Arzneimittelwirkstoffe
Auch die Wirkstoffe von Arzneimitteln können in Gewässern Konzentrationen erreichen, die schädlich auf die aquatische Lebensgemeinschaften wirken.
Auch die Wirkstoffe von Arzneimitteln können in Gewässern Konzentrationen erreichen, die schädlich auf die aquatische Lebensgemeinschaften wirken.
Wirkstoffe von Arzneimitteln können über die Einleitung der Kläranlagen oder die Anwendung in der Tierhaltung in die Gewässer gelangen. Deshalb messen die Bundesländer und die Bundesanstalt für Gewässerkunde seit mehreren Jahren ausgewählte Arzneimittelwirkstoffe in Oberflächengewässern.
Weder auf europäischer noch auf nationaler Ebene sind derzeit Umweltqualitätsnormen für Arzneimittelwirkstoffe festgelegt. Auf beiden Ebenen wurden aber Messprogramme initiiert, die Messungen von Arzneimittelwirkstoffen enthalten. Eine Zusammenfassung aller Ergebnisse 2016 – 2018 in Deutschland befindet sich am Ende dieses Artikels.
Ein EU-weites Messprogramm wird für die Stoffe der Beobachtungsliste (EU-Watch-List) durchgeführt. Die EU-Watch-List enthält Stoffe bei denen ein Überschreitungspotenzial der Umweltqualitätsnormvorschläge/ PNEC (predicted no effect concentration) erkannt wurde, aber nicht ausreichend europaweite Monitoringdaten bzw. Daten mit einer Bestimmungsgrenze unterhalb der Umweltqualitätsnormvorschläge vorlagen, um eine europaweite Festlegung von Umweltqualitätsnormen zu begründen. Das Analgetikum (Schmerzmittel) Diclofenac, die drei hormonell wirksamen Stoffe Östron (E1), 17-beta-Östradiol (E2) und 17-alpha-Ethinylöstradiol (EE2) sowie die drei Makrolid-Antibiotika Azithromycin, Clarithromycin und Erythromycin wurden in die erste europäische Beobachtungsliste (EU-Watch-List, EU COM 2015/495) aufgenommen. Für dieses EU-weite Messprogramm wurden auch die Überwachungsmatrix (z.B. Wasser oder Sediment), Analysemethoden und Nachweisgrenzen vorgegeben. In Deutschland haben die Bundesländer 2016 die Stoffe der ersten Beobachtungsliste entsprechend der Oberflächengewässerverordnung an 24 Messstellen analysiert. Die EU Kommission hat 2018 den Bericht „Review of the 1st Watch List under the Water Framework Directive and recommendations for the 2nd Watch List“ veröffentlicht, in dem die europaweiten Messergebnisse u.a. mit PNEC (predicted no effect concentration) verglichen werden. Gleichzeitig liegen mit dem Bericht für einige Arzneimittelwirkstoffe neue Normvorschläge vor.
Die Stoffe für das nationale Messprogramm sind in der nationalen Beobachtungsliste festgelegt. Die nationale Beobachtungsliste enthält ebenfalls Arzneimittelwirkstoffe: das Antiepileptikum Carbamazepin, die Antibiotika Ciprofloxacin und Sulfamethoxazol, sowie das meistverbrauchte Schmerzmittel in Deutschland Ibuprofen. Die Messungen wurden 2017 an 48 Messstellen durchgeführt.
Synthetische Hormone wie z.B. 17α Ethinylöstradiol (EE2), ein Wirkstoff der Anti-Baby-Pille, aber auch das natürliche oder naturidentische Hormon Östradiol (E2) werden gezielt benutzt um den Hormonhaushalt beim Menschen zu regulieren. Beide Stoffe wie auch deren gemeinsames Abbauprodukt Östron (E1) finden sich daher auch in der Umwelt. Sie sind dafür bekannt, dass sie bereits im sehr niedrigen ng/l-Bereich die Reproduktion von Fischen nachhaltig beeinflussen. Da das Hormonsystem bei allen Wirbeltieren sehr ähnlich strukturiert ist, sind auch Fische sehr sensitiv gegenüber Hormonen und hormonaktiven Substanzen. Zudem ist bei Fischen die genetische Festlegung des Geschlechts im Gegensatz zu Vögeln und Säugetieren deutlich geringer ausgebildet. Dies ist der Grund, weshalb die Anti-Baby-Pille auch bei Fischen wirkt und zudem noch das Geschlechtsverhältnis der Fische beeinflusst.
