Risikomanagement in Flusseinzugsgebieten

In den 1970iger Jahren hatten die Emissionen in Luft, Wasser und Boden sowie die Zahl der Störfälle in Industrieanlagen durch Defizite in der Unfallprävention erschreckende Dimensionen angenommen. Das UBA griff diese Problematik auf und erarbeitete in den Folgejahren eine umfassende Strategie zum Risikomanagement für internationale Flusseinzugsgebiete.

Inhaltsverzeichnis

 

Hintergrund

In den Siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts machten sich die Nebenerscheinungen der Nachkriegs-Industrialisierung  in immer deutlicherem Ausmaß bemerkbar.  Die Emissionen in Luft, Wasser und Boden und die Zahl der Störfälle in Industrieanlagen hatten erschreckende Dimensionen angenommen.

Einer der schwersten Störfälle ereignete sich im Jahre 1976 in der italienischen Kleinstadt Seveso.  Damals wurden hunderte von Einwohnern durch freigesetzte ⁠Dioxine⁠ nach einer Explosion in einem Produktionswerk zur Herstellung von Trichlorphenol vergiftet. Dies führte dazu, dass in Deutschland 1980 die „StörfallV“ und auf EU-Ebene 1982 die sog. „Seveso“-RL gesetzlich verankert wurden, um sicherzustellen dass für besonders gefährliche Anlagen wirksame Sicherheitsvorkehrungen etabliert werden.

Aus den historischen Ereignissen heraus lag dabei der Schwerpunkt auf dem Schutz der Bevölkerung vor den unmittelbaren Auswirkungen luftgetragener Emissionen bzw. vor Brand- und Explosionsgefahren. Der Umweltschutz, also insbesondere der Schutz von Grund- und Oberflächenwasser, hatte lediglich theoretische Bedeutung. Das änderte sich nach dem „Sandoz“-Unfall 1986 in dessen Folge es zu einem großen Fischsterben und einer weitreichenden Zerstörung des aquatischen Ökosystems am Rhein gekommen ist.

In der Konsequenz wurde sowohl die StörfallV als auch die Seveso-RL novelliert und die Störfallvorsorge im Hinblick auf die möglichen Auswirkungen auf Gewässer in die Regelwerke integriert.

Am Rhein selbst war bereits seit Jahren die Internationale Kommission zum Schutz des Rheins (IKSR) der Verbesserung der Rhein-⁠Gewässergüte⁠ verpflichtet. Die Defizite in der Unfallprävention rückten nach dem Sandoz-Unfall in den Blickpunkt und  das ⁠UBA⁠ nutzte dies, um in den Folgejahren eine umfassende Strategie zum Risikomanagement für internationale Flusseinzugsgebiete auszuarbeiten.

 

Gefahrenvorsorge-Management

Sicherheitstechnische Empfehlungen 

Innerhalb der Internationalen Kommission zum Schutz des Rheins (IKSR) wurde durch das ⁠UBA⁠ zunächst, als neuer Aspekt, der Gedanke entwickelt, das Anlagensicherheitsniveau dadurch zu erhöhen, indem die Sicherheit einzelner maßgeblicher Funktionseinheiten (Lager, Umschlag, Rohrleitungen etc.) verbessert wird. In den Folgejahren gelang es für zehn sicherheitsrelevante Funktionsbereiche derartige sicherheitstechnische Empfehlungen zu erarbeiten und durch die IKSR zur Anwendung in den Mitgliedsstaaten empfehlen zu lassen. 
Bis 1999 war dadurch im Rheineinzugsgebiet ein Rückgang der unfallbedingten Gewässerbelastungen um über 99% gegenüber dem Üblichen der 70er und 80er erreicht worden.

Dieser erfolgreiche Ansatz wurde sodann zu Beginn der 90er Jahre in die damals neu gegründete Internationale Kommission zum Schutz der Elbe (IKSE) übertragen, Ende der 90er Jahre dann in die Internationale Kommission zum Schutz der Donau (IKSD) und zu Beginn des neuen Jahrtausends in die Internationale Kommission zum Schutz der Oder sowie die ⁠UNECE⁠. Mittlerweile sind über 30 international harmonisierte Leitfäden zu verschiedenen sicherheitstechnisch relevanten Funktionsbereichen, ganzen Branchen oder spezieller Industriezweige erstellt worden.

Ein weiterer Schwerpunkt der UBA- Tätigkeit in diesem Bereich lag in den letzten Jahren in der  Kooperation mit der UNECE „Industrieunfall“-  und „Wasser“-Konvention. Eine gemeinsame Arbeitsgruppe beider Konventionen (Joint Expert Group) entwickelte unter der Federführung des UBA z.B. die UNECE Leitfäden für  „Pipeline Safety“ (2006/7) und „Tailing Management Facilities“ (2008/9). Beide Leitfäden wurden durch alle UNECE-Mitgliedsstaaten verabschiedet. 

Nach dem „Rotschlamm“-Unfall in Ungarn 2010 werden durch die ungarischen Behörden die Inspektions-Richtlinien speziell auf Grundlage dieser Safety Guideline for Tailing Management Facilities überarbeitet. Im Rahmen von Betratungshilfeprojekten in der Ukraine, Armenien, Georgien und Kirgisistan in den Jahren 2013-2022 wurde eine Methode zur Bewertung von TMFs erarbeitet und Checklisten zu diesem Thema erstellt.

Weiterhin wurde im Rahmen eines Beratungshilfeprojektes zum grenzüberschreitenden Risikomanagement im Donaudelta, gemeinsam mit der UNECE,  ein Leitfaden zur Sicherheit von Öl-Terminals ausgearbeitet.

