Durch natürliche Gefahren ausgelöste technische Unfälle (Natech)

Das Bild zeigt Blitze über einer industriellen Anlage.zum Vergrößern anklicken
Technische Anlagen müssen vor natürlichen Gefahrenquellen wie Blitzen oder Sturm geschützt werden.
Quelle: Siegfried Layda/Getty Images

Beispiele wie das Erdbeben und die Tsunamis 2011 in Japan sowie der zerstörerische Hurrikan Harvey 2017 in den USA machen deutlich, dass natürliche Gefahrenquellen Unfälle von Anlagen, in denen gefährliche Stoffe vorhanden sind oder sein können, auslösen können. Sie können Freisetzungen gefährlicher Stoffe, Brände und Explosionen verursachen, die Menschen gefährden und die Umwelt verunreinigen.

Risiken von durch natürliche Gefahrenquellen ausgelösten Unfällen erfordern ein spezielles Management (Natech Risk Management)

Das Risikomanagement von durch natürliche Gefahrenquellen ausgelösten technischen (hier „chemischen“) Unfällen (Natechs) unterscheidet sich von dem für andere chemische Unfälle. Natech-Risiken haben bestimmte Eigenschaften, die sie von anderen chemischen Unfallrisiken unterscheiden. Einige davon sind:

  1. Die Auslösung, der Verlauf und die Folgen von Natechs können durch “konventionelle” Szenarien chemischer Unfälle, wie sie für die Konstruktion und Auslegung von Anlagen, in denen gefährliche Stoffe vorhanden sind oder sein können, üblicherweise genutzt werden, nicht abgedeckt sein. 
  2. Das Natech-Risikomanagement benötigt die Beteiligung von Expertinnen und Experten für Naturgefahren, etwa aus der Meteorologie, Hydrologie und Geologie, und in vielen Fällen aus dem Wasserbau- und Bauingenieurwesen; die Kompetenz dieser Fachleute muss in das Risikomanagement für “chemische” Anlagen integriert werden, was eine intensive Kooperation mit den Fachleuten für Anlagensicherheit erfordert. 
  3. Auch nicht extreme Naturgefahren haben das Potenzial, Natechs zu verursachen. 
  4. Der ⁠Klimawandel⁠ kann Häufigkeiten und Intensitäten von Naturgefahren ändern. Er kann verursachen, dass Arten von Naturgefahren an Orten eintreten, an denen sie bislang nicht beobachtet wurden. Auch die Relevanz von Gefahrenquellen kann zunehmen, wie etwa die des Anstiegs des Meeresspiegels. Insgesamt kann er viele neue Entwicklungen verursachen, die zur Überschreitung etablierter Auslegungskriterien für Anlagen, in denen gefährliche Stoffe vorhanden sind oder sein können, führen. 
  5. Naturgefahren können auf mehrere Anlagen gleichzeitig einwirken; sie können dadurch Serien von Natechs verursachen. 
  6. Naturgefahren können kaskadenartige Unfallabläufe verursachen; z.B. kann ein Erdbeben einen Tsunami auslösen oder ein Natech einen anderen.
  7. Im Fall von Naturkatastrophen wird die ⁠Verletzlichkeit⁠ der Bevölkerung erhöht sein; ein Natech in derartigen Situationen wird schwerwiegendere Folgen haben als ein “chemischer Unfall” zu anderer Zeit.
  8. Während Naturgefahren oder Naturkatastrophen werden Einsatzkräfte dadurch gebunden sein, vorrangig deren Folgen für die Bevölkerung zu mindern; daher werden sie und ihre Ressourcen zur Minderung der Auswirkungen ausgelöster “chemischer Unfälle” nur eingeschränkt zur Verfügung stehen. 

Natech-Risikomanagement wird daher auch Vorkehrungen und Maßnahmen bedürfen, die üblicherweise im Sicherheitsmanagement von „Chemieunfällen“ nicht enthalten sind. 

Weiter zeigen Klimaprojektionen für einige Naturgefahren, dass ihre Häufigkeiten und in einigen Fällen ihre Intensitäten in den kommenden Jahren und Jahrzehnten zunehmen werden. Folgerichtig werden die Risiken von Natechs zunehmen.

Daher sollten Natechs mehr Aufmerksamkeit in Politik, Regelsetzung, Anlagenbetrieb, Behörden und Wissenschaft genießen. Es ist erforderlich, Natech-Risiken explizit in Programme zur Verhinderung, Bereitschaft für den Fall und Bekämpfung von „Chemieunfällen“ aufzunehmen.

