IG-I-1: Hitzebedingte Minderung der Leistungsfähigkeit
Monitoringbericht 2023 zur Deutschen Anpassungsstrategie an den Klimawandel
Monitoringbericht 2023 zur Deutschen Anpassungsstrategie an den Klimawandel
Durch die Klimaerwärmung können Belastungen durch sommerliche Hitze am Arbeitsplatz künftig zunehmen – sowohl in Gebäuden als auch im Freien. Über 40 % der Befragten der Umweltbewusstseinsstudie erwarten, dass Hitze sich künftig stark oder sehr stark auf ihre Leistungsfähigkeit am Arbeitsplatz auswirkt. Das Arbeitsschutzrecht sieht Maßnahmen vor, um an Arbeitsplätzen ein gesundheitlich zuträgliches Raumklima zu gewährleisten.
Steigende Temperaturen und steigende absolute Luftfeuchtigkeit haben einen erheblichen Einfluss auf die Gesundheit und Arbeitsproduktivität der Beschäftigten. Auswirkungen entstehen nicht nur in Form einer erhöhten Krankheitsanfälligkeit, eine abnehmende Konzentration führt auch zu erhöhter Fehler- und Unfallanfälligkeit, die ebenfalls zu Produktivitätseinbußen führt.179 Extreme Hitzewellen bringen zusätzliche Gesundheitsrisiken: Steigen die Außentemperaturen über die menschliche Solltemperatur von 37 °C, kann der Körper seine Kerntemperatur nur durch Schwitzen in einem gesunden Bereich halten. Eine hohe Luftfeuchtigkeit und die gegebenenfalls notwendige Arbeitskleidung können die Schweißverdunstung einschränken und damit die Fähigkeit des Körpers, seine Temperatur zu regulieren. Die Folgen können starke Dehydrierung, Hitzeerschöpfung, ein Sonnenstich oder ein Hitzekollaps sein. Auch ein Anstieg der Körpertemperaturen in lebensbedrohliche Bereiche über 40 °C ist unter widrigen Umständen möglich, was einen lebensbedrohlichen Hitzeschlag zur Folge haben kann.180
Für Innenraumarbeitsplätze zeigte sich in vielen der Studien ein signifikanter Zusammenhang zwischen der Leistungsfähigkeit und dem sogenannten thermischen Behaglichkeitsbereich. Weichen die Raumtemperaturen von diesem Bereich nach unten oder oben ab, nimmt die Leistungsfähigkeit ab. Als thermisch behaglich wird ein Raumklima dann bezeichnet, wenn der Mensch Lufttemperatur, Luftfeuchte, Luftbewegung und Wärmestrahlung in seiner Umgebung als optimal empfindet und weder wärmere noch kältere, weder trockenere noch feuchtere Raumluft wünscht. Für die Sommermonate werden für Beschäftigte mit sitzenden und leichten Tätigkeiten Temperaturen zwischen 23 °C bis 26 °C als Behaglichkeitsbereich angesehen. Maßnahmen zum sommerlichen Wärmeschutz, beispielsweise eine Verschattung oder Klimatisierung mit energieeffizienten regenerativen Kühltechniken, können in Innenräumen helfen, die Temperaturen klimafreundlich in diesem Bereich zu halten.
In Deutschland arbeiten rund 2 bis 3 Millionen Menschen überwiegend oder zeitweise im Freien und sind ganzjährig den herrschenden Wetter- und Witterungsbedingungen ausgesetzt. Zunehmende Belastung durch Hitze, natürliche UV-Strahlung und andere klimatische Veränderungen betreffen diese Menschen deutlich unmittelbarer als solche, die ihrer beruflichen Betätigung in Gebäuden nachgehen. Die Tätigkeiten im Freien erbringen geschätzte 10 bis 15 % der Wertschöpfung der Volkswirtschaft und sind hauptsächlich in den Sektoren Land- und Forstwirtschaft und Baugewerbe sowie in Teilbereichen der Industrie- und der Dienstleistungssektoren angesiedelt.
Der Vergleich der Ergebnisse der Studien „Umweltbewusstsein in Deutschland“ aus den Jahren 2012 bis 2021 zeigt, dass seit 2014 ein stabil hoher Anteil von über 40 % der Befragten erwartet, in ihrer Leistungsfähigkeit am Arbeitsplatz künftig stark oder sehr stark von einer zunehmenden Hitzebelastung betroffen zu sein. 2021 lag dieser Anteil bei 44 %.181 Im Jahr 2012 rechnete nur ein Viertel der Befragten mit solchen hitzebedingten Auswirkungen auf ihre Leistungsfähigkeit am Arbeitsplatz.
