Murg: Gewässerökologie in Rastatt – gefördert von EU, Land, Stadt
Die Murg wurde im Stadtgebiet Rastatt von Uferverbau befreit, um naturnahe Gewässerstrukturen zu schaffen. Außerorts wurden verloren gegangene Überflutungsräume für den Hochwasserschutz und die Auenentwicklung reaktiviert. Von dieser Renaturierung profitieren auch die Gelbbauchunke und der Kammmolch.
Film: Verbesserung der Gewässerökologie an der Murg in Rastatt
Quelle: Umweltbundesamt
Verbesserung der Gewässerökologie an der Murg in Rastatt
Hochwasserschutz und Naturschutz als Projektauslöser
Die Region um Rastatt war schon immer durch den Rhein und die Murg einer besonderen Gefährdung durch Hochwasser ausgesetzt. Zentrales Ziel und Auslöser des Hochwasserschutz- und Ökologieprojekts Murg Rastatt (HÖP Rastatt) war daher die Verbesserung des Hochwasserschutzes im Stadtbereich, der Schutz der ortsansässigen Industrie und des Wirtschaftsstandortes Rastatt.
Durch Ausbau und Begradigung der Gewässer sind in der Umgebung von Rastatt Lebensräume seltener Tierarten verloren gegangen. Deshalb sollte das HÖP Rastatt neue Lebensräume für Fische, wirbellose Kleintiere der Gewässersohle, Wasserpflanzen, Libellen und Amphibien schaffen.
Der Maßnahmenträger des HÖP Rastatt war das Regierungspräsidium Karlsruhe. Die Bauzeit betrug zweieinhalb Jahre (2012-2014) und die Projektkosten beliefen sich auf ca. 10 Mio. Euro, die vom Land Baden-Württemberg, der Stadt Rastatt, und über das EU LIFE+-Projekt "Rheinauen bei Rastatt" (Projektkennung: LIFE09/NAT/DE/000004, Action B2 und C3) finanziert wurden.
Außerorts: Deichrückverlegung, Seitenarm und Auenterrassen an der Murg
Flussabwärts des Stadtrandes von Rastatt wurde der bestehende Hochwasserdeich der Murg auf einer Länge von fast 2 km um bis zu 500 m (links) bzw. 100 m (rechts) zurückverlegt. So konnten ca. 57 ha ehemalige Murgaue naturnah reaktiviert werden, in der sich das Hochwasser ausbreiten kann.
Gleichzeitig wurden alte Hochwasserrinnen (Schluten) wieder an die Murg angebunden. Bei Hochwasser strömt das Wasser aus der Murg über diese Schluten in die Auwaldflächen. Das bringt Vorteile für Naturschutz (Auenentwicklung) und Hochwasserschutz. Zudem fließt das Hochwasser über die Schluten auch schnell wieder ab.
Im Bereich der rechten Deichrückverlegung verzweigt sich die Murg in den Hauptlauf und ein neu geschaffenes Nebengerinne. Hier wurde der gesamte Flussquerschnitt aufgeweitet, um die Hochwasserspiegel in der Stadt abzusenken. Die beiden neu geschaffenen Überschwemmungsbereiche, die durch eine Straße getrennt sind, konnten durch den Neubau einer Brücke über das neue Nebengerinne ökologisch und hydraulisch verbunden werden. Die neue Brücke vergrößert den Abflussquerschnitt der vorhandenen Murgbrücke bei Hochwasser und verbindet die neuen Auenflächen.
An dieser Stelle wurden ökologisch besonders wertvolle Auenterrassen angelegt, um die FFH-Lebensraumtypen "Magere Flachland Mähwiesen" (FFH-LRT 6510) und "Naturnahe Kalk-Trockenrasen" (FFH-LRT 6210) zu etablieren.
Innerorts: Vorlandabsenkung und Schaffung naturnaher Gewässerstrukturen an der Murg
Auch innerhalb des Stadtgebiets von Rastatt wurde die Murg naturnah umgestaltet. Wasserbausteine, die seit den 1950er Jahren das ausgebaute Mittelwasserbett zum Schutz vor starker Strömung und Bettverlagerung bei Hochwasser fixierten, wurden entnommen und an den Deichfuß zur Böschungssicherung 5 m rückverlegt. Innerhalb der Hochwasserdeiche wurden die Ufer- und Vorlandflächen auf 3 km Länge um bis zu 60 cm abgesenkt. Die ca. 8.000 LKW-Ladungen Bodenabtrag wurden kostensparend für die Modellierung von Auenterrassen und Seitengerinnen an anderer Stelle des Renaturierungsprojektes außerhalb von Rastatt genutzt. In der so entstandenen neuen Sekundäraue mitten in Rastatt konnten strukturreiche und naturnahe Elemente im und am Gewässer geschaffen werden: Ufer wurden abgeflacht, alternierende Uferbuchten ausgehoben, Kiesbuhnen und mehrere Inseln angelegt.
