BD-I-1: Phänologische Veränderungen bei Wildpflanzenarten

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Der Huflattich blüht heute früher im Jahr als noch Mitte des letzten Jahrhunderts.
Quelle: kraichgaufoto / stock.adobe.com

Monitoringbericht 2019 zur Deutschen Anpassungsstrategie an den Klimawandel

Inhaltsverzeichnis

 

BD-I-1: Phänologische Veränderungen bei Wildpflanzenarten

Der Beginn des phänologischen Frühlings, Sommers und Herbstes hat sich in den letzten 67 Jahren im Jahresverlauf im Durchschnitt nach vorne verschoben. Der Winter ist deutlich kürzer, der Frühherbst deutlich länger geworden. Diese Veränderungen sind Ausdruck der ⁠Anpassungsfähigkeit⁠ von Pflanzen an das veränderte ⁠Klima⁠. Sie können aber auch weitergehende Folgen für die biologische Vielfalt bis hin zur Gefährdung von Tier- und Pflanzenarten haben.

Die Grafik zeigt eine phänologische Uhr. Konzentrisch sind drei Zeiträume 1951 bis 1980 und 1981 bis 2010 und 1988 bis 2017 abgetragen. Dargestellt sind die Veränderung der folgenden zehn durch Wildpflanzen repräsentierten Leitphasen.
BD-I-1: Phänologische Veränderungen bei Wildpflanzenarten

Die Grafik zeigt eine phänologische Uhr. Konzentrisch sind drei Zeiträume 1951 bis 1980 und 1981 bis 2010 und 1988 bis 2017 abgetragen. Dargestellt sind die Veränderung der folgenden zehn durch Wildpflanzen repräsentierten Leitphasen; im Folgenden werden die Zahlenwerte der drei Zeiträume jeweils gelesen: Stieleiche (Beginn des Blattfalls) Winter: 143, 135 und 133 Tage, Huflattich (Beginn der Blüte) für den Vorfrühling: 14, 14 und 13 Tage, Buschwindröschen (Beginn der Blüte) für den Erstfrühling: 31, 31 und 31 Tage, Stieleiche (Beginn der Blattentfaltung) für den Vollfrühling: 30, 28 und 28 Tage, Schwarzer Holunder (Beginn der Blüte) für den Frühsommer: 20, 22 und 23 Tage, Sommerlinde (Beginn der Blüte) für den Hochsommer: 49, 43 und 44 Tage, Eberesche (Entwicklung erster reifer Früchte) für den Spätsommer: 21, 24 und 23 Tage, Schwarzer Holunder (Entwicklung erster reifer Früchte) für den Frühherbst: 29, 39 und 43 Tage, Hängebirke (Beginn der Blattverfärbung) für dem Vollherbst: 20, 22 und 22 Tage, Rotbuche (Beginn des Blattfalls) für den Spätherbst: 7,7 und 7 Tage.

Quelle: DWD (Phänologisches-Beobachtungsnetz)
 

Zeitliche Entwicklung von Wildpflanzenarten verschiebt sich im Jahresverlauf

In unseren Breiten bestimmen insbesondere die klima- und witterungsbedingten Temperaturverläufe den Jahresgang der Entwicklung der Pflanzen. So lässt sich beispielsweise in einem warmen Winter eine sehr frühe Blüte von Gehölzen wie Hasel oder Schwarzerle beobachten. Für diese Entwicklung sind nicht einzelne besonders warme oder kalte Tage entscheidend, sondern längerfristige Witterungsverläufe, die der Blüte vorangehen. Sind die Temperaturen z. B. während des Winters über mehrere Wochen hinweg hoch, bauen sich hohe Wärmesummen auf, die die Pflanzenentwicklung beschleunigen.

Veränderungen natürlicher jahreszeitlicher Rhythmen und die damit verbundenen zeitlichen Verschiebungen in der Entwicklung von Pflanzen werden seit vielen Jahren anhand sogenannter phänologischer Beobachtungen dokumentiert. Erfasst wird dabei bundesweit das Eintreten bestimmter periodisch wiederkehrender biologischer Erscheinungen wie Blatt- und Knospenaustrieb, Blüte, Fruchtreife oder Blattfall. Das phänologische Beobachtungsnetz des ⁠DWD⁠ umfasst u. a. ein breites Spektrum von Wildpflanzen, deren spezifische Entwicklungsphasen den Beginn der phänologischen Jahreszeiten markieren. Wildpflanzen eignen sich besonders für die Beobachtung phänologischer Verschiebungen, da ihre Reaktionen nicht durch züchterische Veränderungen oder landbauliche Maßnahmen beeinflusst werden.

