Bewertung & Regulierung von Chemikalien Mischungen unter REACH
Chemikalien werden in der weiteren Verarbeitung oft gemischt und häufig gemeinsam mit anderen Chemikalien in die Umwelt freigesetzt. REACH bewertet bislang nur einzelne Chemikalien und leitet akzeptable Umweltkonzentrationen ab. Durch die gemeinsame Exposition und Zusammenwirken können zusätzliche Risiken entstehen. Daher ist es wichtig, Mischungen von Chemikalien zu bewerten und zu regulieren.
Chemikalien werden in der Regel zur weiteren Verarbeitung in Formulierungen (z.B. Farben und Lacke) oder Erzeugnissen (z.B. Autoreifen) mit anderen Chemikalien gemischt. Sie können im Laufe ihres Lebenszyklus (d.h. während der Herstellung, Verwendung, oder Entsorgung) über verschiedene Wege in die Umwelt gelangen, wo bereits andere Chemikalien vorkommen. Es gibt verschiedene Ebenen der Komplexität (siehe Abbildung 1): Während einzelne Chemikalien noch relativ einfach zu erfassen oder definieren sind, ist dies für komplexere Mischungen schwieriger. Man kann hierbei zwischen beabsichtigten und unbeabsichtigten Mischungen unterscheiden.
Beabsichtigte Mischungen entstehen, wenn Chemikalien für einen bestimmten Zweck kombiniert werden, z.B. in Formulierungen wie Farben oder Lacke. Die Zusammensetzung beabsichtigter Mischung ist zumindest dem formulierenden Hersteller bekannt.
Unbeabsichtigte Mischungen entstehen, wenn Chemikalien freigesetzt werden und in Kläranlagen oder Umweltmedien (z.B. Flüssen) zusammen vorkommen. Ihre Zusammensetzung ist meist unbekannt und komplex.
Chemikalien kommen gemeinsam vor und wirken zusammen
Da Chemikalien in der Regel in Gemischen oder Erzeugnissen weiterverarbeitet werden, sind sie nur selten isoliert. Auch Monitoring-Daten zeigen, dass Chemikalien nicht alleine in der Umwelt vorkommen, sondern aus verschiedenen Eintragswegen in die Umwelt gelangen können und dort in komplexen Mischungen vorliegen.
Außerdem ist bekannt, dass Chemikalien zusammenwirken. Dies wird mit dem Begriff Kombinationswirkung beschrieben. So wurde zum Beispiel in Laborstudien gezeigt, dass Chemikalien in Mischungen deutliche messbare Effekte in Organismen hervorrufen können, obwohl jede einzelne Chemikalie in Konzentrationen unterhalb von „sicheren“ Grenzwerten in der Test-Mischung vorhanden war. Chemikalien können also bei der Risikobewertung nicht einfach isoliert für sich berücksichtigt werden.
Um das Zusammenwirken zu beschreiben haben sich zwei unterschiedliche Konzepte etabliert: Konzentrationsadditivität und Unabhängige Wirkung. Beide können genutzt werden um die Mischungstoxizität oder Kombinationswirkung von Chemikalienmischungen auf Grundlage der Toxizität der einzelnen Chemikalien zu berechnen. Sie beruhen auf unterschiedlichen Annahmen: Während „Konzentrationsadditivität“ davon ausgeht, dass alle Chemikalien in einer Mischung auf die gleiche Art und Weise wirken, nimmt „Unabhängige Wirkung“ unterschiedliche Wirkweisen der einzelnen Chemikalien an.
Beide Konzepte gehen davon aus, dass keine Wechselwirkungen zwischen den Chemikalien stattfinden, d.h. sie sich in ihrer Wirkweise nicht gegenseitig beeinflussen. Wechselwirkungen können zum Beispiel auftreten, wenn ein Stoff die Aufnahme eines anderen Stoffes im Organismus fördert und höhere Effekte hervorruft oder sich Wirkungen gegenseitig aufheben. Wenn sich die Wirkung verstärkt und mehr als „additiv“ ist, spricht man von „Synergismus“, wenn sie weniger als vorhergesagt ist und sich abschwächt, von „Antagonismus“. Doch solche Wechselwirkungen sind selten.
