Die Notwendigkeit, Nahrungsmittel vor Schaderregern zu schützen, reicht weit in die Geschichte der Menschheit zurück. Die Art und Weise des Pflanzenschutzes unterliegt jedoch einem ständigen Wandel. Wissenschaftliche Erkenntnisse, technische Entwicklungen sowie soziale, historische und politische Rahmenbedingungen spielen dabei eine große Rolle.
Die Geburtsstunde des Pflanzenschutzes liegt im Übergang von der nomadischen Lebensweise der Jäger und Sammler zur sesshaften Lebensweise der Ackerbauern und Viehzüchter. Dieser Übergang wird als Neolithische Revolution bezeichnet. Das Zusammenleben der Menschen wurde dadurch grundlegend verändert. Dieser Entwicklungsschritt begann vor etwa 12.000 Jahren in mehreren Regionen der Welt gleichzeitig: im Nahen Osten und in China wie auch jenseits des Atlantiks. Die Nutzung von Körnern als Nahrung könnte auch schon vor dieser Zeit eine Rolle gespielt haben. So wurde am See Genezareth in Überresten einer 23.000 Jahre alten Hütte ein Mahlstein mit Spuren von Gerstenkörnern gefunden. Der gezielte Anbau von Getreide begann jedoch erst vor etwa 11.000 Jahren. In den Anfängen des Ackerbaus waren Hunger und Überlebenskampf noch allgegenwärtig. Frühe Aufzeichnungen und Inschriften zeugen vom Vorkommen zahlreicher Schädlinge wie Raupen, Würmer und Nagetiere. Die Angst vor Heuschreckenschwärmen war besonders groß. Im Alten Testament, dessen Entstehung im 7. Jahrhundert vor Christus vermutet wird, werden nicht nur Heuschrecken als „biblische Plage“ beschrieben, sondern auch Pflanzenkrankheiten wie Mehltau, Rost und Brand werden erstmals erwähnt.
Pflanzenschutz in der Antike
So alt wie die Kenntnisse über Schaderreger sind auch die Bemühungen um Schutzmaßnahmen. Der älteste Nachweis über die Verwendung eines Insektizids wird auf 2500 vor Christus datiert. Schon damals benutzte das Volk der Sumerer in Mesopotamien Schwefel, um die Haut vor Insekten zu schützen. Eine Papyrus-Rolle aus dem alten Ägypten, datiert auf 1550 vor Christus, beschrieb 800 Rezepte, die Gifte und Pestizide enthielten. Auch in China wurden damals schon Insektizide genutzt, einige enthielten sogar Arsen und Quecksilber. Aus dieser Zeit sind auch Pflanzenschutzmaßnahmen aus Griechenland und dem alten Rom überliefert. Hier wurden beispielsweise Oliven-Trester oder Christrosen-Öl als Insektizide eingesetzt. Auch ein Beizmittel für Samen war in dieser Zeit schon bekannt, es wurde aus dem Saft des Mauerpfeffers hergestellt. Sogar Nützlinge wurden bewusst gefördert, zum Beispiel räuberische Ameisen zum Schutz der Zitrusbäume vor Raupen. In Schriften des griechischen Naturforschers Theophrastos, entstanden etwa 300 Jahre vor Christus, finden sich nicht nur Angaben zu Pflanzenkrankheiten und deren Bekämpfungsmaßnahmen, sondern auch Beobachtungen zur Anfälligkeit verschiedener Getreidesorten gegenüber Pilzkrankheiten. Einige der Erkenntnisse aus der Antike wurden bis in die heutige Zeit übernommen, zum Beispiel die Anwendung von Pflanzenölen. So manches, was dem damaligen Naturverständnis entsprach, sorgt dagegen in unserer heutigen Zeit für Kopfschütteln. Zum Beispiel empfahl der Römer Palladius im fünften Jahrhundert in einem Landwirtschaftsbuch, eine barfüßige Frau mit windzerzausten Haaren im Morgengrauen durch den Garten laufen zu lassen, um die Raupen zu vertreiben.
Obwohl einige Pflanzenkrankheiten schon in der Antike beschrieben wurden, konnten viele Ursachen erst in den letzten zweihundert Jahren erklärt werden. Ein Beispiel hierfür ist Getreide, welches mit der Überwinterungsform des Pflanzenparasiten Claviceps purpurea, dem sogenannten Mutterkorn, befallen ist. Im Jahr 943 starben allein in der französischen Stadt Limoges 40.000 Menschen an dem dadurch ausgelösten „Antoniusfeuer“. Auch im Mittelalter, und bis ins 20. Jahrhundert hinein, gab es massenhafte Vergiftungen mit Mutterkorn. Erst 1853 erkannte der französische Forscher Tulasne, dass ein Pilz die Ursache für die Vergiftungen war, die bis dahin als Strafe Gottes angesehen wurden. Dennoch lernten die Menschen früh, dass eine Substanz nicht nur tödlich sein kann, sondern in Abhängigkeit von der Dosis auch als Medikament oder als Droge genutzt werden kann. Bereits im antiken Griechenland wurde die halluzinogene Wirkung des Mutterkorns genutzt, ohne Kenntnis über die enthaltenen Alkaloide zu haben, aus denen 1938 die Droge LSD entwickelt wurde. Auch für medizinische Zwecke wurde das Mutterkorn bereits im Altertum von den Chinesen genutzt. Die deutsche Bezeichnung erinnert zudem an die Verwendung des Pilzes in der gynäkologischen Praxis.
