Klimawandeltaugliche Kompensationsmaßnahmen – Überprüfung der Funktionstüchtigkeit von Kompensationsmaßnahmen unter klimatisch veränderten Bedingungen am Beispiel der Stadt Kiel

Hintergrund und Ziele

Gemäß der naturschutzrechtlichen Gesetzgebung der Bundesrepublik Deutschland sind zur Sicherung der Leistungsfähigkeit des Naturhaushalts und des Landschaftsbildes alle Eingriffe zu unterlassen beziehungsweise auszugleichen, sofern der Eingriff aus wirtschaftlichen, gesellschaftlichen oder anderen Gründen unerlässlich ist. Darunter fallen auch Neubaugebiete. Dementsprechend ist es gesetzlich gefordert, bei der ⁠Bauleitplanung⁠ die Umweltbeeinflussung zu berücksichtigen. Als wichtiger Bestandteil der Landschaftsplanung wird hierzu unter anderem auch der Einsatz von Kompensationsmaßnahmen verwendet.

Dazu sollen grundsätzlich potenzielle Kompensationsflächen unter Berücksichtigung der Standorteigenschaften und des Kompensationsbeitrags ausgewählt werden. Dabei gilt es zu berücksichtigen, dass das Kompensationsziel – insbesondere bei Maßnahmen mit längerer Entwicklungsdauer oder jungen Maßnahmen – zu Beginn noch nicht erreicht wird. Aus diesem Grund muss viel mehr eine Entwicklungsprognose erstellt werden, um die Wahrscheinlichkeit der Erreichung des Maßnahmenziels zu prognostizieren und um notwendige Maßnahmen für die Entwicklungspflege abzuleiten. Derzeit findet eine Einschätzung der Funktionstüchtigkeit von Kompensationsmaßnahmen ohne die Berücksichtigung des Klimawandels statt. Für viele Maßnahmen stellen das vermehrte Auftreten von Extremereignissen oder Veränderungen im hydrologischen Wasserkreislauf Risiken für ein Verfehlen des Kompensationsziels dar.

Daher ist es notwendig auf regionale Klimainformationen zurückzugreifen, um zukünftige klimatische Entwicklungen abschätzen zu können. Zur Entwicklung passender Managementstrategien zeigt sich, dass der Einsatz eines Klimamodellensembles dringend empfohlen wird, um die gesamte Bandbreite möglicher Veränderungen und somit das gesamte Handlungsspektrum abbilden zu können.  

Der Report 32 beschreibt am Beispiel von drei Fallstudien die Entwicklung einer Methodik für ein Modul – „Klimawandeltaugliche Kompensationsmaßnahmen“ – des GERICS-Stadtbaukastens.

Laufzeit

bis

Untersuchungsregion/-raum

Land
  • Deutschland
Bundesland
  • Schleswig-Holstein
Naturräumliche Zuordnung
  • Deutschland gesamt
Räumliche Auflösung / Zusatzinformationen 

Am Beispiel der Stadt Kiel

Schritte im Prozess zur Anpassung an den Klimawandel

Schritt 1: Klimawandel verstehen und beschreiben

Ansatz und Ergebnisse 

Die Simulationen für das historische ⁠Klima⁠ (1950 – 2005) und die Projektionen für zukünftiges Klima (2005 – 2100) wurden mit dem regionalen ⁠Klimamodell⁠ REMO (Jacob & Podzun 1997) berechnet. Die Klimaprojektionen für die Zukunft umfassen die Klimaänderungsszenarien RCP2.6, 4.5 und 8.5. In der ersten Variante wurden die Klimavariablen ausschließlich mit dem regionalen Klimamodell REMO berechnet (RCP2.6, RCP4.5, RCP8.5), angetrieben mit dem Globalmodell MPI-ESM, mit einer räumlichen Auflösung von 0,11º (~12,5 km) sowie einer zeitlicher Auflösung von einer Stunde. Diese Variante musste zu Beginn der Entwicklungsphase der Stadtbaukastenmodule gewählt werden, da zu diesem Zeitpunkt noch kein Ensemble regionaler Klimaprojektionen für das ausgewählte Untersuchungsgebiet frei verfügbar war.

In der zweiten Variante wurden regionale Klimaprojektionen der EURO-CORDEX-Initiative herangezogen, die durch „Dynamisches Downscaling“ erzeugt wurden (Jacob et al. 2014). Dabei wurden 34 Klimaprojektionen analysiert, aufgeteilt in vier Projektionen basierend auf ⁠Szenario⁠ RCP2.6, sowie jeweils 15 Projektionen basierend auf Szenario RCP4.5 beziehungsweise RCP8.5. Das Ensemble beinhaltet Simulationen von sechs unterschiedlichen regionalen Klimamodellen (RCM), die von acht verschiedenen globalen Klimamodellen (GCM) beziehungsweise GCM-Realisierungen angetrieben werden. Die in der ersten Variante genutzten REMO-Simulationen sind Bestandteil des in der zweiten Variante verwendeten EURO-CORDEX-Ensembles. Für das Projekt wurden folgende Indizes mit Bezug zu Temperatur und Niederschlag angewendet:

  • Langjähriges Mittel der Temperatur sowie langjähriger saisonaler Mittelwert für Winter
  • Taupunkttemperatur
  • Langjähriges Mittel der Niederschlagssumme sowie langjähriger saisonaler Mittelwert
  • Langjähriges Mittel der Windstärke
  • Anzahl der Sommertage bzw. sommerliche Tage
  • Anzahl der hitzetage
  • Anzahl der Starkregenereignisse
  • Anzahl der Trockenperioden
  • Länge der Trockenperioden
  • Mittlere Länge der ⁠Vegetationsperiode
  • Mittlerer Beginn der Vegetationsperiode