Innerhalb des Gewässerbettes wurde so mehr Struktur- und Strömungsvielfalt geschaffen und in der neu geschaffenen Sekundäraue kann sich die Murg eigendynamisch entwickeln. Die Hochwasserdeiche bleiben unverändert. Der sogenannte "schlafende Verbau" am Deichfuß schützt anliegende Flächen und sichert Nutzungen im Nahbereich (Radweg, Straße, Park etc.).
Renaturierung erfordert angepasste Gewässerunterhaltung an der Murg
Die Vielzahl der Strukturverbesserungen und ökologischen Aufwertungen der Murg innerhalb sowie außerhalb von Rastatt erforderten eine Neuausrichtung der Gewässerunterhaltung. Seit der Renaturierung steht dabei das bewusste Zulassen eigendynamischer Entwicklungen innerhalb des für den Hochwasserabfluss verfügbaren Querschnitts zwischen den Deichen im Fokus. Daneben wird bei der Unterhaltung auch die Hochwassersicherheit der Deichbauwerke sowie die Entwicklung und Sicherung von FFH-Lebensraumtypen berücksichtigt. Je nach örtlicher Zielsetzung werden daher drei Unterhaltungszonen unterschieden, in denen der Umfang der Eingriffe variiert: Entwicklungszone, Vorhaltezone und Unterhaltungszone.
Ziel in der Zone 1 (Entwicklungszone) ist die Eigendynamik des Gewässerbettes. Hier findet im Regelfall keine Unterhaltung statt. Um einen ungehinderten Hochwasserabfluss zu gewährleisten, wird die Gehölzentwicklung kontrolliert und an einigen Stellen begrenzt.
Die Zone 2 (Vorhaltezone) umfasst Entwicklungsbereiche mit rückwärtiger Sicherung innerhalb der Stadt und Feuchtwiesen im Bereich der Deichrückverlegungen außerorts. Hier erfolgt 1- bis 2-mal jährlich eine Mahd. Gebüsche sind spätestens alle 4 Jahre auf den Stock zu setzen. Bäume sind nicht zulässig.
Die Zone 3 (Unterhaltungszone) betrifft die Deiche und deren unmittelbares Vorland. Hier richtet sich die Unterhaltungspraxis im Wesentlichen nach der Standsicherheit der Deiche. Dazu erfolgt eine regelmäßige Mahd, die Unterdrückung von Gehölzen und Vorlandabtrag bei Bedarf.
Alle Unterhaltungsmaßnahmen sind mit den im Managementplan für das betroffene FFH-Gebiet "Rheinniederung Winterdorf – Karlsruhe" festgelegten Erhaltungsmaßnahmen abgestimmt. Diese Maßnahmen umfassen u. a. die Umgestaltung des Mittelwasserbettes der Murg, die Unterhaltung naturnaher Nebengerinne sowie die Anlage von Kalktrockenrasen oder Flachland-Mähwiesen.
Eigendynamik und Erholung in urbaner Sekundäraue der Murg
Die Murg in Rastatt zeigt, dass eine eigendynamische Entwicklung auch in dicht besiedeltem Raum und unter vielen Restriktionen möglich ist. Initialmaßnahmen wie die Umgestaltung des Gewässerbettes und der Einbau von Strömungslenkern fördern die Eigendynamik. Kleinere und größere Hochwasser nehmen die neu gestalteten Strukturen auf und entwickeln sie weiter. Durch solche Hochwasserereignisse wurden an der Murg bereits erhebliche Mengen an Steinen und Sand umgelagert und neu sortiert. Tiefe Rinnen und Flachuferbereiche bilden sich ständig neu. Zahlreiche Kies- und Sandbänke kommen und gehen. Durch eine umgestellte, kontrollierende Gewässerunterhaltung (siehe Renaturierung erfordert angepasste Gewässerunterhaltung an der Murg) kann die Murg weitestgehend sich selbst überlassen werden.
