfenchel gilt als „vom Ausstreben bedroht“ und ist daher streng geschützt. Sein Lebensraum ist fast verschwunden: flache, täglich überflutete, schlickreiche und von Menschen wenig beeinflusste Uferanschnitte.
Europäischer Stint (Osmerus eperlanus)
Der Stint (Osmerus eperlanus) lebt in den Küstengewässern Europas. Er wird in der Regel 15-20 cm lang, bis zu 6 Jahre alt und ist trotz seiner geringen Größe als Speisefisch geschätzt. Stinte ernähren sich vor allem von kleinen Krebsen des Planktons und am Boden lebenden Organismen, fressen aber auch Jungfische. Stinte wandern zum Laichen in großen Schwärmen in die Ästuare der großen Ströme, um hier im zeitigen Frühjahr je Weibchen bis zu 40.000 Eier abzulegen. Früher wurden Stinte in großen Mengen gefangen, noch heute weisen Ortsbezeichnungen in einigen deutschen Städten (z.B. „Stintfang“ in Hamburg und der Stintmarkt in Lüneburg) darauf hin.
Chinesische Wollhandkrabbe (Eriocheir sinensis)
Die Chinesische Wollhandkrabbe (Eriocheir sinensis) wurde zu Beginn des 20. Jahrhunderts durch den Menschen unbeabsichtigt nach Europa eingeschleppt und hat sich in allen großen in die Nordsee mündenden Flüssen (Elbe, Weser, Ems und Rhein) etabliert. Die Art ist nachtaktiv und ernährt sich von pflanzlichem und tierischem Material (omnivor). Sie lebt als erwachsenes Tier im Süßwasser und wandert zur Fortpflanzung flussabwärts ins Große Ästuar (katadrome Wanderungen).
Nach der Eiablage von bis zu 900.000 Eiern im Brackwasser sterben die Elterntiere - sie pflanzen sich also nur einmal fort. Die Larven entwickeln sich im Brackwasser, wandern anschließend flussaufwärts und werden nach etwa fünf bis sechs Jahren geschlechtsreif. Neben großen Fischen und Vögeln wie dem Graureiher, welche die Wollhandkrabbe insbesondere bei deren Häutung gern erbeuten, gehörte der Mensch zu ihren größten Feinden. Nach Massenentwicklungen der Art in den 1930er Jahren ging ihr Bestand durch Absammlung, aber auch durch extreme Gewässerverschmutzung, bis in die 1970er Jahre stark zurück. Seitdem hat die Art wieder deutlich zugenommen. Während die Art in Deutschland bisher nur in wenigen Restaurants angeboten wird, gilt sie in der chinesischen Küche als begehrte Delikatesse.
Gänsesäger (Mergus merganser)
Ästuare sind bedeutende Brut- und Rastgebiete für eine Vielzahl an Vogelarten. Der Gänsesäger (Mergus merganser) ist eine dieser Arten, welche in Deutschland zwar mit nur etwa 1.000 Paaren als Brutvogel vorkommt, dagegen aber im Winter als Durchzügler und Gast viel häufiger zu beobachten ist. Etwa 40.000 bis 60.000 Tiere überwintern jedes Jahr an eisfreien Seen und in den Ästuaren der großen Flüsse Deutschlands. Nach Ihrem „Winterurlaub“ kehren die meisten Gänsesäger in ihre nördlicher gelegenen Hauptbrutgebiete zurück. Die Nahrung des Gänsesägers besteht aus kleineren Fischen von einer Länge bis zu 10 cm.
Grünalgen (Pediastrum)
Grünalgen der Gattung Pediastrum sind mikroskopisch kleine einzellige Algen, die in Kolonien (sog. Coenobien) von 4 bis zu 100 Einzelzellen leben – gemeinsam sehen sie unter dem Mikroskop aus wie kleine grüne Zackenrädchen. Diese Grünalgen sind Teil des sogenannten Phytoplanktons der Ästuare, welches durch Photosynthese Sonnenlicht und Nährstoffe in pflanzliche Biomasse umwandelt. Dabei wird auch der für viele Organismen lebenswichtige Sauerstoff gebildet. Das Phytoplankton bildet auch die Nahrungsgrundlage für viele Lebewesen im Nahrungsnetz der Ästuare, zum Beispiel für kleine Krebstiere und Larven verschiedener Organismen.