Es gibt Hinweise, dass die Risiken für die Umwelt durch das gemeinsame Vorkommen und das Zusammenwirken von Chemikalien derzeit in vielen Fällen unterschätzt werden. Um Mischungen mit Hilfe der bestehenden Konzepte zu bewerten, werden Daten zur Zusammensetzung, der Exposition und Effektkonzentrationen der Komponenten benötigt. Wenn diese Daten verfügbar sind können Bewertungen für gut definierte Mischungen gemacht werden. Die Konzepte wurden in vielen wissenschaftlichen Studien überprüft und angewendet und haben auch Eingang in die regulatorische Praxis gefunden, d.h. sie werden bereits im Kontext verschiedener Regulierungen verwendet und in Konzepte zur Risikobewertung integriert.
Keine umfassende Bewertung von Chemikalien-Mischungen unter REACH
Im Rahmen der europäischen Chemikalienverordnung REACH (Verordnung (EG) 1907/2006 zur Registrierung, Bewertung, Zulassung und Beschränkung von Chemikalien) werden die Risiken von einzelnen Chemikalien bewertet und Umweltkonzentrationen für registrierte Chemikalien abgeleitet, die als sicher betrachtet werden. Während die Unternehmen für die Stoffsicherheitsbeurteilung aller Chemikalien verantwortlich sind, können Behörden in Einzelfällen gezielte Maßnahmen ergreifen. REACH ist eine Einzelstoff-Regulierung.
Es gibt derzeit keine expliziten rechtlichen Vorgaben unter REACH, um mögliche zusätzliche Risiken durch Chemikalien-Mischungen zu adressieren. REACH macht lediglich die generelle Vorgabe, dass die sichere Verwendung von Chemikalien als solche in Gemischen und in Erzeugnissen gewährleistet sein soll. An dieser Stelle weist REACH Regelungslücken auf, da das Zusammenkommen und -wirken mehrerer Stoffe nicht explizit genannt ist und die Umsetzung dieser Vorgabe unklar ist. Eine explizite Bewertung der möglichen Risiken durch beabsichtigte oder unbeabsichtigte Mischungen findet nicht statt. Beabsichtigte Mischungen werden derzeit nur im Kontext der Einstufung und Kennzeichnung von Gemischen berücksichtigt. Dabei wird geprüft, ob Bestandteile des Gemisches als gefährlich eingestuft sind und somit auch das Gemisch als gefährlich einzustufen ist.
Möglichkeiten & Herausforderungen für eine bessere Umweltbewertung im REACH-Kontext
Es gibt verschiedene Ansätze um von der derzeitigen Einzelstoffbewertung hin zu einer besseren Berücksichtigung von beabsichtigten und unbeabsichtigten Mischungen zu kommen. Diese hat das UBA in mehreren Forschungsvorhaben untersucht.
Ein erster Schritt zu einer verbesserten Bewertung von Chemikalien ist die Berücksichtigung der Freisetzung einer einzelnen Chemikalie aus mehreren Verwendungen über den gesamten Lebenszyklus, die sogenannte aggregierte Exposition. Hierzu gibt es Vorschläge aus einem UBA-Forschungsvorhaben zur Bestimmung der aggregierten Gesamtkonzentration eines Stoffes in der Umwelt (Groß et al. 2011).
Die Zusammensetzung von beabsichtigten Gemischen ist dem Anwender zwar theoretisch bekannt. In der Praxis werden Informationen über die Zusammensetzung und die Eigenschaften der Chemikalien jedoch häufig nicht entlang der kompletten Lieferkette und an alle Akteure weitergegeben. Auch Daten zur Freisetzung der Chemikalien sind nur sehr selten transparent verfügbar. Um die Kommunikation von Daten für beabsichtigte Gemische entlang der Lieferkette zu verbessern, haben die Industrieverbände VCI und CEFIC die sogenannte LCID (Lead Substance Identification) -Methode sowie SUMI (Safe Use of Mixtures Information) vorgeschlagen (CEFIC 2016). Das Umweltbundesamt sieht hierzu Verbesserungsmöglichkeiten für eine Bewertung von Mischungen (Reihlen et al. 2012, Galert & Hassold 2021).
