Formaldehyd und Innenraumluftqualität
Im Juni 2014 hat die EU aufgrund aktueller Erkenntnisse Formaldehyd als „kann Krebs erzeugen“ (Kategorie 1 B gemäß CLP Verordnung) eingestuft. Nähere Informationen zur gesundheitlichen Bewertung, zum Vorkommen und zu möglichen Maßnahmen finden Sie auf unserer Themenseite Formaldehyd. Obwohl rechtliche Regelungen (Gefahrstoffverordnung/Chemikalienverbotsverordnung) in den letzten Jahrzehnten eine deutliche Verringerung der Formaldehydemissionen aus Holzwerkstoffen bewirkt haben, sind mit Harnstoff/Formaldehyd-Leimen produzierte Holzwerkstoffe wegen der über die Zeit kaum abklingenden Formaldehydemissionen und der häufig großflächigen Anwendung im Hausbau und beim Innenausbau nach wie vor eine bedeutende Emissionsquelle für Formaldehyd in der Innenraumluft.
Hinzu kommt, dass neue und sanierte Gebäude aus energetischen Gründen heute wesentlich dichter sind als Häuser es früher waren. Aus hygienischen Gründen ist ein Luftwechsel von mindestens 0,5 pro Stunde anzustreben. Bei dieser Rate erneuert sich die Raumluft alle 2 Stunden komplett einmal. Solche Werte erreichen moderne Gebäude meist nur mit einer Lüftungsanlage. Oftmals liegt der Luftwechsel bei modernen Häusern nur im Bereich von 0,1 bis 0,2 pro Stunde. Durch manuelles Lüften allein können Schadstoffemissionen aus Bauprodukten nicht immer ausreichend entfernt werden.
Eine 2014 abgeschlossene Studie im Auftrag des Umweltbundesamtes, die Formaldehydmessungen in über 2.000 Häusern unterschiedlichen Alters auswertet, kommt zu dem Ergebnis, dass in etwa 4 Prozent der untersuchten Häuser der Formaldehyd-Richtwert überschritten wird, darunter auch neuere Häuser. Dieses Ergebnis korrespondiert gut mit Berechnungen des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR) aus dem Jahr 2006, dass der Anteil der deutschen Haushalte, in denen der Richtwert überschritten wird, bei 5 bis 10 Prozent liegen dürfte.
Werte zur Beurteilung der Formaldehydbelastung in Innenräumen
2016 hat der Ausschuss für Innenraumrichtwerte [AIR] von Bund und Ländern einen Innenraumrichtwert für Formaldehyd von 100 µg/m³ abgeleitet. Dieser Wert soll auch kurzzeitig, bezogen auf einen Messzeitraum von einer halben Stunde, nicht überschritten werden. Er entspricht dem WHO-Grenzwert für Formaldehyd aus dem Jahre 2000. Der Grenzwert für Formaldehyd, der der Chemikalien-Verbotsverordnung zu Grunde liegt, beträgt 0,1 ppm (124 µg/m³). Dieser Wert wurde bereits 1977 vom Bundesgesundheitsamt als Formaldehyd-Richtwert eingeführt und 2006 vom Bundesinstitut für Risikobewertung nochmals bestätigt.
Da Formaldehyd die Tumorhäufigkeit in den oberen Atemwegen nur bei solchen Konzentrationen erhöht, die auch zytotoxisch wirken, charakterisiert diese Wirkung einen „praktischen“ Schwellenwert. Jegliches Risiko im Konzentrationsbereich des so definierten „sicheren“ Wertes und in niedrigeren Konzentrationen ist äußerst gering, kann nicht vom Hintergrundrisiko unterschieden werden und ist damit „praktisch nicht existent", so zumindest die bisherige Lesart des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR 2006).
Seit Februar 2015 wird Formaldehyd auch im AgBB-Bewertungsschema mit bewertet. Der Ausschuss zur gesundheitlichen Bewertung von Bauprodukten (AgBB) befasst sich in Deutschland mit der Frage, inwieweit Materialien und Gegenstände, die in einem Haus verbaut werden, die menschliche Gesundheit beeinträchtigen können. Im AgBB-Bewertungsschema gilt für Formaldehyd ein NIK-Wert (NIK steht für niedrigste interessierende Konzentration) von 100 µg/m3.
