Biozide in der Umwelt

Biozidprodukte bekämpfen tierische Schädlinge und Lästlinge, aber auch Algen, Pilze oder Bakterien. Sie werden in vielen Bereichen eingesetzt, etwa als Desinfektionsmittel und Holzschutzmittel bis hin zum Mückenspray und Ameisengift. Biozidwirkstoffe können auch potenziell gefährlich für die Umwelt und die Gesundheit von Mensch und Tier sein.

Inhaltsverzeichnis

 

Zahl der Wirkstoffe für Biozidprodukte

Die Europäische Union (EU) hat 150 Wirkstoffe für die Verwendung in Biozidprodukten genehmigt (Stand 12/2023). Es gibt zahlreiche weitere Wirkstoffe, die als ⁠Altstoffe⁠ noch auf dem Markt sind und zurzeit überprüft werden. ⁠Neustoffe⁠ befinden sich ebenfalls im Prüfverfahren.

 

Meldepflicht von Biozidprodukten

Wie groß die auf dem Markt befindlichen Biozidmengen sind, war lange unbekannt. Für Herstellende oder Einführende gab es bisher keine Mitteilungspflicht über die Menge der jeweiligen Biozidprodukte, die sie in Deutschland verkaufen oder ins Ausland ausführen. Daher war bisher nicht bekannt, welche Mengen an Bioziden in Deutschland hergestellt oder verbraucht werden. Mit der 2021 neu in Kraft getretenen Biozidrechts-Durchführungsverordnung wird sich dies in den kommenden Jahren allerdings ändern. Bis zum 31.03.2022 mussten diese Daten erstmalig an die Bundesstelle für Chemikalien (BfC) gemeldet werden.

Bis die aktuellen Daten vorliegen, liefert die Anzahl der gemeldeten und auf dem deutschen Markt zugelassenen Biozidprodukte einen Anhaltspunkt. Die Herstellenden müssen der Bundesstelle für Chemikalien melden, welche Biozidprodukte sie in Deutschland verkaufen. Die Bundesstelle gibt jährlich bekannt, welche Biozidprodukte aus welcher der 22 Produktarten auf dem deutschen Markt erhältlich sein dürfen. So waren im Juli 2023 ca. 31.600 Biozidprodukte auf dem deutschen Markt verkehrsfähig (ca. 30.000 Biozidprodukte gemeldet und ca. 1.600 Biozidprodukte zugelassen) (siehe Abb. „Verkehrsfähige Biozidprodukte“).

Auf der Internetseite der Europäischen Kommission kann jeder die Bewertungsberichte für biozide Wirkstoffe einsehen, welche in die Unionsliste der genehmigten Wirkstoffe aufgenommen wurden. Zudem sind alle in den einzelnen EU-Mitgliedsstaaten geprüften und zugelassenen Produkte auf der Internetseite der Europäischen Chemikalienagentur (ECHA) aufgeführt.

Ein Kreisdiagramm zeigt, dass im Dezember 2023 in Deutschland circa 30.000 Biozidprodukte verkehrsfähig waren. Davon waren 9.508 Desinfektions- und Algenbekämpfungsmittel, 4.427 Desinfektionsmittel für den Lebens- und Futtermittelbereich und 2.541 Mittel gegen Insekten, Spinnen oder Schalentiere
Verkehrsfähige Biozidprodukte
Quelle: Umweltbundesamt Diagramm als PDF
 