Nicht zuletzt wertet diese Dynamik die Murg als Naturerlebnisraum für die Bevölkerung von Rastatt auf. Durch die Uferabflachungen und Deichrückverlegungen ist die Murg besser zugänglich. Themenpfade wurden zur Ergänzung der naturverträglichen Naherholung am Stadtfluss angelegt.
Renaturierung effektiver als Hochwasserrückhaltebecken an der Murg
Eine Studie im Vorfeld der Renaturierung der Murg in Rastatt ergab, dass eine wirksame Verbesserung des Hochwasserschutzes in Rastatt durch den Bau von Hochwasserrückhaltebecken oberhalb der Stadt nicht machbar sei (Regierungspräsidium Karlsruhe 2011).
Deshalb wurden sowohl lokale Hochwasserschutzmaßnahmen wie z. B. die Ertüchtigung von Hochwasserschutzdeichen und -mauern als auch – wo möglich – Deichrückverlegungen umgesetzt. Eine Kombination aus Vorlandabflachung innerorts (siehe Innerorts: Vorlandabsenkung und Schaffung naturnaher Gewässerstrukturen an der Murg) und Deichrückverlegung außerorts (siehe Außerorts: Deichrückverlegung, Seitenarm und Auenterrassen an der Murg) verbessert den Hochwasserschutz für die Stadt Rastatt beträchtlich. Im Fall eines hundertjährlichen Hochwassers würde aufgrund dieser Maßnahmen der Wasserspiegel außerorts um 55 cm, innerorts um ca. 30-40 cm abgesenkt werden. Zusätzlich zur erhöhten hydraulischen Leistungsfähigkeit der Murg wären im Falle eines hundertjährlichen Hochwassers für den Schutz des Stadtbereiches von Rastatt noch ergänzende uferbegleitende Schutzmaßnahmen erforderlich.
Lebensräume für FFH-Arten durch Renaturierung der Murg geschaffen
Die Renaturierung der Murg bei Rastatt ist aufgrund ihrer naturschutzfachlichen Ziele in das FFH-Gebiet "Rheinniederung zwischen Wintersdorf und Karlsruhe" eingebettet und ist ein Teilprojekt des LIFE+-Naturschutzprojektes "Rheinauen bei Rastatt". Durch die Renaturierung entstanden naturnahe Gewässerbereiche sowie Magerwiesen und es wurden Auwälder zurückgewonnen. Diese Strukturen stellen wertvolle Lebensräume für zahlreiche FFH-Arten dar.
Die Wiedervernässung der Auen im Bereich der Deichrückverlegung an der Murg (siehe Außerorts: Deichrückverlegung, Seitenarm und Auenterrassen an der Murg) und die langfristige Waldentwicklung mit auetypischen Hart- und Weichhölzern fördern FFH-Lebensraumtypen, von denen besonders die Gelbbauchunke und der Kammmolch profitieren.
Durch die Wiederherstellung einer abwechslungsreichen Fließdynamik entstanden neue Lebensräume mit flutender Wasservegetation für Jungfische von z. B. Steinbeißern, Groppen, Neunaugen und Maifischen. Reaktivierte Schluten und Seitenarme fungieren als Laichgewässer für Amphibien. In den Flachuferbereichen können Wasservögel Nahrung suchen und rasten. Von den Magerrasenflächen profitieren Wildbienen und Schmetterlinge.
Renaturierung der Murg durch Hochwasserschutz und Naturschutz gemeinsam gefördert
Die Renaturierung der Murg in Rastatt ist ein Beispiel dafür, wie durch die Kombination verschiedener Finanzierungsmöglichkeiten die Projektkosten komplett gedeckt werden können. Aufgrund der Bedeutung des Projektes für das FFH-Gebiet "Rheinniederung zwischen Wintersdorf und Karlsruhe" wurden 2 der 10 Mio. Euro Projektkosten von der Europäischen Union im Rahmen des LIFE+-Projekts "Rheinauen bei Rastatt" (Projektkennung: LIFE09/NAT/DE/000004, Action B2 und C3) finanziert.
Da es sich beim HÖP Rastatt primär um Hochwasserschutzmaßnahmen handelt, wurden die restlichen 8 Mio. Euro anteilig vom Land Baden-Württemberg (70 %) und von der Stadt Rastatt (30 %) aufgebracht.
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