Mittelalter und Neuzeit
Im Mittelalter kam der Erkenntnisgewinn im Pflanzenschutz nahezu zum Erliegen. Die Macht der Kirche war stark, viele Schriften und Bräuche aus der Antike wurden verboten. Das Privileg der Bildung oblag den Klöstern. Die Kirche hielt an Dogmen fest und Menschen, welche diese in Frage stellten, wurden verfolgt. Schaderreger bekämpfte man mit Gebeten, Exkommunikation und Beschwörungen. Heuschrecken wurden verklagt und Frösche mit Hexenprozessen vertrieben. Erst mit Beginn der Neuzeit entwickelten sich die Naturwissenschaften. Begünstigt wurde dies auch durch die Erfindung des Buchdruckes (1440) und des Mikroskops (um 1600). Mit der Einführung von neuen Pflanzenarten nach Europa (z.B. Kartoffel, Mais, Tabak) im 16. Jahrhundert wuchsen auch die Herausforderungen im Pflanzenschutz. Pflanzenschutzmittel bestanden zu dieser Zeit im Wesentlichen aus pflanzlichen Extrakten (z.B. Knoblauch, Pfefferminze) oder waren mineralischen Ursprungs (z.B. Salz, Schwefel, Kalk). Auch mechanische Bekämpfungsmaßnahmen (z.B. Fallen) wurden eingesetzt.
Viele Wissenschaftler der Neuzeit erarbeiteten die Grundlagen für unseren heutigen Stand des Wissens. An einige herausragende Köpfe sei hier erinnert:
Der Niederländer Antonius van Leeuwenhoek (1632 – 1723), von Beruf Tuchhändler und begeisterter Hobbyoptiker, verbesserte die bereits erfundenen Mikroskope wesentlich und entdeckte damit erstmals Zellen, Bakterien und Blutkörperchen.
Der schwedische Arzt und Naturwissenschaftler Carl von Linné (1707 – 1778) entwickelte die Systema naturae, ein Ordnungssystem zur Katalogisierung der Natur, und die binäre Nomenklatur, ein lateinisches Namensgebungsverfahren für Tiere und Pflanzen, welches bis heute verwendet wird.
Der britische Naturforscher Charles Darwin (1809 – 1882) begründete mit seiner Theorie zur Evolution und zur Entstehung der Arten die Grundlagen der modernen Biologie.
Der französische Biochemiker Louis Pasteur (1822 – 1895) bewies mit der Keimtheorie, dass (Pflanzen-)Krankheiten durch mikroskopisch kleine Organismen (Bakterien, Viren, Pilze) verursacht werden können.
Der deutsche Agrarwissenschaftler Julius Kühn (1825 – 1910) gilt als Vater des modernen, praktisch angewandten Pflanzenschutzes. Er reformierte die Landwirtschaftslehre und regte die Einrichtung von Beobachtungsstellen für Pflanzenkrankheiten an, die Vorläufer der heutigen Pflanzenschutzdienste sind. Er veröffentlichte das erste Lehrbuch zur Phytopathologie.
Rasante Entwicklungen im 19. Jahrhundert
Das 19. Jahrhundert war geprägt von Industrialisierung, Bevölkerungswachstum und einer zunehmenden Intensivierung der Landwirtschaft. Dies führte zu einem tiefgreifenden globalen Wandel und brachte zahlreiche neue Herausforderungen mit sich. Die Phytopathologie, die Lehre von den Krankheiten der Pflanzen, entwickelte sich nun als eigenes Forschungsgebiet. Erkenntnisse über die mikrobiellen Verursacher von Pflanzenkrankheiten sowie deren Wechselwirkungen mit den Anbauverhältnissen etablierten sich aber nur langsam. Ernteausfälle und Hungersnöte waren bis dahin immer noch weit verbreitet.
Ein historisch einschneidendes Ereignis mit weitreichenden Folgen war die Große Hungersnot in Irland, „The Great Famine“ von 1845 bis 1849. Die Ursachen waren vielschichtig. Über 70 Prozent der irischen Bevölkerung lebten damals von der Landwirtschaft. Die Flächen waren jedoch knapp und nur gepachtet, sie gehörten englischen Großgrundbesitzern. Der Kartoffelanbau hatte sich etabliert, da er einfach war und kleine Flächen ausreichten, um große Familien satt zu machen. Ein Großteil der armen Bevölkerung ernährte sich ausschließlich von Kartoffeln, was zu einer hohen Abhängigkeit von dieser Kultur führte. Die Kartoffeln wurden über viele Jahre hinweg als Monokultur angebaut, so dass sich der Boden nicht erholen konnte und die Pflanzen anfällig für kartoffelspezifische Krankheitserreger wurden. Das Problem wurde verschärft, indem nur zwei verschiedene Kartoffelsorten angebaut wurden. Die damals noch unbekannte „Kartoffelfäule“ trat 1842 erstmals in Nordamerika auf und wurde 1845 in Europa eingeschleppt. Innerhalb von vier Monaten breitete sie sich in halb Europa aus und vernichtete viele Ernten. Aufgrund des kalten, feuchten und windigen Klimas war Irland besonders schwer betroffen. In der Folge starben eine Million Iren an Hunger, das waren zwölf Prozent der irischen Bevölkerung. Weitere zwei Millionen Iren wanderten aus. Zur gleichen Zeit exportierte Irland dennoch große Mengen an Getreide nach England und Europa. Nachfrage und Preise für Getreide waren aufgrund der europaweiten Missernten stark gestiegen und der britische Staat handelte nach dem damaligen Grundsatz, nicht regulierend in die Verteilung von Lebensmitteln einzugreifen. Als aber die Todeszahlen immer weiter stiegen und bereits Seuchen grassierten, sah sich die britische Regierung dann doch gezwungen, Maßnahmen zu ergreifen. Mit Spenden aus aller Welt wurden Suppenküchen eingerichtet, die 1847 drei Millionen Menschen ernährten. Neben den Bevölkerungsverlusten durch Tod und Auswanderung hatte diese Hungersnot auch andere weitreichende Folgen für Kultur, Sprache, Kunst und Politik. Unter anderem sind Irlands Unabhängigkeitsbestrebungen und der Nordirlandkonflikt indirekte Folgen dieser Hungersnot. Erst mehrere Jahre nach der Hungersnot, 1861, konnte der deutsche Arzt und Botaniker Anton de Bary die Ursache für die Kartoffelfäule herausfinden: es war der Pilz Phytophthora infestans, heute bekannt als Kraut- und Knollenfäule. De Bary war der erste Wissenschaftler, der beweisen konnte, dass Pflanzenkrankheiten auch durch Pilze entstehen können.
