Leistungen und Nutzen renaturierter Flüsse

Foto: Ein steiniges, teils von Wasser überflossenes, teils mit Moos überwachsenes Gewässerbett. Im Vordergrund steht ein Glas mit Sprudelwasser auf einem im Gewässer befindlichen Stein, das die Trinkwasserversorgung symbolisiert. zum Vergrößern anklicken
Renaturierungen stärken Ökosystemleistungen

Der technische Ausbau führt oft zum Verlust natürlicher Ökosystemleistungen. Mit Renaturierungen können viele nutzbringende Funktionen gefördert werden.

Quelle: arttim / Fotolia

Flüsse und Bäche versorgen uns mit Trinkwasser und dienen der Erholung. Als Lebensraum für Fische tragen sie zu unserer Ernährung bei. Durch den technischen Ausbau gingen viele ihrer natürlichen "Leistungen" verloren. Zum Beispiel bieten die Auen keinen Hochwasserschutz mehr, wenn sie nicht überflutet werden können. Durch die Renaturierung von Fließgewässern holen wir uns diese Leistungen zurück.

Inhaltsverzeichnis

 

Ökosystemleistungen von Fließgewässern

Naturnahe Fluss- und Auenlandschaften erfüllen nachweislich über 40 verschiedene Funktionen (Schmidt & Albert 2024). Sie sind Hotspots der ⁠Biodiversität⁠ und stellen kostenlos Leistungen bereit, die unser Wohlergehen und die Lebensqualität sicherstellen oder verbessern. Ist die Fläche für ein Gewässer zu gering, verlieren sie diesen Wert. Der mögliche Reichtum an Funktionen geht also mit der Fläche einher, die wir den Gewässern und Auen wieder einräumen

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Renaturierungen stärken Ökosystemleistungen

Naturnahe Gewässerentwicklungsmaßnahmen weisen deutlich mehr positive und weniger negative Auswirkungen auf ⁠Ökosystemleistungen⁠ auf als traditionelle wasserbauliche Maßnahmen. In einem vom Umweltbundesamt geförderten Vorhaben wurde anhand einer umfangreichen Literaturstudie nachgewiesen, dass sich über 84 Prozent bestimmter naturnaher Maßnahmen positiv auf 6 bis 17 Ökosystemleistungen auswirken. Traditionelle Maßnahmen des Gewässerausbaus beeinflussen hingegen im Durchschnitt nur eine Ökosystemleistung positiv und etwa 15 negativ (Mit der Gewässerentwicklung verbundene Ökosystemleistungen)

In vielen Fällen wird technisch nachgeholfen, damit Flüsse eine gewünschte Aufgabe erfüllen können (z. B. Schifffahrt, Wasserkraftnutzung). Der technische Ausbau führt oft zum Verlust natürlicher Ökosystemleistungen. Mit Renaturierungen können Schäden, die durch bestimmte Nutzungen entstehen, ausgeglichen oder abgemildert und Ökosystemleistungen, gezielt gefördert werden. Dazu zählen beispielsweise:

  • wasserwirtschaftlichen Leistungen: z. B. effektivere, natürliche Wasserreinigung durch Abbauprozesse in intakter, renaturierter Gewässersohle;
  • ökologischen Leistungen: z. B. Zunahme der Fischdichte aufgrund gewässertypspezifischer, renaturierter Habitatbedingungen und
  • soziokulturellen Leistungen: z. B. Zunahme von Wohn-, Lebens- und Erholungsqualität in einer naturnahen, renaturierten Flusslandschaft.

Ziel einer nachhaltigen Bewirtschaftung von Fließgewässern sollte es sein, die zahlreichen Interessen seitens Schifffahrt, Wasserkraftnutzung, Hochwasserschutz, Naturschutz, Erholung und Tourismus, Stadtentwicklung sowie Land- und Forstwirtschaft möglichst in Einklang zu bringen und gleichzeitig die ökologische Funktionsfähigkeit der Fließgewässer als Grundlage für all diese Leistungen zu gewährleisten. Mehr dazu: Kooperation und Partizipation für erfolgreiche Renaturierungen

Schifffahrt und Gewässerentwicklung

Wesentliche Teile der großen deutschen Flüsse sind als ausgebaute Bundeswasserstraßen Verkehrswege. Das Netz der Wasserstraßen in Deutschland hat eine Länge von rund 7.300 km (BDB 2016, ⁠UBA⁠ 2017). Die Anforderungen an die deutschen Wasserstraßen haben sich jedoch im Laufe der Zeit geändert. Der Gütertransport konzentriert sich heute auf wenige Flüsse und Kanäle. Auf zahlreichen Nebenwasserstraßen wird kaum noch Fracht transportiert, diese bieten sich für Renaturierungen an.

