Gewässertyp 2015 - Salzreiches Wattenmeer

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Priel im Wattenmeer
Quelle: C. M. Stock

Das "Salzreiche Wattenmeer" ist der Gewässertyp des Jahres 2015. Fachleute bezeichnen diese Gewässer als "Euhalines Wattenmeer"

Inhaltsverzeichnis

 

Kurzbeschreibung

Im Kartendienst zum Gewässertyp des Jahres finden Sie alle Fließgewässer, Seen, Ästuare (⁠Übergangsgewässer⁠) und Küstengewässer. Alle Gebiete des "Salzreichen Wattenmeeres" in Deutschland und ihr festgestellter Zustand sind dort farbig hervorgehoben. Sie können sich für das Gewässer, das Sie interressiert, weitere Angaben zum Zustand der Gewässerflora und -fauna abrufen. Vielleicht gehört ja ein Gebiet, das Sie kennen, zum Gewässertyp des Jahres.

Der Gewässertyp Salzreiches Wattenmeer erstreckt sich in Schleswig-Holstein von der Südspitze Sylts bis zur nördlichen Eidermündung bei St. Peter Ording und vom Jadebusen westwärts entlang der Südküsten der Ostfriesischen Inseln Wangerooge, Spiekeroog, Langeoog bis Baltrum. Es ist durch die vorgelagerten Inseln zum offenen Meer abgegrenzt und wird auch als Rückseitenwatt bezeichnet.

Steckbrief

  • Anteil Wattfläche an der Gesamtfläche des Gewässertyps: 60-83%
  • Salzgehalt: rund 30
  • Tidenhub: 2 bis 4 Meter
  • Wellenexposition: Geschützt
  • Strömung: Meist < 5 Meter pro Sekunde
  • Mittlere Sichttiefe: < 1 m
  • Sommerliche Höchsttemperaturen: 23°C
  • Natürlicherweise typische Habitate, Gewässerform: Salzwiesen, Verlandungszonen, Watten und Rinnen
  • Durchmischung: Ständig durchmischt
  • Wasserverweilzeit: Bis 5 Tage
  • Substrat: Mischsediment und Schlick
  • Lebensgemeinschaft: Je nach ⁠Habitat⁠ treten sehr unterschiedliche Pflanzen (Algen bis Strandflieder) und Tiere (Wattwurm bis Seehund) auf; "Kinderstube" für Fische; Rast- und Brutplatz für Vögel
  • Hauptbelastungsfaktoren: Nährstoffeinträge aus den Einzugsgebieten der Nordseezuflüsse und Stickstoffeintrag aus der Luft, Grundschleppnetzfischerei, Tourismus, Schifffahrt
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Lebensraum

Das Salzreiche Wattenmeer ist ein Küstenbereich, der unter starkem Einfluss von Ebbe und Flut steht und durch die Inseln gegen Seegang geschützt ist. Während der Ebbe fließt das Wasser in tiefen Wasserströmen, sogenannten Prielen, ab. Das Wattenmeer besteht aus drei verschiedenen Bereichen. Einem dauerhaft unter Wasser liegenden Teil, der das Wattenmeer mit der offenen See verbindet. Dem Watt an sich, das zweimal täglich überflutet wird und dem Bereich, der nur bei Sturmfluten überflutet wird. So bilden sich verschiedene Lebensräume in diesem Gewässertyp: Priel, Rinne, Salzwiese, Verlandungszone und das Watt. Das Wattenmeer der Nordsee ist das größte Wattenmeer der Welt. Aus geologischer Sicht ist es eine sehr junge Landschaftsform, die hauptsächlich durch eiszeitliche Prozesse entstanden ist. Untersuchungen an Bohrkernen haben gezeigt, dass das heutige Wattenmeer etwa vor 7000 Jahren entstand. Ursprünglich bestand das Gebiet des heutigen Wattenmeers aus eiszeitlichen Schotter- und Schwemmflächen, sogenannten Sandern, und von Gletschern transportierten Schuttablagerungen - den Moränen. Mit dem Abtauen der Gletschermassen wurden weite Teile dieser eiszeitlichen Formen eingeebnet und der Meeresspiegel stieg an. Einen weiteren wichtigen Einfluss auf die Entstehung des Wattenmeers haben der stetige Zufluss und die Ablagerung von Sediment aus dem Binnenland über Flüsse und Bäche. Durch die langsame Strömung in den Mündungsbereichen von Flüssen wie der Elbe, Ems oder der Eider kann sich das mitgeführte Material leicht absetzen. Das Substrat im salzreichen Wattenmeer besteht heute vorrangig aus feinem Sand und Schlick, der reich an organischem Material ist. Es bietet Würmern, Krebsen, Muscheln und zahlreichen Kleinstlebewesen einen guten Lebensraum. Diese sind wiederum Nahrungsquelle für Fische, Vögel und Robben. Die Salzwiesen stellen den Übergang vom Meer zum Festland her.
Der stetige Wechsel zwischen Ebbe und Flut, hohe Schwankungen des Salzgehaltes und der Wassertemperatur sowie häufiger starker Wind machen das Salzreiche Wattenmeer zu einem außergewöhnlichen Lebensraum. Gleichzeitig aber auch zu einem der biologisch produktivsten Ökosysteme der Erde und Heimat für eine Vielzahl teils hoch spezialisierter Tiere und Pflanzen. Darunter 250 endemische Tierarten, die nur im Wattenmeer vorkommen. Typisch sind Seehunde, Wattwürmer, Herz- und Miesmuscheln und viele Krebsarten. Aber auch Plattfische wie Flunder und Scholle sind genauso typisch wie die Nordseegarnele und die Seepocke. Bei den Pflanzen stellen verschiedene Algen und Seegräser die häufigsten Vertreter. Das Wattenmeer dient vielen Vogelarten als Brut- und Rastplatz. Es liegt direkt am sogenannten Ostatlantischen Zugweg, den jedes Jahr Millionen Vögel auf Ihrem Weg in die Überwinterungsgebiete nutzen. Vor Ort sind Säbelschnäbler, Austernfischer, Brandgans und Seeregenpfeifer typische Vertreter.