Eintragspfade von Biozidwirkstoffen in die Umwelt

Biozidwirkstoffe sind dazu bestimmt, sogenannte Schadorganismen zu töten oder zu vertreiben, wirken sich jedoch häufig auch auf andere, sogenannte Nicht-Zielorganismen aus, und können deshalb mit hoher Wahrscheinlichkeit auch ungewollte Wirkungen in der Umwelt entfalten. Die Anwendungsbereiche für Biozidprodukte sind zahlreich. Die Palette der Anwendungen reicht von Desinfektions- und Materialschutzmitteln über Mittel zur Bekämpfung von Nagetieren (Rodentizide) und Insekten (Insektizide) bis hin zu Schiffsanstrichen (Antifouling). Insgesamt werden 22 Produktarten (PT) unterschieden. Aufgrund der unterschiedlichen Anwendungsbereiche kommt es zu vielfältigen Einträgen von Biozidwirkstoffen oder ihren Abbauprodukten in die Umwelt. Sowohl direkte als auch indirekte Einträge, wie zum Beispiel über Kläranlagen, sind möglich und können alle Umweltkompartimente wie Oberflächengewässer, Meeresgewässer, Grundwasser, Sedimente, Böden oder die ⁠Atmosphäre⁠ betreffen (siehe Abb. „Eintragspfade von Bioziden in die Umwelt“).

Schaubild: Je nach Verwendungszweck können Biozide entweder direkt oder indirekt in die Umweltkompartimente Oberflächengewässer, Sediment und Boden sowie die Atmosphäre oder das Grundwasser eingetragen werden.
Eintragspfade von Bioziden in die Umwelt
Quelle: Umweltbundesamt
 

Untersuchungen von Bioziden in der Umwelt

Biozide Wirkstoffe sind erst seit kurzer Zeit im Fokus der Öffentlichkeit und werden daher deutlich seltener als zum Beispiel Pflanzenschutzmittel von den Überwachungsprogrammen der Bundesländer erfasst. Einzelne Untersuchungen belegen aber, dass sich auch diese Wirkstoffe in der Umwelt wiederfinden lassen. So wurde beispielsweise die Konzentration des Antifouling-Wirkstoffes Cybutryn (Irgarol®) im Sommer 2013 in 50 deutschen Sportboothäfen untersucht. In 35 der 50 Sportboothäfen lagen die gemessenen Konzentrationen über der ⁠Umweltqualitätsnorm⁠ von 0,0025 Mikrogramm pro Liter (μg/l), welche die EU-Richtlinie 2013/39/EU vorschreibt. Dieser Wert darf als Jahresdurchschnittskonzentration nicht überschritten werden. An fünf Standorten übertrafen die Konzentrationen sogar die zulässige Höchstkonzentration von 0,016 μg/l (siehe Abb. „Cybutryn-Konzentrationen in Sportboothäfen“). Außerdem wurden in einem ⁠Monitoring⁠ in der Fließ- und Stillgewässersimulationsanlage des Umweltbundesamtes ökotoxikologische Wirkungen auf im Binnengewässer lebende Wasserpflanzen und Kleinstlebewesen nachgewiesen. Aufgrund von diesen unannehmbaren Umweltrisiken ist Cybutryn als Antifouling-Wirkstoff seit dem 31. Januar 2017 nicht mehr in der EU verkehrsfähig, darf also nicht mehr gehandelt und verkauft werden. Untersuchungen von Schwebstoffproben der Umweltprobenbank an sieben Standorten von großen deutschen Flüssen zeigten eine Abnahme der Cybutryn-Konzentrationen über die Jahre 2011 bis 2020. Allerdings treten trotz des Verbots des Wirkstoffs noch immer ubiquitär geringe Gehalte in den Schwebstoffen auf (UBA TEXTE 119/2022).

Diagramm: Cybutryn-Konzentrationen im Hafenwasser von 50 Sportboothäfen, sortiert nach Region und Konzentration sowie EU-Umweltqualitätsnormen nach Richtlinie 2013/39/EU (Fehlende Säulen entsprechen Konzentrationen unterhalb der analytischen Bestimmungsgrenze).
Cybutryn-Konzentrationen in Sportboothäfen
Quelle: Umweltbundesamt Diagramm als PDF
 

Fallbeispiel Rodentizide: Bekämpfung von Ratten und Mäusen mit giftigen Fraßködern

Auch die in Nagetierbekämpfungsmitteln (Rodentizide) meistens enthaltenen blutgerinnungshemmenden Wirkstoffe (Antikoagulanzien) werden häufig in der Umwelt, insbesondere in Wildtieren nachgewiesen.