Die Möglichkeiten um unbeabsichtigte Mischungen zu adressieren wurden in einem, vom UBA initiierten, Forschungsprojekt untersucht (Bunke et al. 2014). Spezifische Bewertungen mit Hilfe bestehender Konzepte sind theoretisch für bekannte und definierbare Mischungen mit hinreichenden Daten möglich. Das umfasst die Vorhersage der Mischungstoxizität oder eine Risikocharakterisierung über Summation der einzelnen Risikoquotienten. Die hauptsächlichen Herausforderungen sind die Verfügbarkeit und Kommunikation der Daten zu Effekten, Exposition und Zusammensetzung von komplexen Mischungen. Darüber hinaus variieren die Verantwortlichkeiten, Aufgaben und die Informationslage der unterschiedlichen Akteure (siehe Abbildung 2). Dies erschwert die Bewertung von Chemikalien-Mischungen durch den Registranten oder Anwender.
Letztendlich müssten alle in der Umwelt zusammen vorkommen Stoffe bei der Umweltbewertung Berücksichtigung finden und neben REACH Chemikalien auch Hintergrundbelastungen von Pflanzenschutzmitteln, Arzneimitteln oder Bioziden berücksichtigt werden.
Derzeitige Optionen für eine Umweltbewertung von Chemikalien-Mischungen unter REACH
Die Bewertung von Mischungen ist komplex. Aufgrund der Vielzahl an möglichen Kombinationen wäre eine enge Priorisierung und gute Datenlage erforderlich, um die Mischungen mit relevanten Risiken zu identifizieren um sie dann zu bewerten. Bewertungen können einerseits durch die Unternehmen, aber auch ggf. durch die Behörden durchgeführt werden. Das UBA hat verschiedene Möglichkeiten für eine Bewertung von Mischungen unter REACH und ihre Herausforderungen in einer Veröffentlichung zusammengefasst und grundlegende Vorschläge herausgearbeitet (Hassold et al. 2021). Diese sind in Abbildung 5 skizziert.
Eine verbesserte Datenlage zu den Emissionen und Umweltvorkommen von Stoffkombinationen und Ökotoxikologischen Effekten sowie deren Verfügbarkeit in Datenbanken für verschiedene Akteure ist eine entscheidende Grundlage für alle Mischungsbewertungen.
Die Umweltrisiken von beabsichtigten Mischungen sollten durch die Unternehmen (Registranten und Anwender) bewertet werden um deren sichere Verwendung zu gewährleisten. Hierzu sollten bestehende Methoden & Tools der Industrieverbände (wie „LCID“ und „SUMI“, s.o.) verbessert werden. Diese sollten, anstatt nur eine Leitsubstanz zu berücksichtigen, das Zusammenwirken mehrerer Chemikalien berücksichtigen.
Es ist Aufgabe der Behörden in begründeten Fällen gezielte Bewertungen vorzunehmen oder Regulierungsmaßnahmen für Chemikalien zu ergreifen um Umweltrisiken zu adressieren. Dies würde auch Umweltrisiken durch unbeabsichtigte Mischungen oder gut definierte Gruppen von Stoffen umfassen. Jedoch ist dies sehr aufwändig und abhängig von verfügbaren Daten für gut definierte Mischungen.