Auch für den Weinbau begann im 19. Jahrhundert eine dramatische Entwicklung. Bisher wurde Wein sehr extensiv, oft in Mischkultur, angebaut. Nun entwickelte sich der intensive Weinbau in Monokultur. Mehltau breitete sich in den großen Weinbaugebieten Europas aus, konnte aber noch mit Schwefel bekämpft werden. Zur gleichen Zeit nahm der globale Handel zu, Waren konnten schneller befördert werden. So wurden nicht mehr nur Samen zwischen den Kontinenten ausgetauscht, sondern erstmals auch Weinreben in Töpfen aus Nordamerika eingeführt. Die eingeführten Sorten sollten resistent gegen den in Europa wütenden Mehltau sein, brachten aber ein neues Problem mit sich: die Reblaus. Die Einfuhr Reblaus-resistenter Sorten führte dann wiederum zur Einschleppung des Falschen Mehltaus. Dieser wurde bald mit Kupfer, der sogenannten Bordeaux-Brühe, bekämpft. Ein Mittel, dessen Wirksamkeit eher zufällig entdeckt wurde. Im westfranzösischen Department Gironde, dessen Hauptstadt Bordeaux nicht nur Namensgeber für die Spritzbrühe, sondern auch für die Weine ist, behandelte man Rebstöcke an Straßenrändern mit diesem Kupfergemisch. Dessen milchig-bläuliche Farbe sollte eigentlich nur Weindiebe abschrecken. Doch ein Botanik-Professor erkannte während seines Spaziergangs durch die Weingärten, dass die so behandelten Reben vom Falschen Mehltau verschont blieben. Seitdem wird Kupfer gegen Pilzkrankheiten in Wein, Obst und Gemüse eingesetzt.
Die damals eingeschleppten Schadorganismen sind bis heute verantwortlich für große Ertrags- und Qualitätseinbußen im Weinbau und machen diesen somit stark von Pflanzenschutzmitteln abhängig. Die Reblausepidemie führte 1888 zur Schaffung einer „Etatstelle für Reblausprobleme“ am Kaiserlichen Gesundheitsamt in Berlin. Sie markiert damit den Beginn der staatlichen Organisation des Pflanzenschutzes. Anfang des 20. Jahrhunderts wurde die erste Pflanzenschutzbehörde eingerichtet, die „Kaiserliche Biologische Anstalt für Land- und Forstwirtschaft“. Aus dieser ging nach dem 1. Weltkrieg die „Biologische Reichsanstalt für Land- und Forstwirtschaft“ (BRA) hervor. Nach dem 2. Weltkrieg wurde diese umbenannt in „Biologische Bundesanstalt für Land- und Forstwirtschaft“ (BBA). Aus dieser ist 2008 das heutige Julius Kühn-Institut, Bundesforschungsinstitut für Kulturpflanzen (JKI), hervorgegangen.
Stummer Frühling im 20. Jahrhundert
Intensivierung, Mechanisierung und Spezialisierung – so könnte man die grundlegenden Entwicklungsschritte der Landwirtschaft im 20. Jahrhundert beschreiben. Dies hatte zahlreiche Folgen. Der Pflanzenbau erfolgte auf immer größer werdenden Flächen. Hecken, Bäume und andere Landschaftselemente fielen der Flurbereinigung zum Opfer. Fruchtfolgen wurden immer enger und orientierten sich eher am Markt als an den Bedürfnissen der Pflanzen. Die Züchtung fokussierte sich auf Sorten, die zwar hohe Erträge brachten, aber gleichzeitig hohe Ansprüche an die Anbaubedingungen stellten und krankheitsanfällig waren. Der Bedarf an externen Betriebsmitteln, wie Dünger, Pflanzenschutzmittel und Energie, erhöhte sich ständig. Die zunehmende Mechanisierung führte zur Erwerbslosigkeit vieler Landarbeiter und einer massenhaften Abwanderung der Landbevölkerung in die Städte. Die Spezialisierung der Betriebe steigerte zwar einerseits die Effizienz, zerlegte aber sinnvolle Betriebskreisläufe in viele Einzelteile, die nicht nachhaltig funktionierten und auf hohen externen Input angewiesen waren.
Doch all diese Maßnahmen führten zur Verdopplung und Verdreifachung der Erträge. Für die bisher immer wieder von Hungersnöten geplagte Menschheit war das ein Segen und gleichzeitig einer von mehreren Gründen für ein immenses Bevölkerungswachstum. Möglich wurden die steigenden Erträge unter anderem durch den zunehmenden Einsatz von chemisch-synthetischen Düngern und Pflanzenschutzmitteln. Das war ein Quantensprung in der Geschichte, da bisherige Dünger und Pflanzenschutzmittel im Wesentlichen natürlichen Ursprungs waren, sie bestanden meist aus tierischen, pflanzlichen oder mineralischen Elementen. Das erste chemisch-synthetische Insektizid mit dem Namen Antinonnin (Wirkstoff: DNOC) brachte der Leverkusener Chemiekonzern Bayer bereits 1894 auf den Markt. Aber erst im 20. Jahrhundert setzten sich die synthetischen Mittel flächendeckend durch. In den 30ern begann man mit dem Einsatz solcher Mittel zunächst nur im Obst- und Weinbau. Doch nach dem Zweiten Weltkrieg stieg der Einsatz synthetischer Pflanzenschutzmittel sprunghaft an. Dafür gab es mehrere Gründe. Ertragsmaximierung war das Gebot der Stunde, um die von Hunger und Entbehrung gezeichnete Bevölkerung satt zu bekommen. Dafür wurden alle zum damaligen Zeitpunkt verfügbaren Möglichkeiten genutzt. Um beispielsweise mehr Äpfel zu produzieren, wurden amerikanische Apfelsorten (z.B. Golden Delicious) eingeführt. Diese hatten den Vorteil, dass sie jedes Jahr – statt jedes zweite Jahr – Früchte trugen. Allerdings waren diese Sorten sehr krankheitsanfällig und damit abhängig von intensiven Pflanzenschutzmaßnahmen.