Das Bundesprogramm "Blaues Band Deutschland" sieht Renaturierungen im Netz der Bundeswasserstraßen und den Wiederanschluss ihrer Auen vor (⁠BMVI⁠ & ⁠BMUB⁠ 2017). Dadurch können neue Akzente in Richtung Natur- und Gewässerschutz, ⁠Hochwasservorsorge⁠ sowie Wassertourismus, Freizeitsport und Erholung gesetzt werden. Mehr dazu: Masterplan Fuldaaue schafft Interessensausgleich an der Fulda

Renaturierungen machen Wasserkraft ökologisch verträglicher

Die rund 8.000 Wasserkraftanlagen in Deutschland liefern jährlich etwa 20.000 Gigawattstunden elektrische Energie. Damit trägt die Kraft der Flüsse zur regenerativen Energieerzeugung in Deutschland bei. Der mit der Wasserkraftnutzung verbundene Gewässerausbau hat allerdings nachteilige Folgen für die Gewässerökosysteme (Nutzung der Wasserkraft). Die wesentlichen Beeinträchtigungen sind der Aufstau der Gewässer, die Unterbrechung der Durchgängigkeit und die direkte Schädigung und Tötung von Organismen durch den Turbinenbetrieb (UBA 2017, Fische Schützen - Forum Fischschutz und Fischabstieg).

In den Stauhaltungen für Wasserkraft stellen sich untypisch geringe Fließgeschwindigkeiten ein, die zu Verschlammung und Sauerstoffmangel führen. Unterhalb der Stauung reißt der Fluss ⁠Geschiebe⁠ aus der Gewässersohle mit sich und in der Folge kommt es zur Vertiefung des Flussbettes und zur Grundwasserabsenkung in der ⁠Aue⁠.

Mit Maßnahmen zur Entwicklung von Ausweich- bzw. Ersatzhabitaten oder zur Reaktivierung des Geschiebetransports lassen sich ökologische Verbesserungen im Wirkungsbereich von Wasserkraftanlagen erzielen. Ein Beispiel für ökologische Verbesserungsmaßnahmen an Wasserkraftwerken und Renaturierungen von Fischhabitaten als Ausgleichsmaßnahmen liefert das Projektbeispiel Inn: Mit gemeinsamen Zielen renaturieren.

Selbstreinigung und Nahrungsquellen

Zusammen mit ihren Überflutungsflächen funktionieren Flüsse und ihre Auen wie große Reinigungsanlagen. Muscheln, Schnecken, Würmer, Insekten und Insektenlarven filtern das Wasser und nehmen Phosphate und Nitrate auf. Kies- und Sandschichten filtern das versickernde Wasser ebenfalls. Diese natürlichen Prozesse sind zudem die Grundbedingung dafür, dass in den Fließgewässern über Abwässer eingeleitete Schmutzstoffe zu großen Teilen abgebaut werden. Durch solche Prozesse leisten Flüsse als "Nieren" der Landschaft einen wichtigen Beitrag zur Reinigung des Flusswassers und zur Bereitstellung von Trinkwasser.

Auf der Gewässersohle haften Algen an, die vom herbeiströmenden Material leben. Die Algen werden wiederum von Fischen und Insektenlarven abgeweidet und bilden den Anfang der Nahrungskette an deren Ende der Mensch steht.

Beitrag zur Klimaanpassung und zum ⁠Klimaschutz

Fluss- und Auenlandschaften speichern große Mengen Kohlenstoff, so lange sie nass sind. Allein durch partielle Rückdeichungen, durch die mehr Überflutungsfläche geschaffen wird, könnten bis zu 1,1 Millionen Tonnen Kohlenstoff zusätzlich gespeichert werden (⁠BfN⁠ 2012). Durch Verbesserungen des Wasserhaushalts und der ⁠Landnutzung⁠ in Auen kann zudem eine Reduzierung der Treibhausgasemissionen um 0,85 Millionen Tonnen Kohlendioxidäquivalenten pro Jahr erreicht werden.

Luftqualität und Mikroklima beeinflussen das menschliche Wohlbefinden. Feinstäube und verschiedene Luftschadstoffe haben eine direkte Wirkung auf die Lebenserwartung und auf das Risiko, an Herz-Lungen-Leiden zu erkranken (Voss & Hassauer 2004). Naturnahe Fließgewässer und ihre gehölzbestandenen ⁠Uferstreifen⁠ filtern die Luft und reduzieren die Konzentration gesundheitsschädlicher Feinstäube.

In Städten führen dichte Bebauung, geringer Grünflächenanteil und mangelnder Luftaustausch zu einer deutlichen Erhöhung der Temperaturen. Die ⁠Verdunstung⁠ von Wasser aus Fließgewässern und deren Vegetation führt insbesondere an heißen Sommertagen zur Reduktion der Umgebungstemperatur und damit zu einer Verbesserung der Situation in überwärmten Siedlungsbereichen (Naturkapital Deutschland – TEEB DE 2016). Bäume am Ufer und im Gewässernahbereich kühlen die Umgebung zusätzlich, indem sie den Boden beschatten.

