RO-R-5: Anstieg der Siedlungs- und Verkehrsfläche
Monitoringbericht 2023 zur Deutschen Anpassungsstrategie an den Klimawandel
Monitoringbericht 2023 zur Deutschen Anpassungsstrategie an den Klimawandel
Die Siedlungs- und Verkehrsfläche wuchs im vierjährlichen Durschnitt lange Jahre immer langsamer. Zuletzt stagnierte ihr Wachstum bei rund 55 Hektar pro Tag. Auch wenn Umstellungen in den amtlichen Liegenschaftskatastern die Aussagekraft dieser Zahl einschränken, ist sicher, dass dieser Flächenzuwachs deutlich über den nationalen Zielen liegt. Das heißt, es ist mehr zu tun, um die Ressource Fläche und ihre Funktionen zu schützen.
Die unbebaute, unzerschnittene und unzersiedelte Fläche ist eine begrenzte und begehrte Ressource, um die unter anderem Land- und Forstwirtschaft, Siedlung und Verkehr, Naturschutz sowie Rohstoffabbau und Energieerzeugung konkurrieren. Mit der Ausweisung von Vorrang- und Vorbehaltsgebieten verfolgt die Raumordnung das Ziel, die Entwicklung der Landnutzung und damit auch der Flächenneuinanspruchnahme zu steuern und einen Ausgleich zwischen den verschiedenen Nutzungsansprüchen herzustellen. Nicht zuletzt gilt es dabei, wichtige Dienstleistungen der Ökosysteme für Mensch und Natur zu erhalten oder weiter zu entwickeln.
Im Zusammenhang mit den sich ändernden Klimaverhältnissen ist mit diesen Ökosystemleistungen zunächst das Potenzial unversiegelter Flächen angesprochen, Niederschläge zu versickern und das Wasser vor allem bei Starkregen oder in Hochwassersituationen zeitweilig zurückzuhalten. Unverbaute Auenflächen bieten den Flüssen Raum und können die unterliegenden Bereiche der Flussgebiete bei Hochwasser entlasten (siehe Indikatoren BD-R-2 und RO-R-6). In bioklimatisch belasteten Räumen steht die Versorgung von Siedlungsräumen mit frischer und kühler Luft im Vordergrund. Über Wiesen- und Ackerflächen im Umland kann sich in den Sommermonaten warme Luft schneller abkühlen als innerhalb von Siedlungen. Luftleitbahnen, zum Beispiel offene Talbereiche, transportieren die kühle Luft in die angrenzenden Siedlungsbereiche und können dort die thermischen Belastungen abmildern (siehe Indikator RO-R-4). Für die Land- und Forstwirtschaft sowie die Erzeugung nachwachsender Rohstoffe ist es vor allem relevant, fruchtbare Böden zu schützen und produktive Flächen für die Zukunft zu erhalten. Tiere und Pflanzen wiederum sind auf unverbaute Flächen und unzerschnittene, vernetzte Landschaftsstrukturen als Lebensräume angewiesen. Verändern sich die Lebensraumbedingungen infolge des Klimawandels, benötigen Fauna und Flora einen funktionierenden Biotopverbund, um sich anpassen zu können.222
Während die Potenziale unverbauter Flächen bei einer (Um-)Nutzung für land- und forstwirtschaftliche Zwecke, für die regenerative Energieerzeugung, für Mehrfachnutzungen wie beispielsweise die Agri-Photovoltaik oder für den Naturschutz erhalten bleiben oder vergleichsweise kurzfristig wiederhergestellt werden können, gehen sie bei einer Neuinanspruchnahme von Flächen für Siedlung und Verkehr oder durch Abgrabungen, etwa bei großflächigen Abbauvorhaben, dauerhaft verloren. Die Flächeninanspruchnahme mit ihren verschiedenen nachteiligen Wirkungen zu reduzieren, kann daher als eine generelle Anpassungsmaßnahme angesehen werden, die die räumliche Planung mit ihrem Instrumentarium in ihrer Umsetzung unterstützen kann.
Raumordnung, Regional- und Bauleitplanung – Anpassungen an den Klimawandel
Die Verringerung der Flächenneuinanspruchnahme ist zugleich eines der zentralen Nachhaltigkeitsziele der Bundesregierung: Die Neuinanspruchnahme von Flächen für Siedlungs- und Verkehrszwecke sollte ursprünglich, das heißt gemäß der Nationalen Nachhaltigkeitsstrategie aus dem Jahr 2002, bis zum Jahr 2020 auf 30 ha pro Tag gesenkt werden. Die aktualisierte Deutsche Nachhaltigkeitsstrategie223 sieht nun vor, den täglichen Anstieg der Siedlungs- und Verkehrsfläche bis 2030 auf unter 30 ha zu senken. Das Integrierte Umweltprogramm des BMUB aus dem Jahr 2016224 geht darüber noch hinaus. Mit Blick auf den Zielpfad für die Umsetzung der EU-Ressourcenstrategie und des Klimaschutzplans 2050, die bis 2050 den Übergang zur Flächenkreislaufwirtschaft schaffen und die Flächeninanspruchnahme auf netto Null senken wollen, sind 20 ha pro Tag als Zwischenziel für das Jahr 2030 ausgegeben.