Auch der aus Nordamerika eingeschleppte Kartoffelkäfer verursachte nun massive Ernteschäden. Er wurde zwar schon 1877 in den großen europäischen Häfen gesichtet, aber erst in den 1940er Jahren breitete er sich weit über Europa aus. Wurden Pflanzenschutzmittel bisher eher auf Obstplantagen angewendet, so erforderte der Kartoffelkäfer nun auch auf Äckern drastische Pflanzenschutzmaßnahmen. Die chemische Industrie lieferte bald die Lösung für all diese Probleme. Sie hatte während der beiden Weltkriege viel in die Erforschung und Herstellung chemischer Kampfstoffe investiert. Diese Stoffe und das Wissen über deren Herstellung sollten auch nach dem Krieg nicht ungenutzt bleiben. Beispielsweise produzierte die deutsche IG Farben während des Zweiten Weltkrieges tonnenweise die Nervengase Tabun und Sarin und entwickelte daraus 1944 das Insektizid E 605, welches unter anderem gegen Kartoffelkäfer eingesetzt wurde. Der Entdecker dieser Stoffe, der Chemiker Gerhard Schrader, konnte aufgrund der Tatsache, dass die Kampfstoffe nun in leicht abgewandelter Form als Pflanzenschutzmittel dienten, sogar einer Anklage bei den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen entgehen. Nach dem Krieg wurde er Leiter der Pflanzenschutzabteilung bei BAYER.
Auch in anderen Ländern wurden aus Chemiewaffen Pflanzenschutzmittel und andersherum. So wurde 1941 in den USA das erste chemisch-synthetische Herbizid mit dem Namen 2,4-D entdeckt. Das Herbizid wurde später als Bestandteil von Entlaubungsmitteln zur Kriegsführung im Dschungel eingesetzt. Die USA versprühten im Vietnamkrieg 77 Millionen Liter Entlaubungsmittel und verwendeten diese auch in Afghanistan und Kolumbien. Eines der bekanntesten Entlaubungsmittel trug den Namen „Agent Orange“, weil die Fässer mit orangefarbenen Banderolen gekennzeichnet waren. Es wurde von den Briten entwickelt und bestand zu gleichen Teilen aus den Herbiziden 2,4-D und 2,4,5-T. Bedingt durch das Herstellungsverfahren enthielten viele Entlaubungsmittel Verunreinigungen mit 2,3,7,8-TCDD, einem extrem giftigen Dioxin. Da die Schädlichkeit des Dioxins damals schon bekannt war, wird in späteren Gerichtsprozessen darum gestritten, ob die Chemieindustrie den Herstellungsprozess absichtlich so gestaltete, dass sich der Dioxin-Gehalt erhöhte, weil so mehr Entlaubungsmittel in kürzerer Zeit hergestellt werden konnte. Entlaubungsmittel wurden, wie auch viele andere gefährliche Pflanzenschutzmittel zu dieser Zeit, massenhaft und aus heutiger Sicht viel zu sorglos angewendet. „Sie sind im Allgemeinen nicht giftiger als Aspirin." schrieb die amerikanische Armeeführung 1968.
Weitere Gründe für den sprunghaften Anstieg der Verwendung chemisch-synthetischer Pflanzenschutzmittel nach den beiden Weltkriegen lagen in den Anbauverfahren selbst. Der Anbau von Monokulturen auf riesigen Feldern in engen Fruchtfolgen und dichten Beständen war eine wesentliche Ursache für den zunehmenden Bedarf an Pflanzenschutzmitteln. Ein anderer Grund war das Aufkommen chemisch-synthetischer Düngemittel, insbesondere der Stickstoffdünger. Fritz Haber und Carl Bosch hatten 1908 ein Verfahren entwickelt, mit dem sich Ammoniak aus Wasserstoff und Stickstoff synthetisieren ließ. Dafür bekamen sie den Nobelpreis. Ab 1913 produzierte die Badische Anilin- und Sodafabrik (BASF) Stickstoffdünger nach dem Haber-Bosch-Verfahren in ihrem Werk in Ludwigshafen. Während der beiden Weltkriege stieg die Ammoniak-Produktion stark an, denn man konnte daraus nicht nur Stickstoffdünger, sondern auch Sprengstoff herstellen. Nach den beiden Kriegen wurden die Anlagen zur Produktion von Stickstoffdüngern genutzt. Die Anwendung synthetischer Dünger setzte sich nun in der Landwirtschaft flächendeckend durch. Waren es 1930 noch etwa 12 Kilogramm Stickstoff pro Hektar, so hatte sich die Menge 1950 schon verdoppelt und bis zum Ende des Jahrhunderts verzehnfacht. Dementsprechend wuchsen die Erträge.
Der französische Agrarwissenschaftler Francis Chaboussou untersuchte die Zusammenhänge zwischen den Anbauverfahren und der Krankheitsanfälligkeit der Pflanzen und prägte den Begriff der Trophobiose. Er erkannte, dass Pflanzen anfälliger für Schaderreger werden, wenn im Zellsaft ein überhöhtes Angebot von leichtlöslichen Nährstoffen vorhanden ist. Insbesondere synthetische Stickstoffdünger liefern ein solches Überangebot an leichtlöslichen Nährstoffen, welche der Pflanze schnell und direkt zur Verfügung stehen. Im Gegensatz dazu ernährt die organische Düngung (z.B. Stallmist) die Pflanzen langsam und über Umwege: sie „füttert“ eigentlich die Bodenorganismen, die wiederum, über den Humus, die Pflanze „füttern“. Würde man eine Parallele zur menschlichen Ernährung ziehen, könnte man synthetischen Stickstoffdünger etwa mit dem Verzehr von raffiniertem Weißzucker vergleichen, und organischen Dünger mit dem Verzehr von Vollkornbrot. Unpassende Ernährung macht also nicht nur Menschen krank, sondern auch Pflanzen.