Checklisten

Die sicherheitstechnischen Empfehlungen bieten zwar die Vorgabe eines generellen Basisniveaus der Anlagensicherheit, doch die ausführenden Behörden sind jedoch immer mit dem Problem konfrontiert mit welchen konkreten Maßnahmen sich diese Sicherheit realisieren lässt. 
Aus diesem Grund entwickelt das Umweltbundesamt seit 2000 die sicherheitstechnischen Empfehlungen/Leitfäden weiter zu Checklisten, die, kombiniert mit einem Maßnahmenkatalog, eine konkrete Umsetzungsstrategie für das geforderte Sicherheitsniveau ermöglichen.

Checklisten eignen sich zudem ausgezeichnet als Schulungsgrundlage für Trainingsprogramme für Inspektoren und Inspektorinnen. Diesbezüglich durchgeführte Beratungshilfe-Vorhaben ermöglichen eine systematische Darstellung des Sicherheitskonzeptes und vermitteln innerhalb der der UNECE-Region und bis nach China einen einheitlichen Bewertungsmaßstab und hilfreiche Empfehlungen für mögliche Sanierungen.

In China werden die Checklisten mittlerweile vom chinesischen Emergency Response Center in Zusammenarbeit mit der Tsinghua Universität und dem Umweltüberwachungsbüro in Jilin weiter entwickelt. Dabei wurde das Konzept der deutschen Checkliste als Grundlage verwendet und ebenso die Klassifizierung gefährlicher Chemikalien. Zusätzlich wurde zur Wasserverschmutzung noch Luftverschmutzung in die chinesische Checkliste aufgenommen.

 

Krisenmanagement

Unsere zentralen Arbeiten dazu erfolgten innerhalb der IKSE zu Beginn der 90er Jahre:  Während am Rhein bereits ein Int. Warn- und Alarmplan Rhein (IWAR) etabliert war, mussten an der Elbe diese Grundsätze mit der Tschechischen Republik harmonisiert werden.

Von uns wurde daher zunächst ein auf dem IWAR basierender Internationaler Warn- und Alarmplan Elbe initiiert. Ein wesentliches neues Element waren dabei diskrete Auslöse-Schwellen der Alarmierung basierend auf Emissionsmengen wassergefährdender Stoffe. Die jeweilige Wassergefährdung wurde bestimmt durch Wassergefährdungsklassen (WGK) bzw. eine Relation dieser WGKs zu R-Sätzen nach dem europäischen Chemikaliengesetz (ChemG). Die Unterschiede der Emissionen wassergefährdender Stoffe wurden in einem einfachen Matrix-System im 10er Logarhythmus dargestellt. Dies war ein vollkommen neuer Ansatz der selbst innerhalb des ⁠UBA⁠ zunächst konsentiert werden musste. Im Weiteren erfolgte eine Zustimmung in der Störfall-Kommission (SFK-Dokument: Orientierungswerte für Störfallbeurteilungswerte bei Gewässerschäden) und mittlerweile wurde dieser Ansatz nicht nur bei der Elbe sondern auch der Donau und Oder, sowie in verschiedenen osteuropäischen und kaukasischen Flusseinzugsgebieten (Njeman, Dnestr, Kura) akzeptiert.

Die im IKSE Warn- und Alarmplan erstmals entwickelte R-Satz Relation der wassergefährdenden Stoffe wurde im UBA dann weiterentwickelt zu einem Punktesystem  und führte zur Verwaltungsvorschrift wassergefährdende Stoffe (VwVwS), die in 2017 mit Inkrafttreten der bundeseinheitlichen Verordnung zum Umgang mit wassergefährdenden Stoffen (AwSV) außer Kraft gesetzt wurde. Mittlerweile ist dieses Punktesystem der R-Sätze auf das neue Global Harmonised System adaptiert.

Das in Verbindung mit den Emissionsmengen entwickelte Matrixsystem wiederum ermöglichte eine einfache Normierung und Klassierung des Wassergefährdungspotentials von Unfällen, aber auch von Anlagen nach dem sogenannten „Gewässerschadensindex“ (GSI) bzw. nach der englischen und mittlerweile weit verbreiteten Version  „Water Risk Index“ (WRI).

Water Risk Index (WRI)

Der WRI entspricht dem dekadischen Logarithmus zur Basis 10 der WGK 3 – Stoffmenge. Das heißt, dass z.B. eine Stoffmenge von 1000 Tonnen  (10 6  Kg) eines WGK 3 – Stoffes einem WRI von 6 entspricht (log 10 6).

Für die Bewertung vorhandener WGK 2-, WGK 1- und WGK „0“- Stoffmengen wurden diese auf WGK 3-Stoffäquivalente normiert. Aus Vereinfachungsgründen erfolgt dies durch eine Abstufung mit dem Faktor 10.

Das heißt, WGK 2-Stoffmengen entsprechen 10%, WGK 1- Stoffmengen 1 % und WGK „0“-Stoffmengen 0,1 % einer vergleichbaren WGK 3-Stoffmenge. Auf einen Gewässereintrag von 1000 Kilogramm WGK „0“, 1, 2 oder 3 Stoffe bezogen, würde dies zu einem WRI von 0,1, 2,  bzw. 3 führen.

Dieser WRI wurde z.B. innerhalb der Internationalen Kommission zum Schutz der Donau (IKSD) dafür genutzt, um im Donaueinzugsgebiet eine Inventarisierung von über 600 hoch wassergefährdenden Einrichtungen zu erhalten.

Karte mit Übersicht der wassergefährdenden Einrichtungen entlang der Donau mit Ausweisung des WRI
Inventarisierung wassergefährdender Einrichtungen an der Donau
Quelle: IKSD