Gütertransport, Fischerei, Tourismus und Freizeitschifffahrt beanspruchen die Ästuare von Elbe, Ems und Weser. Die umliegenden Landflächen werden landwirtschaftlich genutzt. Noch zum Ende des 19. Jahrhunderts wiesen die Nordseeästuare eine weitgehend natürliche Gestalt auf. Die landwirtschaftliche Nutzung war extensiv und entlang der Flüsse und ihrer Nebenarme fanden sich ausgedehnte Röhrichtbestände.
In den großen Ästuaren haben Sturmfluten früher große Schäden verursacht und sogar Menschenleben gefordert. Zum Schutz vor diesen Naturereignissen wurden Deiche errichtet und in der Ems ein Sperrwerk gebaut. Diese Bauwerke verhindern die natürlichen Sedimentations- und Umlagerungsprozesse. Die Fläche, in der sich Sedimente ablagern, hat sich deswegen stark verringert. Auch an den Nebenflüssen wurden Deiche und Sperrwerke errichtet. In der Folge wird die Flutwelle immer größer und bringt viel Sediment mit sich, welches der Ebbstrom nicht mehr austragen kann. Das bedeutet, dass die Schifffahrtsstraßen und Häfen ständig ausgebaggert werden müssen, um ein „Stranden“ der immer größer werdenden Schiffe zu verhindern.
Der erwartete Anstieg des Meeresspiegels bedroht den Lebensraum der Röhrichte sowie der Brack- und Salzwiesen. Weitere Küstenschutzmaßnahmen werden nötig.
Die Ästuare gehören zu den Gebieten, in denen sich das Wasser der Flüsse mit dem Wasser der Nordsee mischen. Die Nähr- und Schadstoffe, die Elbe, Ems und Weser mit sich führen, beeinträchtigen die Wasserqualität der Ästuare. Die Schwebstoffe mit hohen Schadstoff- und Phosphorkonzentrationen der Flüsse mischen sich mit den weniger belasteten Schwebstoffen der Nordsee und können im Ästuar sedimentieren.
Die Bundesländer stufen die großen Nordseeästuare aufgrund der Maßnahmen für die Schifffahrt und den Hochwasserschutz als „erheblich verändert“ ein. Für erheblich veränderte Gewässer ist der Bewertungsmaßstab gemäß der EG-Wasserrahmenrichtlinie das ökologische Potenzial, d.h der Zustand, der im Einklang mit der Nutzung erreichbar ist. Dabei werden z.B. erforderliche Bauwerke zum Hochwasserschutz berücksichtigt. Zur Verbesserung des ökologischen Potenzials fordert die EG-Wasserrahmenrichtlinie, alle Maßnahmen zur Verbesserung des Zustands zu ergreifen, welche weder die Schifffahrt und noch den Hochwasserschutz einschränken.
Die Ästuare von Weser und Elbe werden als ein Wasserkörper betrachtet. Das Ästuar der Ems wird für die Bewertung am Dollart in zwei Wasserkörper unterteilt. Von diesen vier Wasserkörpern weisen drei ein mäßiges ökologisches Potenzial auf. Das Potenzial der Ems von Leer bis Dollart wurde 2015 mit unbefriedigend bewertet. Vordringliches Problem ist die zu hohe Nährstoffbelastung. Sie führt zu übermäßigem Wuchs an schwebenden Wasserpflanzen (Phytoplankton).
Die Großen Nordseeästuare werden von einzigartigen Lebensgemeinschaften aus Pflanzen und Tieren besiedelt, die an diesen Lebensraum angepasst sind. Die intensive Nutzung der Nordseeästuare erschwert es, den Zustand dieser seltenen Ökosysteme zu verbessern. Um wieder Flachwassergebiete zu schaffen und den Tidenhub zu verringern, müssen Deiche geöffnet, zurück versetzt sowie Nebenflüsse und Nebenarme wieder an die Hauptströme angeschlossen werden. Viele Bürgerinnen und Bürger setzen sich für den Schutz dieses Lebensraums ein, um ihn auch für kommende Generationen langfristig zu erhalten. Jeder kann dazu einen Beitrag leisten, z.B. Landwirte durch Beschränken ihrer Nährstoffverwendung auf das für die Pflanzen notwendige Maß sowie Erosionsschutz, die Kommunen durch Phosphatfällung auch in kleinen Kläranlagen und jeder Bürger durch Verringerung des Verzehrs an tierischem Eiweiß.