Die intensiven, rein an der Ertragsmaximierung orientierten Anbaumethoden brachten also viele neue Probleme mit sich. Für diese Probleme mussten Lösungen gefunden werden und oft führten diese Lösungen zu neuen Problemen. Beispielsweise führten hohe Stickstoffgaben dazu, dass Getreidepflanzen immer höher wurden und deren Ähren immer schwerer. Die langen Halme konnten die Ähren nicht mehr tragen und fielen um. Die liegenden Getreidehalme erschwerten die Ernte und konnten leicht von Pilzen befallen werden. Deshalb brachte die BASF 1966 den ersten Wachstumsregulator auf den Markt: CCC. Dieser von einem Phytohormon abgeleitete Stoff verkürzt die Getreidehalme und erhöht somit ihre Standfestigkeit. Doch nach der Ernte ist CCC im Stroh, im Korn und im Mehl nachweisbar und steht in Verdacht, in den menschlichen Hormonhaushalt einzugreifen und die Fruchtbarkeit von Tieren zu beeinträchtigen.
Eines der gefährlichsten Pestizide überhaupt wurde 1942 vom Schweizer Chemiekonzern Ciba AG auf den Markt gebracht: Dichlordiphenyltrichlorethan, DDT. Es wurde nicht nur großflächig als Insektizid in der Land- und Forstwirtschaft genutzt, sondern auch als Biozid, zum Beispiel zur Läusebekämpfung bei der Wehrmacht oder als Insektenspray im Haushalt. Weltweit wurde das Mittel bis weit in die 90er Jahre auch von der World Health Organisation (WHO) zur Malariabekämpfung eingesetzt. In vielen Ländern wurde das Gift flächendeckend aus dem Flugzeug heraus über Wälder, Äcker und Gewässer gesprüht. Schon in den 60ern konnten Wissenschaftler DDT und sein Abbauprodukt DDE weltweit in der Umwelt finden, zum Beispiel im Fettgewebe von Pinguinen in der Antarktis. Aktuelle Messungen zeigen, dass die Belastung der Pinguine mit DDT derzeit wieder ansteigt. Grund sind die schmelzenden Gletscher, die das langlebige Umweltgift, angesammelt in den 50ern und 60ern, wieder freigeben.
Der breiten Öffentlichkeit wurden die Risiken des DDT erst durch das Buch „Der stumme Frühling“ (Originaltitel: „Silent Spring“) bekannt, welches 1962 von der amerikanischen Biologin Rachel Carson veröffentlicht wurde. Sie beschrieb darin die verheerenden Auswirkungen des DDT-Einsatzes für Insekten, Vögel und Fische. Fünf Jahre hatte sie für das Buch recherchiert. Die Chemieindustrie warf ihr damals Hysterie und Fortschrittsfeindlichkeit vor. Doch Rachel Carson wird bis heute als eine Pionierin der Umweltbewegung angesehen. Zwar wurden Umweltprobleme auch schon vorher in Fachkreisen diskutiert. Doch Carson schaffte es, das Problembewusstsein in breite Bevölkerungsschichten zu tragen, indem sie gut recherchierte Fakten in einer spannenden, allgemeinverständlichen Erzählweise verpackte. Die Pestizid-Problematik ist seither ein fester Bestandteil der globalen Umweltbewegung. Auch in Deutschland manifestierte sich in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine aktive Öko-Szene. Ausgehend von zahlreichen Bürgerinitiativen entwickelten sich daraus NGOs, die sich mehr und mehr professionalisierten. Einige Beispiele für NGOs, die, neben vielen anderen Umweltthemen, den Pestizideinsatz thematisieren, sind der NABU (gegründet 1899), Friends of the Earth (gegründet 1969), Greenpeace (gegründet 1971), der BUND (gegründet 1975), das PAN (gegründet 1982) und GLOBAL 2000 (gegründet 1982).
Mit Bekanntwerden der Umweltauswirkungen des Pflanzenschutzmitteleinsatzes und der aufkommenden öffentlichen Debatte dazu, sah sich auch der Staat unter Handlungsdruck. So wurde am 10. Mai 1968 das erste deutsche Pflanzenschutzgesetz verkündet. Es schrieb erstmals ein Zulassungsverfahren für Pflanzenschutzmittel vor und legte maximal zulässige Wirkstoff-Rückstandsmengen im Erntegut fest. Das Gesetz wurde 1986 überarbeitet und dabei festgelegt, dass auch Umweltaspekte bei der Zulassung berücksichtigt werden müssen. Heute prüft das Umweltbundesamt das Verhalten der Pflanzenschutzmittel und ihrer Wirkstoffe auf die Umwelt und kann die Zulassung versagen, wenn bestimmte Vorgaben nicht eingehalten werden. Auf europäischer Ebene wurde erstmals 1991 mit der Richtlinie 91/414/EWG eine einheitliche und verbildliche Rechtsgrundlage für den Pflanzenschutz geschaffen. Seit 2009 ist der Pflanzenschutz über die Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 geregelt.