Da eine Interpretation der Verschiebungen jahreszeitlicher Zyklen nur über größere Zeiträume betrachtet zu gesicherten Ergebnissen führt, werden phänologische Daten ebenso wie klimatische Daten über Zeiträume von 30 Jahren gemittelt. Vergleicht man in der sogenannten phänologischen Uhr die mittleren Eintrittszeitpunkte der phänologischen Jahreszeiten im Referenzzeitraum 1951 bis 1980 und im Vergleichszeitraum 1981 bis 2010 mit denen im Zeitraum 1988 bis 2017, wird folgendes Muster deutlich: Die phänologischen Jahreszeiten vom Vorfrühling über den Frühsommer bis zum Frühherbst setzten in den beiden Perioden nach 1981 jeweils früher ein als im Referenzzeitraum 1951 bis 1980, Vollherbst, Spätherbst und Winter hingegen jeweils später. Dadurch war insbesondere der Frühherbst im Mittel der Jahre 1988 bis 2017 um etwa 14 Tage länger als im Referenzzeitraum 1951 bis 1980, der Winter jedoch um etwa zehn Tage kürzer als noch zwischen 1951 und 1980. Dieser Vergleich ergibt auch, dass der Sommer im Mittel der drei betrachteten Perioden zwar unverändert etwa 90 Tage dauerte, aber Beginn und Ende des Sommers in der Periode 1988 bis 2017 durchschnittlich jeweils etwa zwölf Tage früher lagen als in der Referenzperiode 1951 bis 1980. Analysiert man die Eintrittsdaten der phänologischen Jahreszeiten im Vergleich der Periode 1988 bis 2017 mit dem Referenzzeitraum 1951 bis 1980, so ergeben sich statistisch signifikante bzw. in den meisten Fällen sogar hochsignifikante Unterschiede zwischen den beiden Perioden für alle Jahreszeiten.

Verschiebungen phänologischer Jahreszeiten sind zum einen Ausdruck der ⁠Anpassungsfähigkeit⁠ von Pflanzen und Tieren an veränderte Klimaverhältnisse. Zum anderen lassen die durch den ⁠Klimawandel⁠ verursachten Veränderungen von Entwicklungszyklen aber auch auf weitergehende Folgen für die biologische Vielfalt schließen. Phänologische Verschiebungen können in bestimmten Fällen das zeitliche Zusammenspiel zwischen Organismen entkoppeln. Dadurch werden etablierte Wechselwirkungen beispielsweise zwischen Pflanzen und deren Bestäubern oder in Räuber-Beute-Beziehungen beeinflusst. Dies wirkt sich auf Struktur und Funktionen von Ökosystemen aus und kann zur Gefährdung von Tier- und Pflanzenarten führen. So konnte unter anderem anhand von Populationen des Trauerschnäppers in den Niederlanden nachgewiesen werden, dass die Individuenzahl zurückging, weil es zu einer solchen zeitlichen Entkopplung der Aufzuchtzeit der Nestlinge von der Zeit des optimalen Nahrungsangebots gekommen ist35. Da Trauerschnäpper Langstreckenzieher sind und in Afrika überwintern, können sie auf veränderte Zyklen der Entwicklung ihrer Nahrungsorganismen nicht ausreichend reagieren.

Für Deutschland gibt es keine breit angelegten Untersuchungen oder systematischen Beobachtungen der Folgen solcher durch phänologische Verschiebungen veränderter Beziehungen zwischen Pflanzen und Tieren. Möglich ist daher zum jetzigen Zeitpunkt nur die Aussage, dass mit weiteren Verschiebungen der phänologischen Phasen eine Zunahme solcher Veränderungen erwartet wird.

Gleiches gilt für die beobachtete Verlängerung der phänologischen ⁠Vegetationsperiode⁠. Deren Dauer entspricht der Summe der Tage des phänologischen Frühlings, Sommers und Herbstes. Während die Vegetationsperiode in den Jahren 1951 bis 1980 im Mittel lediglich 222 Tage dauerte, verlängerte sie sich im Durchschnitt der Jahre 1981 bis 2010 um 8 Tage auf 230 Tage und im Durchschnitt der Jahre 1988 bis 2017 um 10 Tage auf 232 Tage. Dabei ist zu beachten, dass die Länge über die Jahre hinweg stark variiert. Eine Verlängerung der Vegetationsperiode kann beispielsweise zu einer höheren Produktivität von Ökosystemen führen, was wiederum Beziehungen zwischen verschiedenen Arten beeinflussen kann. Deutschlandweite systematische Untersuchungen der Auswirkungen einer verlängerten Vegetationsperiode auf die biologische Vielfalt liegen bisher nicht vor.

35 -  Both C., Bouwhuis S., Lessells C.M., Visser M.E. 2006: Climate change and population declines in a longdistance migratory bird. Nature 441: 81–83. DOI: 10.1038/nature04539

 

Schittstellen

LW-I-1: Verschiebung agrarphänologischer Phasen

LW-R-1: Anpassung von Bewirtschaftungsrhythmen

WW-I-7: Eintreten der Frühjahrsalgenblüte in stehenden Gewässern

 

Ziele

Abpufferung und Minimierung der Auswirkungen des Klimawandels auf die biologische Vielfalt in Deutschland (z. B. Verschiebung der Vegetationszonen, Veränderung des Vogelzugverhaltens, Gefährdung kälteliebender Arten) (⁠NBS⁠, Kap. B 3.2)

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