In der ersten EU-Watch-List (EU COM 2015/495) wurden die Analytik und die Nachweisgrenzen für Östron (E1) und 17-beta-Östradiol (E2) von 0,4 ng/l und für 17-alpha-Ethinylöstradiol (EE2) von 0,035 ng/l vorgegeben. Die Analytik für 17-alpha-Ethinylöstradiol (EE2) war an drei der 24 Messstellen nicht sensibel genug, um die Nachweisgrenzen einzuhalten. Die PNEC der EU Kommission liegen für Östron (E1) bei 3,6 ng/l, für 17-beta-Östradiol (E2) bei 0,4 ng/l und für 17-alpha-Ethinylöstradiol (EE2) bei 0,035 ng/l. In den nachfolgenden Diagrammen sind die Jahresmittelwerte der Messungen 2016 dargestellt. An allen Messstellen, an denen der Jahresmittelwert für 17-alpha-Ethinylöstradiol (EE2) über der Bestimmungsgrenze liegt, wird die PNEC überschritten. Die PNEC für Östron (E1) und 17-beta-Östradiol (E2) werden an der Mündung der Emscher (NW03) überschritten.
Antibiotika aus der Gruppe der Makrolide sind komplex aufgebaute Moleküle. Azithromycin und Clarithromycin finden nur in der Humanmedizin Anwendung. Erythromycin ist auch noch in geringen Mengen als Wirkstoff in Tierarzneimitteln enthalten.
Die Nachweisgrenzen in der ersten EU-Watch-List (EU COM 2015/495) der Makrolid-Antibiotika lagen bei 0,09 µg/l. Die Analytik für Azithromycin war an drei Messstellen nicht sensibel genug, um die Nachweisgrenzen einzuhalten. Der Bericht der EU Kommission zitiert für Azithromycin, Clarithromycin und Erythromycin PNEC von 0,019 µg/l (Azithromycin), 0,12 µg/l (Clarithromycin) und 0,2 µg/l (Erythromycin). An der Mündung der Emscher (NW03) überschreiten die mittleren Konzentrationen von Azithromycin und Clarithromycin die PNEC. Im Teltowkanal (BE03) wird die PNEC für Azithromycin nicht eingehalten. In der zweiten EU-Watch-List (EU COM 2018/840) wurden die Nachweisgrenzen für die Makrolid-Antiobiotika auf nunmehr 0,019 µg/l gesenkt.
Diclofenac ist ein Arzneimittelwirkstoff gegen Entzündungen und Schmerzen. In Deutschland liegt der Verbrauch bei rund 85 Tonnen pro Jahr. Die Anwendung erfolgt sowohl auf der Haut als Salbe als auch innerlich (Injektionen, Tabletten, Tropfen). Erste Hinweise auf schädliche Wirkungen des Stoffes für wildlebende Tiere tauchten Anfang der 1990er Jahre in Pakistan auf. Damals alarmierte ein Massensterben bei Geiern die Weltöffentlichkeit. Drei einheimische Geierarten sind durch Nierenversagen fast ausgestorben. Verantwortlich waren Rückstände von Diclofenac, welche die Vögel mit dem Fleisch von verendeten Rindern aufnahmen. Danach wurden auch bei anderen Wildtierarten Rückstände von Diclofenac nachgewiesen, etwa bei Fischottern oder Forellen.
Die Nachweisgrenzen in der ersten EU-Watch-List (EU COM 2015/495) für Diclofenac lag bei 0,01 µg/l. Die PNEC für Diclofenac liegt bei 0,05 µg/l und wird an 21 der 24 Messstellen überschritten.
Die Messungen an den LAWA Messstellen zeigen im Zeitraum 2016 bis 2018 für die Stoffe der ersten EU-Watch-List (EU COM 2015/495):
Von den Stoffen der nationalen Beobachtungsliste wurde der Vorschlag für die Jahresdurchschnitts-Umweltqualitätsnorm (UQN-V) für Carbamazepin und Sulfamethoxazol an allen Messstellen eingehalten und für Ciprofloxacin an einer Messstelle überschritten. Für Ibuprofen konnte an 40 % der Messstellen die UQN-V nicht auf Einhaltung geprüft werden, weil die Bestimmungsgrenze höher war. Von den übrigen Messstellen traten an rund 50 % Überschreitungen des UQN-V auf. Diese Ergebnisse bestätigen die Messungen an den 48 ausgewählten Messstellen, an denen 2017 das nationale Messprogramm durchgeführt wurde.