Typische Lebewesen

Gezeiten-Seepocke (Semibalanus balanoides)

Die Gezeiten-Seepocke gehört zu den sogenannten Rankenfüßern, einer stark abgewandelten Gruppe der Krebstieren, und bleibt, wie alle Seepocken, als ausgewachsenes Tier an einem Ort. Wie der deutsche Name „Gezeitenseepocke“ ausdrückt, kommt sie verstärkt im Gezeitenbereich zwischen Hoch- und Niedrigwasserlinie vor. Sie besiedelt feste Substrate, die bei Ebbe trockenfallen, z.B. Steine, Muschel- und Schneckenschalen. Das kegelförmige Kalkgehäuse der Gezeiten-Seepocke besteht aus 6 längs gefurchten, weißlichen Platten und erreicht maximal 15 mm Durchmesser. Es schützt sie bei Flut gegen Wellengang und Strömung, bei Niedrigwasser gegen extreme Temperaturschwankungen, Austrocknung und Frost. Nur bei Flut streckt das Tier die gefiederten Fangarme (Rankenfüße) heraus und filtert so kleine Nahrungspartikel aus dem Wasser. Wenn sie trockenfällt, verschließt sie ihr Gehäuse fest und kann mit Hilfe einer Mikrophyle (kleine Röhre) Luftsauerstoff aufnehmen. Alle Seepocken sind Zwitter und brauchen einen Partner in Reichweite.

Strandschnecke (Littorina littorea)

 Die Große oder Gemeine Strandschnecke ist eine häufige Meeresschnecke der Küstenzonen mit einem kegelförmigen Gehäuse und einem an ihrem Fuß verankerten Deckel. Sie wird auch als essbare Strandschnecke bezeichnet, da sie schon seit langer Zeit in Küstenländern als Nahrung dient. Ihr Verbreitungsgebiet ist der gesamte Nordatlantik ab dem 43. Breitengrad bis zur Nord- und Ostsee. Der Lebensraum der Strandschnecke umfasst Weich- und Hartböden auf den weiten Wattflächen der Gezeitenzone geschützter Küstenbereiche. Besonders häufig findet man sie jedoch in der direkten Nähe von Muschelbänken, Buhnen und Molen. Hier findet sich eine Besiedlungsdichte von bis zu mehreren hundert Individuen pro m². Diese weiden mit ihrer Raspelzunge (Radula) die Algen und Tiere ab, die sich dort angesiedelt haben. Da sie dabei die Schalen von Muscheln reinigten, istsind sie für das deren Überleben dieser Populationen oft von großer Bedeutung.