In einer vom Julius-Kühn-Institut im Auftrag des ⁠UBA⁠ durchgeführten Untersuchung wurden erstmalig in Deutschland systematisch Rückstände von Antikoagulanzien in wildlebenden Tieren untersucht. Die Ergebnisse zeigen, dass sowohl in verschiedenen Kleinsäugerarten (zum Beispiel Wald- und Spitzmäusen, die nicht Ziel der Bekämpfung und teilweise besonders geschützte Arten sind) als auch in Eulen und Greifvögeln (vor allem Mäusebussarden) Rückstände von Antikoagulanzien nachweisbar sind. Auch wurden in 61 % von insgesamt 265 untersuchten Leberproben von Füchsen Rückstände von Antikoagulanzien gefunden (Geduhn et al. 2016).

Auch aquatische Organismen sind mit Antikoagulanzien belastet. So wurden vor wenigen Jahren Rückstände von Rodentiziden in Deutschland erstmalig in Fischen nachgewiesen (Kotthoff et al. 2018). Im Rahmen einer vom UBA in Auftrag gegebenen Untersuchung durch das Fraunhofer Institut für Molekulare Biologie und Angewandte Ökologie wurden Leberproben von Brassen (Abramis brama) aus den größten Flüssen in Deutschland – darunter Donau, Elbe und Rhein – sowie aus zwei Seen untersucht. In allen Fischen der bundesweit 16 untersuchten Fließgewässer-Standorte im Jahr 2015 wurde mindestens ein Antikoagulans der 2. Generation nachgewiesen. Lediglich in Proben von Fischen aus den beiden Seen wurde keine Belastung mit Antikoagulanzien festgestellt. In fast 90 % der 18 untersuchten Fischleberproben wurde Brodifacoum mit einem Höchstgehalt von 12,5 μg/kg Nassgewicht nachgewiesen. Difenacoum und Bromadiolon kamen in 44 bzw. 17 % der Proben vor (siehe Abb. „Rodentizide in Fischen“). In einer von der Bundesanstalt für Gewässerkunde (BfG) durchgeführten Studie wurde gezeigt, dass Antikoagulanzien bei der konventionellen Abwasserbehandlung nicht vollständig eliminiert werden und sich in der Leber von Fischen anreichern. Insbesondere bei ⁠Starkregen⁠- und Rückstauereignissen führt die gängige Praxis der Ausbringung von Fraßködern am Draht in der Kanalisation zur Freisetzung antikoagulanter Wirkstoffe in die aquatische Umwelt (Regnery et al. 2020).

Die weiträumige Belastung von Wildtieren mit Antikoagulanzien ist vor allem auf die für die Umwelt sehr problematischen Eigenschaften dieser Wirkstoffe zurückzuführen. Die meisten dieser Substanzen sind sogenannte ⁠PBT⁠-Stoffe, das heißt, sie werden in der Umwelt nur schlecht abgebaut (P = persistent), besitzen ein hohes Potential zur Anreicherung in anderen Lebewesen (B = bioakkumulierend) und sind zudem giftig (T = toxisch) (Umweltbundesamt 2019).