Gegenüber dem starken Wachstum der Siedlungs- und Verkehrsflächen anfangs der 2000er-Jahre hat sich die Flächenneuinanspruchnahme mehr als halbiert. Lag der gleitende 4-Jahresdurchschnitt damals teilweise bei über 130 ha pro Tag, waren es im Mittel des Zeitraums 2018 bis 2021 „nur“ noch 55 ha täglich. Hierfür gibt es verschiedene Gründe. Im Bau- und Planungsrecht wurden maßgebliche Vorschriften strenger gefasst. Bund, Länder und Kommunen unternahmen verstärkte Anstrengungen für einen sparsameren Umgang mit Grund und Boden. Eine schwächere konjunkturelle Entwicklung und ökonomische Krisen wie die Bankenkrise sowie der demografische Wandel bremsten die private und gewerbliche Baunachfrage.
Zum Anstieg der Siedlungsfläche trug im Zeitraum 2018 bis 2021 vor allem der Bereich Wohnbau, Industrie und Gewerbe (ohne Abbauland) sowie öffentliche Einrichtungen bei. Zuletzt wuchs dieser Bereich im Jahr 2021 mit rund 39 ha täglich, wobei den größten Anteil daran der Wohnbau hat. Sport-, Freizeit-, Erholungs- und Friedhofsflächen steuerten weitere 11 ha zur Siedlungsfläche bei, Verkehrsflächen nahmen im Jahr 2021 um knapp 8 ha täglich zu. Haupttreiber waren hier Flächen für den Straßenverkehr.
Mit dem zunehmenden Anstieg der Siedlungs- und Verkehrsfläche im Vierjahresdurschnitt in den letzten beiden Jahren ist der zumeist kontinuierliche Rückgang der Flächenneuinanspruchnahme seit dem Jahr 2000 unterbrochen. Zwar schränken die verschiedenen Umstellungen der Flächenerhebung in den letzten Jahren die Vergleichbarkeit der Daten ein, dennoch macht die sich in den vergangenen Jahren abzeichnende Entwicklung deutlich, wie anspruchsvoll die Aufgabe ist, die Ziele der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie und des Integrierten Umweltprogramms zu erreichen. Hierfür sind, auch mit Blick auf die Effekte eines sparsamen Umgangs mit der Ressource Fläche auf die Klimawandelanpassung, weitere Anstrengungen notwendig. Die räumliche Planung kann hierzu sowohl mit ihren formellen Instrumenten als auch mit informellen Instrumenten, zum Beispiel mit Kreislaufkonzepten für die Flächennutzung, einen wichtigen Beitrag leisten. Die notwendigen zusätzlichen Bemühungen um eine sparsame Flächenentwicklung müssen möglichen Klimawandelfolgen Rechnung tragen. Unter anderem sollten aus einer verstärkten Siedlungsentwicklung nach Innen, zum Beispiel durch Flächenrecycling oder Nachverdichtung, keine höheren bioklimatischen Belastungen resultieren. Hierfür gilt es, bei der baulichen Entwicklung vor Ort passende Lösungen und Kompromisse zu verhandeln, die den mitunter konkurrierenden Ziele und Anforderungen gerecht werden.
222 - Pannicke-Prochnow N., Krohn C., Albrecht J., Thinius K., Ferber U., Eckert K. 2021: Bessere Nutzung von Entsiegelungspotenzialen zur Wiederherstellung von Bodenfunktionen und zur Klimaanpassung. Umweltbundesamt (Hg.). Texte 141/2021, Dessau-Roßlau 360 S. https://www.umweltbundesamt.de/publikationen/bessere-nutzung-von-entsiegelungspotenzialen-zur.
223 - Die Bundesregierung (Hg.) 2021: Die deutsche Nachhaltigkeitsstrategie. Weiterentwicklung 2021. Berlin, 385 S. https://www.bundesregierung.de/resource/blob/975274/1873516/9d73d857a3f7f0f8df5ac1b4c349fa07/2021-03-10-dns-2021-finale-langfassung-barrierefrei-data.pdf?download=1.
224 - BMUB – Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (Hg.) 2016: Den ökologischen Wandel gestalten – Integriertes Umweltprogramm 2030. Berlin, 127 S.
https://www.bmuv.de/publikation/den-oekologischen-wandel-gestalten.