Bäumchenröhrenwurm (Lanice conchilega)

In sandigen Watten kann der bis zu 9 cm lange Bäumchenröhrenwurm dichte Kolonien bilden. Seine Röhren sind bis zu 40 cm lang, ragen aber nur wenige Zentimeter aus dem Boden. An der Spitze jeder Röhre befindet sich ein Geflecht aus „Ästen“, das die etwa 100 Tentakel am Kopfende stützt und schützt. Diese Tentakel können lang gestreckt werden und aus dem Wasser Partikel für Röhrenbau oder Nahrung sammeln. Die roten Kiemenbüschel, die er für die Atmung braucht, sitzen ebenfalls am Kopfende. Der Wurm selbst ist schlank, rosa und weichhäutig mit einzelnen Borsten an den Körperseiten. Bei Kontakt und bei Ebbe zieht sich der Wurm tief in seine Röhre zurück. In Eiswintern erfrieren die Tiere im Watt; eine Wiederbesiedlung kann Jahre dauern. Ohne Eiswinter kann ein Bäumchenröhrenwurm etwa drei Jahre alt werden.

Kieselalgen

Odontella mobiliensis und Odontella regia gehören zu den einzelligen Kieselalgen (Diatomeen). Ihren Namen verdanken sie ihrer harten Zellhülle, die überwiegend aus Kieselsäure besteht. Jede Diatomeenzelle besteht aus zwei Hälften, von denen eine Hälfte etwas größer als die andere ist, so dass sie wie Deckel und Boden einer Schachtel ineinander passen. Mit bloßem Auge erscheinen diese Organismen als schmierig, bräunlicher Belag auf dem Wattboden oder als Trübung im Wasser. Erst der Blick durch das Mikroskop offenbart ihre grazile, reich strukturierte Formenvielfalt. Wie höhere Pflanzen gewinnen auch diese winzigen pflanzlichen Einzeller Energie aus Sonnenlicht (⁠Photosynthese⁠) und bilden damit eine wichtige Grundlage des komplexen Nahrungsgefüges in den Küstengewässern.

Schaumalge (Phaeocystis globosa)

Einzellige Algen am Meeresboden (Phytobenthos) und in der Wassersäule (Phytoplankton) sind die Grundlage für das Nahrungsnetz im Watt. Ein typischer Vertreter des küstennahen Phytoplanktons ist die Schaumalge, die als einzelne Zelle mit einer Größe von 5 µm in der Wassersäule für den Menschen unsichtbar ist. Sichtbar werden die Algen erst durch die Bildung von Kugelkolonien, die bis zu 3 cm groß werden können. Die verbindende Gallertmasse der während einer Planktonblüte millionenfach vorkommenden Kolonien kann beim Absterben von den Wellen aufgeschlagen werden. Bei auflandigen Winden können sich dadurch Schaumberge an der Küste bilden.

Zwergseegras Seegras (Zostera noltii)

Das Zwergseegras Seegras ist kein "echtes Gras", sondern gehört zu den Laichkrautgewächsen. Zwergseegras (Zostera noltii)Es bildet im Gezeitenbereich stellenweise dichte Wiesen aus. Die schmalen Blätter und die bis 8 cm tiefreichenden Wurzeln sorgen dafür, dass es nicht austrocknet und der Strömung standhält. So schützen die Pflanzen den Meeresboden vor ⁠Erosion⁠. Seegraswiesen bilden einen eigenen Lebensraum, der vor allem von Fischen als Versteck vor Räubern, Laichplatz und Kinderstube genutzt wird. Gleichzeitig ist Seegras eine wichtige Nahrungsgrundlage für Gänse und Enten. Das Große Seegras (Zostera marina) erreicht Längen von 30 bis 100 cm.
Zostera-Arten haben unauffällige Blüten. Die Bestäubung erfolgt über das Wasser mit Fadenpollen. Seegräser bilden kleine Nussfrüchte aus. Früher wurden große Mengen angespültes Seegras zum Füllen von "Seegrasmatratzen" oder als Füll-, Isolier- und Dachmaterial beim Hausbau sowie als Dünger genutzt.

Europäischer Queller (Salicornia europaea)

Queller sind dickfleischige, einjährige Pflanzen der Salzwiesen und typische Pionierpflanzen unserer Meeresküsten. Der Queller wächst aufrecht und ist stark verzweigt. Er erreicht eine Wuchshöhe von 10 bis 30 cm. Der Spross ist grünlich, später im Jahr rötlich gefärbt. Die Pflanze bevorzugt salzhaltige feuchte bis nasse, gelegentlich überflutete Standorte auf Schlick oder Sand. Der Queller erträgt von allen Blütenpflanzen den höchsten Salzgehalt. Die Blütezeit liegt zwischen Juli und Oktober.