Die anfängliche Euphorie über die Wirkung der Pflanzenschutzmittel wurde nicht nur durch die zahlreichen Umweltschäden gedämpft. Schon bald erkannte man, dass die bekämpften Organismen Resistenzen gegen die Wirkstoffe bildeten. Dadurch verlieren die Mittel mit der Zeit ihre Wirksamkeit. Bereits 1954 stellte man die ersten Resistenzen bei phytopathogenen Bakterien fest, 1963 fand man auch resistente phytopathogene Pilze. Seit den 50er Jahren stiegen die Resistenzen gegen Insektizide und seit den 70ern die Resistenzen gegen Herbizide. Je häufiger und großflächiger Pflanzenschutzmittel eingesetzt wurden, desto höher war das Risiko einer Resistenzentwicklung. Insbesondere die Strategie des „Splittings“, bei der weniger, aber dafür häufiger gespritzt wurde, förderte die Resistenzbildung. Resistenzen entstehen durch natürliche Selektion. Bei einer Bekämpfungsmaßnahme werden nicht alle Schadorganismen abgetötet. Die, die überleben, pflanzen sich nun besonders erfolgreich fort und geben ihre Resistenzeigenschaften an ihre Nachkommen weiter. Mikroskopisch kleine Schaderreger, wie Bakterien und Viren, vermehren sich besonders schnell und können dementsprechend besonders schnell Resistenzen ausbilden. Zudem können Resistenzen durch horizontalen Gentransfer auch zwischen verschiedenen Arten weitergegeben werden. Globale Transportnetze verschärfen das Problem zusätzlich, so dass die massive Ausbreitung von resistenten Organsimen heute ein weltweites Problem ist.
So ist eine Art Wettlauf entstanden: zwischen den Schadorgansimen, die Resistenzen ausbilden, und den Menschen, die immer wieder neue Pflanzenschutzmittel entwickeln, worauf wieder neue Resistenzen gebildet werden. Ein Teufelskreis, der bis heute anhält. Eine Strategie zur Vermeidung von Resistenzbildung ist der ständige Wechsel zwischen verschiedenen Pflanzenschutzmitteln. Doch der Spielraum, um verschiedene Pflanzenschutzmittel einzusetzen, wird immer kleiner. Einerseits werden immer weniger neue Wirkstoffe entwickelt und nur wenige davon durchlaufen erfolgreich das aufwendige Zulassungsverfahren. Andererseits werden immer mehr Wirkstoffe aufgrund neuer Erkenntnisse über ihre Schädlichkeit vom Markt genommen.
Als in den 90er Jahren die ersten transgenen Nutzpflanzen auf den Markt kamen, glaubte man, nun den Wettlauf gegen die Schadorganismen gewonnen zu haben. Die Gentechnik ermöglichte das Einschleusen artfremder Gene in das Erbgut der Pflanzen. Damit lassen sich bestimmte Eigenschaften auf die Nutzpflanzen übertragen. So entstanden beispielsweise Sojabohnen, die gegen das Herbizid Glyphosat tolerant waren, sowie Mais und Baumwolle, die selbst Toxine bildeten, um Schädlinge abzuwehren. Anfang des 21. Jahrhunderts wurden weltweit auf 13 Prozent der Ackerflächen gentechnisch veränderte Pflanzen ausgebracht. Insbesondere in Nord- und Südamerika sowie Asien erfolgt der Anbau in großem Maßstab. 2019 betrug der Anteil transgener Pflanzen in Brasilien 95 Prozent bei der Sojaproduktion, in den USA 92 Prozent bei der Maisproduktion, und in Indien 95 Prozent bei der Baumwollproduktion. In Europa erfolgt der Anbau transgener Pflanzen auf knapp einem Prozent der Fläche (46.000 Hektar Mais in Spanien, 2023). Doch ein Großteil der weltweit angebauten transgenen Pflanzen gelangt als Futtermittel für die Tierhaltung nach Europa. Mit der Einführung der Gentechnik verband man große Hoffnungen. Beispielsweise sollten sie zur Hungerbekämpfung und zur Pestizidreduktion beitragen. Doch diese Erwartungen erfüllten sich nicht. Zudem bildeten Schaderreger auch gegen transgene Pflanzen Resistenzen aus. Maiswurzelbohrer und andere Schädlinge entwickelten Resistenzen gegen die Toxine, die transgene Pflanzen bildeten. Nur etwa 6,5 Jahre dauert dieser Prozess durchschnittlich. Es konnten sogar Kreuzresistenzen festgestellt werden. Das heißt, die Schädlinge bildeten nicht nur Resistenzen gegen ein Toxin, sondern gleich gegen mehrere. Auch beim Anbau der Herbizid-toleranten Genpflanzen bildeten viele Unkräuter Resistenzen gegen das massiv ausgebrachte Glyphosat. In der Folge mussten noch mehr Herbizide ausgebracht werden.
Die zunehmenden Erkenntnisse über die ökologischen Folgen des Pflanzenschutzmitteleinsatzes erforderten ein Umdenken sowie Reduktionsmaßnahmen. Schon Mitte des 20. Jahrhunderts verbreitete sich die Idee des Integrierten Pflanzenschutzes (Artikel in Erstellung) weltweit. Wissenschaftler forderten, dass Pflanzenschutz mehrere Instrumente „integrieren“ muss: vorbeugende (z.B. weite Fruchtfolgen), biologische (z.B. Förderung von Nützlingen), mechanische (z.B. mechanische Unkrautbekämpfung) und chemische Pflanzenschutzmaßnahmen. Wobei letztere nur in Ausnahmefällen eingesetzt werden sollen, wenn alle anderen Maßnahmen nicht erfolgreich waren. Doch solange die chemischen Pflanzenschutzstrategien erfolgreich, kostengünstig und einfach waren, blieb das Konzept des Integrierten Pflanzenschutzes in der Schublade. Erst in den 90ern begann man zumindest in den Obstbauregionen, auch wieder nicht-chemische Pflanzenschutzmaßnahmen anzuwenden. Seit 1986 ist die Anwendung des Integrierten Pflanzenschutzes im Pflanzenschutzgesetz verankert. Seit 2014 ist die Anwendung für alle beruflichen Verwender von Pflanzenschutzmitteln verpflichtend vorgeschrieben. Das besagt die Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 im Artikel 55. Problematisch am Konzept des Integrierten Pflanzenschutzes ist jedoch bis heute, dass es nicht klar definiert und der Begriff nicht rechtlich geschützt ist. Eine gesetzlich vorgeschriebene Kontrolle gibt es nicht. Das „notwendige Maß“ an chemischen Pflanzenschutzmitteln bleibt weiterhin der Einschätzung der Anwender überlassen und spiegelt letztlich nur das derzeitige Maß an wirtschaftlicher Abhängigkeit der Landwirtschaft von Pflanzenshcutzmitteln.
