Autismus/Autismus-Spektrum-Störungen

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Autismus kann in vielen unterschiedlichen Ausprägungen auftreten
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Autismus ist eine neurologische Entwicklungsstörung, die in vielfältiger Ausprägung auftreten kann. Derzeit wird angenommen, dass vor allem genetische Ursachen für das Auftreten ursächlich sind. Spielen auch Umweltfaktoren eine Rolle?

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Autismus wird diagnostisch in „Frühkindlichen Autismus“, „Asperger-Syndrom“ und „Atypischer Autismus“ eingeteilt und als Entwicklungsstörung des zentralen Nervensystems angesehen. Da sich die Formen überschneiden und unterschiedliche Ausprägungsgrade auftreten können, wird der Oberbegriff Autismus-Spektrum-Störungen verwendet. Die Formen des Autismus lassen sich nicht über Biomarker erkennen, sondern werden durch Beobachtung der oder des Erkrankten anhand bestimmter Diagnosekriterien festgestellt.

Frühkindlicher Autismus zeigt sich vor dem dritten Lebensjahr durch Fehlen oder Verzögerung der Sprachentwicklung und damit einhergehend einer eventuellen Störung der Intelligenzentwicklung. Bei Kindern mit Asperger-Syndrom ist die Sprach- und Intelligenzentwicklung nicht beeinträchtigt. Allen Formen gemeinsam sind mehr oder weniger ausgeprägte Probleme in der sozialen Interaktion und auffällige Verhaltensweisen und Gewohnheiten. Stark ausgeprägte Formen des frühkindlichen Autismus führen dazu, dass Betroffene als Erwachsene kein selbständiges Leben führen können, mildere Formen des atypischen Autismus (bei dem nicht alle Diagnosekriterien erfüllt sein müssen) werden möglicherweise von den Mitmenschen kaum bemerkt.

 

Wie häufig ist Autismus in Deutschland?

Zahlen über die Häufigkeit von Autismus in Deutschland liegen nicht vor. Derzeit wird eine weltweite Prävalenz von 0,6% – 1% angenommen. Bei Jungen tritt Autismus viermal häufiger auf als bei Mädchen. Vor allem in den USA wurde in den letzten zehn Jahren die Hypothese einer deutlichen Zunahme der Autismusrate in der Bevölkerungvertreten, die allerdings nicht unumstritten ist. Verantwortlich für die Zunahme könnten nicht nur Umwelt- und Lebensbedingungen sein, sondern auch neue, breiter gefasste Diagnosekriterien und ein gestiegenes Bewusstsein von Eltern und Ärzten. Um den Einfluss von Lebensstil und Umwelt auf die Entstehung von Autismus zu untersuchen, werden seit einigen Jahren in den USA zum Teilgroße Studien durchgeführt (z.B. SEED, www.cdc.gov/ncbddd/autism/seed.html).

 

Welche Risikofaktoren sind bekannt?

Autismus tritt familiär gehäuft auf, so dass davon ausgegangen wird, dass genetische Faktoren oder Mechanismen zu den wichtigsten Ursachen für Autismus zählen dürften. So kommt z.B. im Vergleich zu zweieiigen Zwillingen Autismus bei zusammen aufwachsenden eineiigen Zwillingen viel häufiger bei beiden Kindern vor.  Wechselwirkungen zwischen Umweltfaktoren und Genen könnten ebenfalls eine Rolle spielen und  eine veränderte Genregulation bewirken (Epigenetik).

Das vulnerable Fenster, also die Zeit, in der Menschen besonders empfänglich für Schädigungen der Entwicklung und negative gesundheitliche Auswirkungen von Umweltbelastungen sind, ist die Schwangerschaft und die frühe Kindheit. Diskutierte Risiken, die mit der Schwangerschaft in Verbindung stehen, sind vielfältig: Hierzu gehören die Einnahme bestimmter Medikamente (z.B. Paracetamol), geringes Geburtsgewicht, fortgeschrittenes Alter der Mutter, Vitamin Mangel (insbesondere Vitamin D und Folsäure in den ersten Schwangerschaftsmonaten), Stress und Infektionen während der Schwangerschaft oder im Kleinkindalter. Die Hypothese, dass frühkindliche Impfungen mit quecksilberhaltigen Seren eine Rolle spielen könnten, ist inzwischen widerlegt. Allerdings führte diese Hypothese dazu, dass Umweltchemikalien generell mehr in den Focus rückten.

Besonders Chemikalien, die sich auf das sich entwickelnde Gehirn des Kindes auswirken, aber auch solche, die auf das hormonelle oder das Immunsystem einen Einfluss haben, könnten von Relevanz sein. Zu nennen sind hier Schwermetalle wie Blei und Quecksilber, ⁠Pestizide⁠ wie Organophosphate, Flammschutzmittel, polychlorierte Biphenyle und Phthalate sowie einige flüchtige organische Verbindungen (⁠VOC⁠) wie Trichlorethylen und Styrol. Oft liefern Studien, die Zusammenhänge untersuchen, keine einheitlichen Ergebnisse, da sich meist nicht alle Einflussgrößen erfassen lassen oder gar nicht erst bekannt sind. Zudem muss das jeweils konkrete vulnerable Fenster (z.B. Schwangerschaftsmonat) bei der Expositionserfassung berücksichtigt werden. Dies gilt zum Beispiel auch für die Luftbelastung durch den Straßenverkehr, die eine Rolle in den ersten Lebensmonaten spielen könnte.

In einem groß angelegten Projekt der EU mit Namen MiND (http://mind-project.eu/) beschäftigen sich die Forscher mit den genetischen Ursachen von Autismus. Darüber hinaus sollen auch die Wechselwirkung zwischen der Umwelt und den Genen untersucht werden. Es ist zu hoffen, dass sich aus dieser Forschung konkrete Hinweise für eine Risikoreduktion für Menschen mit Kinderwunsch oder Schwangere ergeben.

 

Zusammenfassende Literatur

Kalkbrenner AE, Schmidt RJ, Penlesky AC: Environmental chemical exposures and autism spectrum disorders: a review of the epidemiological evidence. Curr. Probl. Peditr. Adolesc. Health Care 44, 10 (2014) 277-318.

Lyall K, Schmidt RJ, Hertz-Picciotto I: Maternal lifestyle and environmental risk factors for autism spectrum disorders. Int. J. Epidem. (2014) 443-464.

Sealey LA, Hughes BW, Sriskanda AN, Guest JR, Gibson AD, Johnson-Williams L: Environmental factors in the development of autism spectrum disorders. Environ. Internat. 88 (2016) 288-298.

Mühlendahl KE: Environment in autism spectrum disorder – a review. Umwelt, Hygiene, Arbeitsmedizin 22, 4 (2017) 175-180. Im Internet unter: https://www.ecomed-umweltmedizin.de/archiv/umweltmedizin-hygiene-arbeitsmedizin-band-22-nr-4-2017

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