Der thermische Komfort von Beschäftigten beeinflusst ihre Arbeitsfähigkeit und hat daher direkten Einfluss auf die Produktivität von Unternehmen beziehungsweise letztendlich der gesamten Volkswirtschaft. Studien nehmen für Zeiten hoher Hitzebelastung für Mitteleuropa als Folge unter anderem von verringerter Konzentrationsfähigkeit und daraus entstehenden Fehlern sowie häufigeren und schwereren Arbeitsunfällen Produktivitätsabnahmen von bis zu 12 % an, wobei das Ausmaß der erwarteten Einbußen unter anderem mit der Intensität der Hitzebelastung zusammenhängt.182 In einer Abschätzung auf Basis dieser Annahmen wurden für die Jahre 2018 und 2019 die Auswirkungen sommerlicher Hitzewellen auf die Arbeitsproduktivität berechnet. Aufgrund der aufgetretenen Hitzetage und unter Berücksichtigung von unterschiedlichen Anpassungsmöglichkeiten in den Wirtschaftszweigen wurden die direkten Schäden durch hitzebedingte Produktionseinbußen für die beiden Jahre auf insgesamt 5 Mrd. Euro geschätzt. Hinzu kommen der Schätzung zufolge indirekte Schäden, etwa durch fehlende, verspätete oder qualitativ schlechtere Vorleistungen, in Höhe von 3,5 bis 5,3 Mrd. Euro, sodass sich der Gesamtschaden für die beiden Jahre in einer Größenordnung von 8,5 bis 10,3 Mrd. Euro bewegt.183 Allerdings unterliegen diese Abschätzungen erheblichen Unsicherheiten. In einigen Studien werden etwa für die Baubranche sogar Produktivitätszuwächse angenommen, da sich die Zeitfenster für Arbeiten im Freien im Jahresverlauf verlängern können.184 Insgesamt ergibt sich kein eindeutiges Bild der Klimawandelfolgen auf Produktivität und wirtschaftliche Leistungsfähigkeit.
Die einschlägigen Arbeitsstättenregeln formulieren verschiedene Vorgaben, um die Gesundheit und damit auch die Leistungsfähigkeit der Beschäftigten in Gebäuden auch bei hohen Außenlufttemperaturen von über 26 °C zu erhalten. Überschreiten die Raumlufttemperaturen in Arbeitsräumen die Schwelle von 26 °C beziehungsweise 30 °C, sollen beziehungsweise müssen Maßnahmen ergriffen werden. Unternehmen können beispielsweise dafür sorgen, dass geeignete Sonnenschutzvorrichtungen installiert und effektiv eingesetzt, die Räumlichkeiten in den frühen Morgenstunden ausreichend gelüftet, innere Wärmelasten reduziert, Arbeitszeiten verschoben und Erfrischungsgetränke bereitgestellt werden. Auch kann es sinnvoll sein, bestehende Bekleidungsordnungen zu lockern. Dabei ist technischen Maßnahmen wie Ventilatoren und organisatorischen Maßnahmen, zum Beispiel Pausen in kühleren Räumen, Vorrang gegenüber personenbezogenen Maßnahmen zu geben. Ab über 35 °C ist der Arbeitsraum als solcher nicht mehr geeignet, es sei denn, es werden Maßnahmen wie bei Hitzearbeit ergriffen.185
In vergleichbarer Weise sieht das Arbeitsschutzrecht für Arbeiten im Freien Maßnahmen vor, um Beschäftigte vor negativen gesundheitlichen Folgen von Hitze zu schützen. Unternehmen können beispielsweise auf Baustellen Anlagen einrichten lassen, mit denen Arbeitsorte beschattet oder belüftet werden können. Vor allem können sie organisatorische Maßnahmen ergreifen, indem die Arbeitszeiten der Witterung angepasst, ausreichend lange Pausenzeiten angeordnet, eine gute Getränkeversorgung sichergestellt und die Mitarbeitenden im Rahmen von Schulungen auf mögliche Gefahren und die entsprechenden Gegenmaßnahmen hingewiesen werden.
179 - Trenczek J., Eiserbeck L., Lühr O., Sandhövel M., Ibens D. 2022: Schäden der Dürre- und Hitzeextreme 2018 und 2019. Eine ex-post-Analyse. Prognos AG. 71 S. https://www.prognos.com/sites/default/files/2022-07/Prognos_KlimawandelfolgenDeutschland_Detailuntersuchung%20Hitzesommer%2018_19_AP2_3a_.pdf.
180 - Glitz K. J., Bux K., Catrein B., Dietl P., Engelmann B., Gebhardt H., Groos S., Kampmann B., Kluth K., Leyk D., Zander P., Klußmann A. 2022: AWMF-S2k-Leitlinie Arbeiten unter klimatischen Belastungen. Deutsche Gesellschaft für Arbeitsmedizin und Umweltmedizin e.V. (Hg.). Version 1, 94 S. https://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/002-045.html.
181 - infas – Institut für angewandte Sozialwissenschaft GmbH 2022: Tabellenband – Zusatzbefragung im Rahmen der Umweltbewusstseinsstudie 2020. Themenbereich: Klimaanpassung. Bonn, 39 S.
https://www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/2378/dokumente/tabellenband_ubs_zusatzbefragung_sept_2021_klimaanpassung.pdf.
182 - Trenczek et al. 2022, siehe Endnote 179
183 - Trenczek et al. 2022, siehe Endnote 179
184 - Urban H., Steininger K.W. 2015: Manufacturing and Trade: Labour Productivity Losses. In: Steininger K., König M., Bednar-Friedl B., Loibl W., Kranzl L., Prettenthaler F., Haas W., Formayer H., Goetzl M., Zulka K. 2015: Economic Evaluation of Climate Change Impacts – Development of a Cross-Sectoral Framework and Results for Austria. Basel: 301–322. doi: 10.1007/978-3-319-12457-5.
185 - Technische Regel für Arbeitsstätten – ASR A3.5 Raumtemperatur, Ausgabe: Juni 2010 (GMBl 2010, S. 751, zuletzt geändert GMBl 2022, S. 198). https://www.baua.de/DE/Angebote/Rechtstexte-und-Technische-Regeln/Regelwerk/ASR/ASR-A3-5.html.