Parallel zur Entwicklung des Integrierten Pflanzenschutzes formierte sich die Bewegung des Ökologischen Landbaus. Bereits 1924 gründete sich der erste Bioverband Demeter. 1987 gründete sich Bioland, weitere Anbauverbände folgten bald. In den 90er Jahren stieg der Anteil der Bio-Flächen stark an, denn erstmals gab es staatliche Fördergelder dafür. Zudem haben nach dem Mauerfall auch viele, oftmals vergleichsweise große, ostdeutsche Betriebe im Bio-Anbau eine Perspektive gesehen. Chemisch-synthetische Pflanzenschutzmittel sind im Ökolandbau, im Gegensatz zum Integrierten Anbau, verboten. Erlaubt sind jedoch Wirkstoffe, die natürlich vorkommen oder naturidentisch sind. Diese werden aus Pflanzen, Tieren, Mineralien oder Mikroorganismen gewonnen. Auch Nützlinge werden gezielt eingesetzt. Eine Liste der im Ökolandbau erlaubten Pflanzenschutzwirkstoffe steht im Anhang I der Durchführungsverordnung (EU) 2021/1165. Eine jährliche Kontrolle ist für alle Ökobetriebe vorgeschrieben. Dabei wird auch der Pflanzenschutzeinsatz überprüft. Durch die verpflichtende Zertifizierung und eine rechtlich geschützte Auslobung kann ein Bioprodukt vom Verbraucher eindeutig identifiziert werden.
Technik-Hype im 21. Jahrhundert
Klimawandel, Artensterben, Bevölkerungsexplosion und Globalisierung machen grundlegende Veränderungen in Wirtschaft und Gesellschaft des 21. Jahrhunderts dringend notwendig. Auch die Landwirtschaft steht damit vor enormen Herausforderungen. Es stellt sich die grundsätzliche Frage, wie Nahrungsmittel in Zukunft erzeugt werden sollen. Sind High-Input-Systeme, also intensive Wirtschaftsformen mit hohem Energie- und Ressourcenbedarf sowie hohem Technisierungsgrad die Lösung? Oder sind es Low-Input-Systeme, also extensive Systeme mit einem geringen Bedarf an externen Betriebsmitteln? Bei Letzteren ist der Ertrag wesentlich niedriger. Aber wie gestaltet sich die Effizienz, also das Verhältnis von Input und Output? Die heutige Landwirtschaft erwirtschaftet zwar Erträge und Qualitäten, die historisch auf höchstem Niveau stehen, aber für jede erzeugte Nahrungskalorie müssen durchschnittlich zehn fossile Kalorien eingesetzt werden. Kann das langfristig funktionieren? Die Frage nach dem „richtigen System“ drängt unerbittlich. Im ersten Viertel des 21. Jahrhunderts wird überall nach Lösungen gesucht: in den Praxisbetrieben, in der Wissenschaft, in der Politik sowie in der Zivilbevölkerung.
High-Input-Systeme in der Landwirtschaft machen Hoffnungen, die Ernährung der stetig wachsenden Weltbevölkerung zu sichern. Aber halten solche Systeme auch extremen klimatischen Bedingungen stand? Sind sie effizient bei Ressourcenverknappung und -verteuerung? Sind sie praktikabel, wenn ganze Ökosysteme zusammenbrechen und Böden großflächig geschädigt sind? Sind sie funktional auch bei zunehmenden sozialen Unruhen, Kriegen und Verteilungskämpfen? Diesbezüglich sind Low-Input-Systeme stabiler und resilienter, kommen mit wenig externen Betriebsmitteln und Energien aus, und versuchen, sich mit möglichst geschlossenen Kreisläufen langfristig selbst zu erhalten. Sie erwirtschaften jedoch weniger Erträge und wecken somit alte Ängste vor Hungersnöten und Missernten. Sie werfen auch die Frage auf, ob damit Probleme nur global verschoben werden. Extensiver, umweltfreundlicher Anbau in einem Weltteil – dafür werden fehlende Nahrungsmittel aus anderen Weltteilen importiert, wo der Anbau weitaus weniger umweltfreundlich erfolgt? Die zwei größten Hebel, um sowohl Nahrungsmittelknappheit als auch globale Problemverschiebung zu umgehen, sind jedoch die Reduktion der tierischen Lebensmittelproduktion und die Verringerung von Lebensmittelabfällen. In der EU wird derzeit auf 60 Prozent aller Ackerflächen Tierfutter angebaut und etwa ein Drittel aller Lebensmittel landet auf dem Müll.
Intensive Systeme profitieren maßgeblich von der zunehmenden Technisierung und Digitalisierung. Das betrifft auch viele Bereiche des Pflanzenschutzes. Beispielsweise erlauben Fortschritte in Sensorik und Robotik eine gezielte Anwendung von Pflanzenschutzmitteln, das sogenannte Precision Farming, und somit eine Verringerung der Aufwandmengen. Das Einbeziehen von Landschaftsdaten, die Analyse großer Datenmengen und die Vernetzung von Datenbanken und Maschinen kann helfen, Einträge in Saumbiotope und Gewässer zu verhindern. Die bessere Erfassung von Umweltfaktoren und Schädlingsbefall in Verbindung mit genaueren Prognosemodellen kann einen gezielten Einsatz von Pflanzenschutzmitteln, Nützlingen oder physikalischen Methoden unterstützen. Ebenso können vorbeugende Pflanzenschutzmaßnahmen von einer stärkeren Digitalisierung der Landwirtschaft profitieren. Technische Fortschritte sind auch bei mechanischen und physikalischen Pflanzenschutzmaßnahmen sichtbar. Beispielsweise können Beikräuter heute, statt mit chemischen Mitteln, auch mit Strom, Licht oder Hitze bekämpft werden.