Handlungsbedarf und Aktivitäten des UBA
Die wesentlichen Prüfbedingungen für die Marktfähigkeit von Holzwerkstoffen („Prüfverfahren für Holzwerkstoffe“) waren seit nahezu 30 Jahren unverändert.
Seitdem haben sich die Innenräume und die Holzwerkstoffe verändert. Um die Prüfbedingungen von Holzwerkstoffen an den heutigen Stand der Technik anzupassen, wie er durch das AgBB-Schema und die zugehörigen Prüfnormen beschrieben ist, hat das UBA in den letzten Jahren zusammen mit der Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung (BAM) ein Forschungsvorhaben durchgeführt.
Das Vorhaben hatte das Ziel, die Prüfbedingungen mit der heutigen Bauweise in Einklang zu bringen und damit Überschreitungen des Innenraumrichtwertes für Formaldehyd von 0,1 ppm durch die Weiterentwicklung der Anforderungen an formaldehydemittierende Produkte zukünftig sicherer zu vermeiden. Dazu bedurfte es eines neuen Prüfverfahrens. Das Forschungsvorhaben wurde durch einen Fachbeirat begleitet, der sich regelmäßig während der Laufzeit getroffen hat. Um alle Interessierten ausreichend zu informieren und ihnen die Möglichkeit zur Kommentierung zu geben, wurde seit Beginn über den Fortschritt des Vorhabens auf dieser Seite berichtet. Inhaltlich ist das Vorhaben inzwischen abgeschlossen.
Im experimentellen Teil des Vorhabens hat die BAM u. a. geprüft, wie hoch Formaldehyd-Emissionen aus Holzwerkstoffen unter realitätsnahen Bedingungen werden können. Auch wenn es inzwischen viele formaldehydarme Produkte gibt, sind auch Produkte auf dem Markt, die höhere Emissionen zeigen. Eine im Rahmen des Forschungsvorhabens eingekaufte Spanplatte zeigte eine so hohe Formaldehydemission, dass sie in Deutschland nicht verkehrsfähig ist. Ein Marktüberwachungsverfahren wurde eingeleitet.
Am 22. Juni 2018 fand unter reger Beteiligung verschiedener Stakeholder (z.B. Prüflabore, Holzwerkstoffindustrie, Möbelindustrie) in Berlin eine Abschlussveranstaltung zu dem erwähnten Forschungsvorhaben statt. Die gesammelten Vortragsfolien sind neben anderen Dokumenten hier auf dieser Webseite eingestellt, so dass alle Interessierten sich informieren können. Auf der Grundlage der Forschungsergebnisse wurde folgende Änderung als notwendig erachtet:
Um das der Chemikalien-Verbotsverordnung zugrunde liegende Schutzniveau unter den heutigen Gegebenheiten in Gebäuden einhalten zu können, ist die Einführung der horizontalen und europäisch harmonisierten DIN EN 16516 als neue Prüfnorm („Referenznorm“) für Formaldehydemissionen aus Holzwerkstoffen unerlässlich. Prüfungen nach der bisherigen Referenznorm DIN EN 717-1 sollen weiterhin gleichberechtigt möglich sein. Ergebnisse von Messungen, die nach der EN 717-1 ermittelt wurden, sind mit dem Faktor 2,0 zu multiplizieren. Abgeleitete Verfahren, wie z.B. das Gasanalyseverfahren sollen ebenfalls weiterhin möglich sein. Diese Änderungen sollten in der nächsten Fassung der vom BMU veröffentlichten „Bekanntmachung analytischer Verfahren für Probenahmen und Untersuchungen für die im Anhang der Chemikalien-Verbotsverordnung genannten Stoffe und Stoffgruppen“ Eingang finden. Die zuständige Bund/Länder-Arbeitsgemeinschaft Chemikaliensicherheit (BLAC) hat diese Änderung inzwischen beschlossen. Das BMU hat die geänderte Tabelle, in der es auch um andere Stoffe als Formaldehyd geht, im November 2018 im Bundesanzeiger veröffentlicht. Die BLAC hat diese Veröffentlichung hier verlinkt.
Aktuell wird eine mögliche EU-weite Beschränkung für Formaldehyd unter der REACH-Verordnung verhandelt. Hier kann man sich dazu genauer informieren.