Ein Diagramm zeigt die Verteilung verschiedener Rodentizide in µg pro kg Brassenleber von 1992 bis 2015 in 2-Jahres-Schritten. Es werden die Rodentizide Bromadiolon, Difenacoum, Flocumafen, Brodifacoum und Difethialon gezeigt. In den Jahren 1992, 1999, 2003 und 2007 wurden keine Rodentizide nachgewiesen. In allen anderen Jahren wurde hauptsächlich Brodifacoum mit bis zu 12,54 µg pro kg nachgewiesen.
Rodentizide in Fischen
Quelle: Kotthoff et al. Diagramm als PDF
 

Fallbeispiel Materialschutzmittel: Fassadenschutzmittel belasten Gewässer

Biozide werden auch in Baumaterialien eingesetzt, z.B. in Fassadenfarben oder Außenputzen, um sie vor einem unerwünschten Algen- oder Pilzbewuchs zu schützen. Durch den Regen werden diese Substanzen von den Fassaden abgespült und gelangen entweder zusammen mit dem häuslichen Schmutzwasser in die Mischkanalisation und anschließend in die Kläranlagen, wo sie aus dem Abwasser entfernt werden sollen, oder sie gelangen über den Regenkanal direkt unbehandelt ins Oberflächengewässer.

Das Kompetenzzentrum Wasser Berlin (KWB) hat in Zusammenarbeit mit den Berliner Wasserbetrieben und der Ostschweizer Fachhochschule (OST) im Auftrag des Umweltbundesamtes (⁠UBA⁠) in zwei Neubaugebieten in Berlin über zwei Jahre den Austrag von Bioziden aus Bauprodukten erforscht. Anhand von Felduntersuchungen, Produkttests und Modellierungen wurde untersucht, aus welchen Bauprodukten Biozide und andere Stoffe ins abfließende Regenwasser gelangen. Besonders die Biozidwirkstoffe Terbutryn und Diuron gelangten in Konzentrationen in den Regenkanal, die über den Umweltqualitätsparametern für Gewässer liegen (Wicke et al. 2022). Anhand von Frachtabschätzungen konnte zudem gezeigt werden, dass ein Großteil der Stoffmenge vor Ort bleibt und zusammen mit dem Regenwasser versickert. Durch die Versickerung kann es jedoch zu einer Belastung des Bodens und Grundwassers kommen. Um den Eintrag von Bioziden aus Bauprodukten in die urbane Umwelt zu vermeiden oder zu vermindern, wurde ein Leitfaden für Bauherren, Architekten, Planer und Behörden erstellt.

Dass nicht alle Biozide gleichermaßen in den Kläranlagen eliminiert werden und auch hierbei Materialschutzmittel (PT 7-10) für die Gewässer problematische Produktarten darstellen, konnte anhand eines deutschlandweiten Kläranlagenmonitoringprojekts gezeigt werden. Das Karlsruher Institut für Technologie (KIT) und das DVGW-Technologiezentrum Wasser (TZW) untersuchten im Auftrag des Umweltbundesamtes über einen Zeitraum von mehr als einem Jahr (11/2017-04/2019) 29 kommunale Kläranlagenabflüsse auf 26 Biozidwirkstoffe und ⁠Transformationsprodukte⁠.

Vor allem wurden Substanzen aus dem Bereich der Materialschutzmittel und Insektizide im Kläranlagenablauf wiedergefunden. Teilweise lagen die Konzentrationen hierbei über dem Umweltqualitätsparameter für die Gewässer.

Auch Stoffe, die z.B. aufgrund ihrer hohen Adsorptionsneigung in der Regel sehr gut in Kläranlagen zurückgehalten werden, können die Gewässer belasten. Sie gelangen insbesondere bei starken Regenereignissen ins Gewässer, wenn Mischwasser (häusliches Abwasser plus Regenwasser) kontrolliert aus der Kanalisation ins Gewässer eingeleitet wird. Dies wurde besonders deutlich für das Schädlingsbekämpfungsmittel Permethrin gezeigt, bei dem die Umweltqualitätsparameter in Mischwasserentlastungen deutlich überschritten wurden (Nickel et al. 2021). Gelangen diese stark adsorptiven und meist auch toxischen Stoffe ins Gewässer, so können sie in Schwebstoffen, im Sediment und folglich auch in Sedimentbewohnern zu Belastungen führen (Dierkes et al. in prep.).