Ein weiterer markanter Schritt im Pflanzenschutz des 21. Jahrhundert sind die Entwicklungen der sogenannten Neuen Gentechniken. Insbesondere die CRISPR/Cas-Technologie wird als „Revolutionierung der Pflanzenzucht“ gesehen. Damit sollen neue Sorten entwickelt werden, die z.B. resistent gegen Schädlinge oder an extreme klimatische Bedingungen angepasst sind. Bei den herkömmlichen gentechnischen Verfahren wird artfremdes genetisches Material von außen in die Pflanzen eingeführt. An welcher Stelle die Pflanze das Material in ihr Erbgut integriert, ist dabei eher dem Zufall überlassen. Im Gegensatz dazu wird bei der neuen CRISPR/Cas-Technologie das Erbgut der Pflanze ganz gezielt verändert. Dabei werden DNA-Stränge durchgeschnitten, weshalb das Verfahren auch als „Gen-Schere“ bezeichnet wird. An den Schnittstellen können einzelne Bausteine eingefügt, entfernt oder verändert werden. Ein weiteres neues gentechnisches Verfahren, an welchem unter anderem die Firma BAYER forscht, ist die RNA-Interferenz, auch RNAi. Damit kann die Aktivität bestimmter Gene blockiert werden. Dieses Verfahren wird beispielsweise bei der Züchtung schädlingsresistenter Pflanzen eingesetzt. Dabei werden die Pflanzen gentechnisch so verändert, dass sie bestimmte RNA-Abschnitte bilden, die zum Tod der Schädlinge führen, wenn diese an der Pflanze fressen. Alternativ dazu wird derzeit an einem Verfahren geforscht, bei dem die jeweiligen RNA-Abschnitte direkt als Spray auf die zu schützenden Pflanzen ausgebracht werden. Das erfolgt ähnlich wie bei der Anwendung herkömmlicher Pflanzenschutzmittel, nur dass statt einer chemischen Formulierung eine genetische Information ausgebracht wird. Dieses Verfahren soll besonders spezifisch sein. Lediglich die Schadorganismen wären von den Effekten betroffen, wohingegen andere Tier-, Pflanzen- und Pilzarten unbeeinträchtigt blieben.
Ob die Neuen Gentechnischen Verfahren in der Praxis angenommen werden, welche Risiken sie bergen, und ob sie die alten Versprechen zur Hungerbekämpfung und Pestizidreduktion dieses Mal halten, das muss die Zukunft zeigen. Tatsache ist jedoch, dass der chemische Pflanzenschutz in einer Sackgasse steckt und auf verschiedenen Ebenen nach Alternativen gesucht wird. Tendenziell werden immer weniger neue Pflanzenschutzmittel entwickelt. Die Anzahl der in der EU verfügbaren Wirkstoffe hat sich von 1993 bis 2024 von 703 auf 453 verringert. Dieser Trend wird sich fortsetzen, denn zum einen verlieren zugelassene Wirkstoffe durch Resistenzbildung ihre Bedeutung. Und zum anderen wird auf der Basis neuer Erkenntnisse, z. B. in Bezug auf die Toxizität für Mensch und Umwelt, die Zulassung für Wirkstoffe entzogen. Bekannte Beispiele hierfür sind das 2018 erfolgte EU-weite Verbot von drei besonders schädlichen Neonikotinoiden sowie die intensiv geführte Debatte um ein mögliches Verbot von Glyphosat Ende 2023.
Inmitten der hochtechnisierten, energie- und ressourcenintensiven Lebensmittelproduktion, welche die Supermärkte unserer Zeit füllt, entwickeln sich zunehmend vielfältige kleine Nischenräume, in denen nach alternativen Wegen gesucht wird. Dabei werden auch ganz bewusst Methoden angewandt, die aus der Zeit stammen, bevor Traktoren, Kunstdünger und Pestizide erfunden wurden. Im Trend liegen kleine Flächen mit großer Vielfalt, robuste Sorten, Handarbeit, Sensenkurse, Brennnesseljauchen und Hühner, die den Pflanzenschutz im Obstgarten übernehmen. Die Sorge um Insekten, Regenwürmer und lebendige Böden wächst. Sogar die jahrzehntelang bekämpften „Unkräuter“, von denen einige inzwischen auf der Roten Liste stehen, werden wieder toleriert, ja sogar bewusst gefördert. Nachhaltige, pestizidfreie Produktion, regionale Kreisläufe, solidarische Zusammenschlüsse von Verbrauchern, Wertschätzung der Nahrungsmittel – das sind die prägenden Schlagworte dieser Bewegung. Solche Nischen der Nahrungsmittelproduktion werden dabei nicht nur von Landwirten besetzt. Auffällig ist die zunehmende Anzahl an Quereinsteigern und jungen Menschen, Akademikern, die es vom Bürotisch wieder auf den Acker zieht, und Städter, die sogar auf Dächern und Balkonen Tomaten anbauen. Der Trend zur Selbstversorgung kommt wieder. Altes Wissen wird verwoben mit neuem Wissen, auf der Suche nach Lösungen für die Krisen unserer Zeit.
Ausblick
Dieser historische Rückblick zeigt, wie eng Pflanzenschutz, die Art der Landbewirtschaftung und das Zeitgeschehen miteinander verbunden sind. Zudem wird deutlich, dass hochgelobte Innovationen oftmals erst Jahrzehnte nach ihrer Verbreitung als risikoreich und gefährlich erkannt werden. Unsere heutige Zeit steht vor grundlegenden Umwälzungen. Es bleibt offen, ob die richtigen Entscheidungen getroffen werden, um die anstehenden Herausforderungen zu bewältigen. Die späteren Geschichtsbücher werden darüber urteilen.
„Je weiter man zurückblicken kann, desto weiter wird man vorausschauen.“ Winston Churchill
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