Naturnahe Fließgewässer leisten als sogenannte grün-blaue Infrastruktur einen wichtigen Beitrag zu einem gesunden Leben in unseren Städten und zur Anpassung an die Folgen klimatischer Veränderungen. An der Ruhr dienen Renaturierungsmaßnahmen beispielsweise auch der ⁠Klimafolgenanpassung⁠. Darunter fallen z. B. die Schaffung kühlender, größerer Wasserflächen durch Gewässeraufweitungen und der Rückbau von versiegelten Flächen. Mehr dazu: Positive Wirkung auf Ökosystemleistungen und Klimafolgenanpassung durch renaturierte Ruhr

Wissenschaftliche Analysen zeigen zudem, dass die sommerliche Wassertemperatur eines zuvor komplett besonnten Bachs durch Gehölze um bis zu 7 °C gesenkt werden kann. Gewässerbegleitende Gehölze könnten den klimawandelbedingten Anstieg der Wassertemperaturen in vielen Gewässern kompensieren (Haag et al. 2023).

Artenvielfalt im und am Fluss

Intakte Fließgewässer und ihre Auen sind komplexe, sehr artenreiche Ökosysteme. Sie bieten Lebensraum für eine besonders hohe Vielfalt verschiedener Tier- und Pflanzenarten. Aber diese Vielfalt steht unter hohem Druck: In keinem anderen ⁠Ökosystem⁠ sind so viele Arten bedroht oder bereits verschwunden wie im oder am Wasser. Renaturierungen können dazu beitragen, die Lebensraumfunktion des Gewässers aufzuwerten. Mehr dazu: Naturschutz und Gewässerentwicklung – ein schönes Paar

Renaturierungen haben z. B. die Fischerhuder Wümmeniederung zu einem Gebiet von überregionaler ökologischer Bedeutung gemacht, insbesondere für wasserliebende Brut- und Rastvögel (Mehr dazu: Wümme: Fischotter, Lachs und Tüpfelsumpfhuhn sind zurück). An der Ahr dienten Renaturierungen dazu, die Lebensräume von Wanderfischen von der Mündung bis hinauf in die Eifel wieder zu vernetzen (Mehr dazu: Ahr: Barrierefreiheit und Lebensraum für Fische schaffen). An der Murg konnten im Zuge von Renaturierungen zahlreiche FFH-Lebensraumtypen etabliert werden (Mehr dazu: Lebensräume für FFH-Arten durch Renaturierung der Murg geschaffen).

Lebensqualität, Tourismus und Erholung

Menschen zieht es zum Wasser. Flusslandschaften ermöglichen eine intensive Begegnung mit Natur und Landschaft. Sie sind attraktive Erholungsgebiete und beliebte Ziele für die Freizeitgestaltung. Naturnahe Gewässer erhöhen zudem die Attraktivität von Städten und Regionen sowie die Lebensqualität der Bevölkerung und verstärken die touristische Anziehungskraft (Mehr dazu: Erholung und Tourismus am renaturierten Fluss). Beispielsweise entwickelte sich an der renaturierten Hase der sanfte Tourismus zu einem wichtigen Wirtschaftsfaktor (Mehr dazu: Erholungssuchende und Fischfans profitieren von der Revitalisierung der Haseauen).

Gewässer und Auen regulieren Hoch- und Niedrigwasser

Natürliche Überschwemmungsgebiete in den Flussauen leisten einen wichtigen Beitrag zur Minderung des Hochwasserrisikos (Mehr dazu: Hochwasser durch Renaturierung entschärfen). Untersuchungen an der Nebel haben z. B. ergeben, dass infolge von Renaturierungsmaßnahmen ein um ca. 16 % größerer Hochwasserrückhalteraum zur Verfügung steht und dass technische Lösung (z. B. ⁠Polder⁠ oder Deich) mit gleicher Leistung rund 174 Mio. Euro kosten würden (Mehl et al. 2018) (Mehr dazu: Positive Effekte von Renaturierungen auf Ökosystemleistungen der Nebel). An der Fulda verbesserte eine umfangreiche Auenreaktivierung den Hochwasserschutz für die Stadt Rotenburg deutlich (Mehr dazu: Renaturierung der Fulda führt zu spürbarer Verbesserung bei Hochwasser ). An der Murg wirkten sich Renaturierungen mit Vorlandabflachung innerorts und Deichrückverlegung außerorts positiv für den Hochwasserschutz der Stadt Rastatt aus (Mehr dazu: Renaturierung effektiver als Hochwasserrückhaltebecken an der Murg).

Eine längere Fließstrecke in Mäandern mit vielfältigen Gewässerstrukturen verlangsamt den ⁠Abfluss⁠ des Wassers. Es verweilt dadurch länger in der Landschaft. Bei trockener ⁠Witterung⁠ wird das Wasser dann wieder langsam abgegeben, was die Umgebung kühlt und Dürren vorbeugt. Natürliche Fluss- und Auenlandschaften regulieren daher den Wasserhaushalt und das Mesoklima und sorgen für eine verbesserte Grundwasserspeicherung. Großräumige Renaturierungen können daher zur Vorbeugung von Niedrigwasser beitragen.

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Literaturangaben

Links Ökosystemleistungen

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