Strand-Grasnelke (Armeria maritima)

Die Strand-Grasnelke ist eine typisches Florenelement in der RotschwingelzonePflanze der Salzwiesen. Das aufgenommene Salz scheidet sie über spezielle Drüsen auf der Blattoberfläche wieder aus. An der Nordsee- und Ostseeküste kommt diese Art nur stellenweise vor. Die Strand-Grasnelke wächst häufig polsterartig als sommergrüne, ausdauernde krautige Pflanze und kann Wuchshöhen von bis zu 50 cm erreichen. Sie bildet eine Rübenwurzel aus. Ihre sehr schmalen Laubblätter erinnern an Blätter von Gräsern. Die Laubblätter sind etwas behaart, was als Verdunstungsschutz dient. Sie blüht zwischen Mai und Oktober. Die Früchte werden durch den Wind oder durch Klettwirkung ausgebreitet. Die Strand-Grasnelke steht unter Naturschutz und ist nach BArtSchV besonders geschützt.

Säbelschnäbler (Recurvirostra avosetta)

Im Wattenmeer ist der Säbelschnäbler ein häufig zu beobachtender Vogel. Etwa 11.000 Paare pflanzen sich dort fort. Mit seinem schwarzweißen Gefieder und der nach oben gebogenen Schnabelform ist er besonders auffällig. Ein ausgewachsener Säbelschnäbler wird etwa 45 Zentimeter groß. Die Flügelspannweite beträgt bis zu 80 Zentimeter. Seine Nahrung - kleine wirbellose Tiere und gelegentlich kleinere Fische – erbeutet er im Sediment oder im Flachwasser durch das arttypische „Säbeln“, einer „mähenden“ Seitwärtsbewegung des Schnabels.

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Nutzung, Belastung, Maßnahmen

Das Wattenmeer steht heute unter nationalem und internationalem Schutz. Es ist ⁠UNESCO⁠ Weltnaturerbe und in Deutschland Nationalpark. Tourismus, Fischerei, Schiffsverkehr, Ölförderung, Landgewinnung und Entwässerung werden vom Nationalparkgesetz geregelt. Umweltprobleme bereiten jedoch noch immer zu hohe Nährstoffbelastungen über die Zuflüsse und die Luft. Ihre Folgen sind häufigere Algenblüten, die zu einer Abnahme von Seegras, Zunahme von fädigen Grünalgen und Sauerstoffmangel in den Sedimenten führen können. Insbesondere die bodenberührende Fischerei mit Grundschleppnetzen kann zu erheblichen mechanischen Beeinträchtigungen des Meeresbodens und seiner Bewohner führen. Hohe Beifangraten einiger Fischereien haben zusätzlich negative ökologische Effekte. Hinzu kommen Müll und Schadstoffe, die vom Land, aber auch von Schiffen eingetragen werden. Nicht nur für Binnengewässer und das Grundwasser, sondern insbesondere auch zum Schutz des Wattenmeers sind Nährstoffverluste aus landwirtschaftlich genutzten Flächen durch verantwortungsvollen Umgang mit Düngemitteln soweit zu reduzieren, dass ein guter Umweltzustand erreicht wird.

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Zustand

Ziel der EU-⁠Wasserrahmenrichtlinie⁠ ist es, bis 2015 einen guten ökologischen und chemischen Zustand in den Gewässern zu erreichen. Dazu werden Veränderungen im Bestand des Phytoplanktons (z.B. Kieselalgen und Schaumalgen), der Makrophyten (z.B. Seegras) und des ⁠Makrozoobenthos⁠ (z.B. Bäumchenröhrenwurm) beobachtet und bewertet. In den vergangenen 30 Jahren hat sich der Zustand des salzreichen Wattenmeers durch Reduktion flussbürtiger Einträge an Schad- und Nährstoffen stark verbessert, was sich u.a. an der Zunahme der Seegrasbestände und einer Abnahme der „Grünalgenteppiche“ erkennen lässt. Trotzdem erreicht das salzreiche Wattenmeer gegenwärtig nur einen mäßigen bis unbefriedigenden ökologischen Zustand. Hauptursache sind weiterhin stoffliche Belastungen, insbesondere durch Nährstoffe, und ihre vielfältigen Auswirkungen auf das Gewässer. Maßnahmen zur Nährstoffreduzierung stehen auch im Fokus der EU-Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie, die zum Ziel hat, einen guten Umweltzustand zu erreichen, indem neben Nähr- und Schadstoffen auch andere Belastungen, u.a. durch Müll und Lärm begrenzt werden.
Weitere wichtige rechtliche Regime für das Wattenmeer sind die EU-Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie und die Trilaterale Zusammenarbeit zum Schutz des Wattenmeeres.

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