Das internationale Projekt zum Natech-Risikomanagement

Im Bewusstsein eines Bedarfs für ein spezielles Natech-Risikomanagement beschloss die Arbeitsgruppe Chemieunfälle (WGCA) der ⁠OECD⁠ 2009, ein Projekt zu dem Thema durchzuführen, das von Deutschland geleitet und von den OECD-Mitgliedsstaaten, dem gemeinsamen Forschungszentrum der EU-Kommission, der gemeinsamen Einheit von ⁠UN⁠ Umwelt und UN Humanitäre Angelegenheiten sowie dem Sekretariat der ⁠UNECE⁠-Konvention über Unfälle mit grenzüberschreitenden Auswirkungen unterstützt wurde. Das Projekt beinhaltete bislang zwei Phasen: das EU- / OECD-Natech-I-Projekt von 2009 bis 2015 und das UN- / OECD-Natech-II-Projekt von 2015 bis 2019.

Das Natech-I-Projekt von 2009 bis 2015

Ein erster Workshop über Natech-Risikomanagement wurde mit Unterstützung durch den für dieses Projekt eingerichteten Lenkungskreis 2012 in Dresden organisiert.  Das gemeinsame Forschungszentrum der EU-Kommission leistete mit einer Befragung zu Natech-Risikomanagement (veröffentlicht für die EU-Mitgliedsstaaten) einen bedeutenden Beitrag. Die Ergebnisse dieser Befragung, ein ausgearbeitetes Diskussionsdokument und die Präsentationen innerhalb des Workshops (siehe Workshop Proceedings) ergaben die Basis für die Entwicklung von Empfehlungen über die Gute Praxis im Natech-Risikomanagement (siehe Abschlussbericht).

Diese Empfehlungen zum Natech-Risikomanagement wurden überprüft, neu formuliert, in der WGCA diskutiert und verabschiedet als zweites Addendum zu den OECD-Leitprinzipien für die Verhinderung, Bereitschaft für den Fall und Bekämpfung von „Chemieunfällen“

Das Natech-II-Projekt von 2015 bis 2019

Auf Empfehlung der gemeinsamen Einheit von UN Umweltschutz und UN Humanitäre Angelegenheiten entschied die WGCA im Jahr 2015, das Natech-Projekt fortzusetzen. Die Ziele des UN- / OECD-Natech-II-Projektes waren: 

  1. Unterstützung bei der Anwendung der Empfehlungen aus dem ersten Natech-Projekt, die im Natech-Addendum enthalten sind,
  2. Identifikation und Verbreitung von Beispielen guter Praxis im Natech-Risikomanagement, 
  3. Behörden und anderen Entscheidungsträgern deutlich machen, wie fortschrittliches Natech-Risikomanagement zu den Zielen des “Sendai-Rahmenwerks für Katastrophenvorsorge” und den UN-Zielen für nachhaltige Entwicklung beitragen kann sowie
  4. das Schließen von Lücken, die im ersten Teil des Natech-Projektes identifiziert wurden. 

Eine zweite Befragung über Natech-Risikomanagement wurde im Jahr 2017 durchgeführt. Diese enthielt neue Fragen und einige Fragen aus der ersten Befragung. Letztere erlaubten zu bestimmen, inwieweit die Staaten im Natech-Risikomanagement Fortschritte erzielt hatten. Tatsächlich schienen einige der antwortenden Personen den Stand des Natech-Risikomanagements in ihrem Staat skeptischer zu sehen. 

Ein zweiter Workshop zu Natech-Risikomanagement wurde 2018 in Potsdam ausgerichtet. Der Workshop enthielt eine Vorstellung der Ergebnisse der Befragung, eine Vorstellung des (neuen) Diskussionsdokumentes und sechs Themenblöcke zu verschiedenen Aspekten des Natech-Risikomanagements. Über die Ergebnisse des Workshops wurde der WGCA der OECD im Jahr 2018 berichtet.

Als Ergebnisse des zweiten Workshops und des zweiten Teils des Projektes über Natech-Risikomanagement sind vier ⁠UBA⁠-Berichte erschienen:

1. Natech-Risikomanagement: Beiträge zu dem UN / OECD-Natech-Projekt (in Englisch), einschließlich 

a) der abschließenden Auswertung der Ergebnisse der (zweiten) Befragung durch die Lenkungsgruppe;

b) einer Beschreibung der Themenblöcke und vorgestellten Präsentationen innerhalb des zweiten UN / OECD-Natech-Workshops;

c) einer Beschreibung des Verzeichnisses mit Beispielen guter Praxis im Natech-Risikomanagement;

d) die innerhalb des zweiten UN / OECD-Natech-Workshops ausgearbeiteten Empfehlungen.

2. Klimawandel und Anlagensicherheit: Empfehlungen aus dem UN- / OECD-Natech-Projekt 

3. Klimawandel und Anlagensicherheit: Empfehlungen aus dem UN- / OECD-Natech-Projekt (Kurzfassung)

4. Climate Change and Safety of Installations: Recommendations from the UN / OECD Natech Project (Short Version)

Darüber hinaus hat die OECD als Nr. 32 ihrer Serie über Chemieunfälle (Chemical Accidents) einen Bericht über die Ergebnisse des UN- / OECD Natech-II-Projektes veröffentlicht: “Natech Risk Management: 2017 – 2020 Project Results”.