BD-I-2: Temperaturindex der Vogelartengemeinschaft
Monitoringbericht 2023 zur Deutschen Anpassungsstrategie an den Klimawandel
Monitoringbericht 2023 zur Deutschen Anpassungsstrategie an den Klimawandel
Der Klimawandel führt zu Veränderungen von Artengemeinschaften. Bei 88 in Deutschland häufig vorkommenden Brutvogelarten haben sich in den Jahren 1990 bis 2019 die relativen Häufigkeiten zu Gunsten wärmeliebender Arten beziehungsweise zu Ungunsten kältetoleranter Arten verschoben
Vögel reagieren auf viele Veränderungen ihrer Umwelt vergleichsweise sensibel. Dies führt dazu, dass sich die Zusammensetzung von Vogelgemeinschaften in Abhängigkeit von Umwelteinflüssen stark verändern kann. In der Regel sind diese Veränderungen Ergebnis des Zusammenwirkens vieler unterschiedlicher Einflussfaktoren. Eine alleinige Ursache für den Wandel von Artengemeinschaften und den Rückgang oder Ausfall einzelner Arten gibt es in der Regel nicht. Wissenschaftliche Untersuchungen belegen jedoch, dass Klimaveränderungen hierbei neben dem Landnutzungswandel eine entscheidende Rolle spielen können.
Brutvögel haben in der Brutzeit artspezifische Temperaturansprüche. Diese sind beispielsweise beim Braunkehlchen (Saxicola rubetra), dem Sprosser (Luscinia luscinia) und dem Gelbspötter (Hippolais icterina) niedriger als beim Schwarzkehlchen (Saxicola rubicola), der Nachtigall (Luscinia megarhynchos) und dem Orpheusspötter (Hippolais polyglotta). Nehmen bedingt durch den Klimawandel die Temperaturen in der Brutzeit im langfristigen Mittel zu, dann finden wärmeliebende Arten bessere Bedingungen vor und werden im Vergleich zu anderen Vogelarten häufiger. Umgekehrt werden kältetolerante Arten im Vergleich zu anderen Vogelarten seltener.
In den Jahren 1990 bis 2019 lässt sich eine solche Entwicklung anhand von 88 in Deutschland häufig vorkommenden Brutvogelarten beobachten. In diesem Zeitraum haben sich – wie der Temperaturindex häufiger Brutvogelarten zeigt – die relativen Häufigkeiten der betrachteten Vogelarten zu Gunsten wärmeliebender Arten beziehungsweise zu Ungunsten kältetoleranter Arten verschoben. Die Entwicklung des gleitenden 5-Jahresmittels des Temperaturindex zeigt seit 1994 zunächst einen Anstieg bis ungefähr 2010, danach eine leicht rückläufige Entwicklung bis 2013, auf die wiederum ein deutlicher Anstieg folgte. Die Entwicklung zwischen 2010 und 2013 lässt sich zunächst auf Witterungseinflüsse zurückführen, die unabhängig vom langfristigen klimatischen Trend wirkten. Von 2009/2010 bis 2012/13 gab es eine Reihe strenger Winter in Folge mit negativen Auswirkungen auf die Bestände vieler Brutvögel. Die Entwicklungen seit 2013 zeigen, dass der längerfristig positive Trend des Indikators trotz kurzfristig nivellierender Effekte durch die genannten Winter zwischen 2009 und 2013 fortbesteht. Es wird aber auch deutlich, dass dem Auftreten von Witterungsextremen für ökologische Veränderungsprozesse auch bei fortschreitender klimatischer Erwärmung eine große Bedeutung zukommt.
Vögel werden in unterschiedlichen Teilen ihres Jahreszyklus von Temperaturveränderungen beeinflusst so bei Brut, Überwinterung und der Rekrutierung neuer Brutvögel in die Population. Daher kann sich infolge des Klimawandels die Phänologie, das heißt der Lebenszyklus von Arten verändern. Insbesondere in Afrika südlich der Sahara überwinternde Vogelarten können durch solche Effekte negativ beeinflusst werden. Beim Trauerschnäpper (Ficedula hypoleuca) ist beispielsweise bekannt, dass er bei früherem Frühjahrsbeginn teilweise zu spät aus dem Winterquartier zurückkommt, um die Hauptverfügbarkeit von Raupen als Nahrung für seine Jungvögel nutzen zu können.
Zur Berechnung des Temperaturindex wird jeder der 88 Arten ein artspezifischer Temperaturanspruchswert zugeordnet, der aus der durchschnittlichen Temperatur für den Referenzzeitraum 1961–1990 innerhalb des europäischen Verbreitungsgebiets der Art ermittelt wird. Diese artspezifischen Temperaturanspruchswerte gehen – nach der relativen Häufigkeit der Art im jeweiligen Jahr gewichtet – in die Berechnung des Index ein. Je stärker der Einfluss des Temperaturanstiegs auf die betrachtete Gruppe der Vögel, desto stärker verschieben sich die relativen Häufigkeiten der Arten untereinander zugunsten wärmeliebender Arten und desto stärker nimmt der Temperaturindex häufiger Brutvogelarten langfristig zu. Die gezeigten Indexwerte beziehen sich auf ganz Deutschland, das bedeutet, dass Aussagen zu einer veränderten Zusammensetzung regionaler Brutvogelgemeinschaften hiermit nicht möglich sind.
Auch andere Artengruppen wie Tagfalter oder Gefäßpflanzen können als Zeiger für langfristige Temperaturveränderungen im Klimawandel dienen (siehe Indikatoren BD-I-3, BD-I-1 und FW-I-1). Dabei zeigen sich Artverschiebungen am deutlichsten in ökologischen Grenzregionen wie den Gebirgen. So haben europaweit angelegte Untersuchungen der Vegetation in den Gipfelbereichen der Gebirge oberhalb der Baumgrenzen ergeben, dass sich die dortigen Artengemeinschaften der Gefäßpflanzen in ihrer Zusammensetzung verändern. Hier siedeln sich wärmeliebende Arten aus tiefer gelegenen Gebieten an. Auch in Flüssen, Seen und den Meeren vollziehen sich bereits Veränderungen der Zusammensetzung von Artengemeinschaften (siehe Indikatoren FI-I-1 und FI-I-3).
Neben Verschiebungen der Arthäufigkeiten innerhalb bestehender Artengemeinschaften führt der Klimawandel auch zur Einwanderung und Ausbreitung von Arten, die zuvor nicht in unseren Breiten vorkamen. Diese Entwicklungen vollziehen sich sowohl bei Pflanzen als auch bei Tieren. Beispiele hierfür sind der Orpheusspötter (Hippolais polyglotta), der aus Südwesteuropa kommend in den 1980er-Jahren als Brutvogel nach Deutschland eingewandert ist und sich derzeit tendenziell weiter ausbreitet, oder die Gottesanbeterin (Mantis religiosa), die sich seit den 1990er-Jahren vom Mittelmeerraum kommend in Deutschland allmählich weiter Richtung Norden ausbreitet.