Die Kommunikation von Daten, welche zur Berücksichtigung unbeabsichtigter Mischungen von REACH-Chemikalien aus verschiedenen Eintragswegen nötig wären, ist extrem komplex. Relevante Daten stehen daher oft nicht zur Verfügung. Daher sind spezifische Bewertungen von unbeabsichtigten Mischungen nur in Einzelfällen möglich. Deshalb wird eine generische Berücksichtigung von Mischungen mit Hilfe fester Faktoren oder Obergrenzen (Mischungsallokationsfaktor „MAF“) im Rahmen der Einzelstoffbewertung als Möglichkeit diskutiert, um das Zusammenkommen und Zusammenwirken bei der Umweltrisikobewertung abzubilden. Im Kontext des European Green Deal (EU COM 2019) und der Chemikalienstrategie für Nachhaltigkeit (EU COM 2020, EU COM SWD) plant die EU Kommission bis Ende 2022 einen Vorschlag zur Ausgestaltung eines Mischungs-Allokationsfaktor (MAF) unter REACH zu erarbeiten um mögliche Risiken durch Mischungen generisch zu adressieren. Das Umweltbundesamt begleitet zusammen mit anderen nationalen und europäischen Behörden die Entwicklung von Methoden zur Risikobewertung von Mischungen (z.B. des MAF), so dass diese zukünftig besser reguliert werden können.
Referenzen
Der Text wurde auf Basis der aufgeführten Veröffentlichungen erstellt. Weiterführende Referenzen sind in den genannten Veröffentlichungen zu finden.
Eine Übersicht zu Forschungsvorhaben und Veröffentlichungen finden Sie auch hier.
Dirk Bunke, Rita Groß, Fritz Kalberlah, Jan Oltmanns, Markus Schwarz, Antonia Reihlen, Ninja Reineke (2014): Mixtures in the Environment – Development of Assessment Strategies for the Regulation of Chemicals under REACH; Ed. Enken Hassold, Nannett Aust; Texte 65/2014, 08/2014; Umweltbundesamt; FKZ 3711 63 429; https://www.umweltbundesamt.de/en/publikationen/mixtures-in-the-environment-development-of
Anja Coors, Pia Vollmar, Frank Sacher, Astrid Thoma, Dirk Maletzki, Christian Polleichtner, Patrick Schwarz (2017): Joint effects of pharmaceuticals and chemicals regulated under REACH in wastewater treatment plant effluents – Evaluating concepts for a risk assessment by means of experimental scenarios; Ed. Daniela Gildemeister, Ute Kühnen, Enken Hassold; Texte 61/2017, August 2017; Umweltbundesamt; FKZ 3712 64 419; https://www.umweltbundesamt.de/en/publikationen/joint-effects-of-pharmaceuticals-chemicals
UBA-Veröffentlichungen
Hassold, Galert, Schulze (2021): Options for an environmental risk assessment of chemical mixtures under REACH - the status and ways forward; Environmental Sciences Europe 33:131. https://doi.org/10.1186/s12302-021-00565-0
Galert W, Hassold E. (2021). Environmental risk assessment of technical mixtures under the European REACH regulation – a regulatory perspective. Integrated Environmental Assessment and Management 17 (3): 498-506. DOI: 10.1002/ieam.4393
Coors, Anja, Pia Vollmar, Frank Sacher, Christian Polleichtner, Enken Hassold, Daniela Gildemeister, Ute Kühnen (2018): Prospective environmental risk assessment of mixtures in wastewater treatment plant effluents – theoretical considerations and experimental verification; Water Research 140: 56-66
Hassold, E., Drost, W., Juffernolz, T., Aust, N. (2010): Berücksichtigung von Chemikalien-Mischungen bei der Umweltrisikobewertung; Umwelt und Mensch Informationsdienst (UMID) 4: 39-42
Sonstige Referenzen
Commission (2019) Communication from the commission to the European parliament, the European council, the council, the European economic and social committee and the committee of the regions. The European Green Deal. European Commission. COM (2019) 640 final.
Commission (2020). Progress report on the assessment and management of combined exposures to multiple chemicals (chemical mixtures) and associated risks (staff working document accompanying the communication of the commission on the "chemicals strategy for sustainability towards a toxic-free environment"). European commission. SWD(2020) 250 final
Commission (2020). Communication From The Commission To The European Parliament, The Council, The European Economic And Social Committee And The Committee Of The Regions. Chemicals Strategy for Sustainability. 14.10.2020. COM(2020) 667 final
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