Ein Abgleich der Modellierungen mit gemessenen Werten fand statt. Als Messstation diente die Station Kiel-Holtenau. Ein Vergleich der gemessenen und modellierten Temperaturwerte zeigt, dass die Beobachtungen höhere Werte als die Statistik des EURO-CORDEX-Ensembles aufweisen. Im Vergleich der Windgeschwindigkeiten weisen dagegen die Simulationen höhere Werte auf. Trotzdem bewegen sich die Modellwerte in einer vertretbaren Größenordnung, vor allem da es sich bei den Beobachtungsdaten um Punkinformationen und bei den Modellergebnissen um mittlere Flächenergebnisse handelt. Wie Sensitivitätsstudien im Rahmen einer GERICS-Produktentwicklung für ein vergleichbares Gebiet gezeigt haben, können zwei Messstationen innerhalb einer Gitterbox durchaus Unterschiede von über einem Grad Celsius aufweisen. Bei Niederschlagswerten können aufgrund der heterogenen Verteilung der Niederschläge – insbesondere bei kleinräumigen Ereignissen wie ⁠Starkregen⁠ – Unterschiede bei Tageswerten von 100% und mehr auftreten. Für alle nachfolgenden Vergleiche zwischen dem Ergebnis der REMO-Klimaprojektionen und den Ensemble-Ergebnissen ist zu beachten, dass die Zeitperiode des Ensembles um ein Jahr verkürzt ist.

Parameter (Klimasignale)
  • Veränderte Niederschlagsmuster
  • Höhere mittlere Temperaturen
  • Starkniederschlag (inkl. Hagel, Schnee)
  • Trockenheit
Weitere Parameter 

Mittlere Windstärke, Anzahl Sommertage, Anzahl heiße Tage, Start/Mittlere Länge der Vegetationsperiode

Weitere Zeitangaben 

 

  • Gesamter Simulationszeitraum der historischen Modellsimulation: 1950 – 2005
  • Gesamter Simulationszeitraum für zukünftige Entwicklungen: 2005 – 210
  • Beobachtungsdaten Messstation (Temperatur): 01.01.2002 – 31.12.2012
  • Beobachtungsdaten Messstation (Wind): 01.06.1986 – 21.12.2007
  • Beobachtungsdaten Messstation (relative Feuchte): 01.01.2002 – 31.12.2012

Schritt 2a: Risiken erkennen und bewerten (Klimafolgen/-wirkungen)

Analyseansatz 

Ausgehend von den für den Großraum Kiel ermittelten Ergebnisbandbreiten der klimatischen Entwicklung für die „Nahe Zukunft“ (2020 bis 2050) unter Annahme verschiedener Klimaänderungsszenarien lassen sich folgende zukünftigen Veränderungen formulieren:

Die Zunahme der mittleren Temperatur kann – insbesondere nach Berücksichtigung der Robustheits- und Signifikanztests von Jacob et al. (2014) – als gesichert angesehen werden. Dadurch steigt auch die Wahrscheinlichkeit einer höheren Anzahl an Sommertagen und heißen Tagen, wobei die Zunahme jedoch als moderat anzunehmen ist. Bei den saisonalen Niederschlagsmengen sind zwar tendenziell leichte Zunahmen – jedoch keine größeren Veränderungen bei den Durchschnittswerten – zu erwarten. Allerdings werden die Niederschlagsmengen nicht gleichmäßig über die angegebenen Zeiträume fallen, so dass lokal periodisch sowohl ein Überangebot (Überschwemmung nach einem ⁠Starkregen⁠) als auch ein Wassermangel (während Trockenperioden, die unter Umständen länger dauern können) auftreten kann. Aufgrund der mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwartenden Verlängerung der ⁠Vegetationsperiode⁠, wird der pflanzenbezogene Wasserbedarf ansteigen. Dies kann sich bereits unter Berücksichtigung gleichbleibender klimatischer Verhältnisse negativ auf das lokale ⁠Wasserdargebot⁠ auswirken und den ⁠Trockenstress⁠ bei Pflanzen begünstigen.

Die im Rahmen dieser Studie projizierten Änderungssignale sind verhältnismäßig schwach, so dass eher gering ausgeprägte klimatische Veränderungen mit geringfügigen Auswirkungen zu erwarten sind. Klimatische Veränderungen in Schleswig- Holstein bzw. in den untersuchten Kompensationsgebieten der Landeshauptstadt Kiel werden voraussichtlich keine erheblichen Auswirkungen auf die Neuwaldbildung bzw. Waldentwicklung durch Erstaufforstung sowie die Entwicklung der halboffenen Weidelandschaft haben. Somit ist davon auszugehen, dass die Entwicklungsziele erreicht werden, so dass 2050 Waldareale, Niedermoor-, Röhricht- sowie Seggenriedbereiche und eine halboffene Weidelandschaft entstanden sind.

Dagegen kann die (eigenständige) Entwicklung von Feuchtbiotopen, wie Klein-, Stillund Fließgewässer, Niedermoorbereichen und partiell auch Schwemmwiesen, eher oder teilweise gefährdet sein. Im Zuge höherer mittlerer Temperaturen und veränderter Niederschlagsmuster können zeitweise nicht ausreichende Wassersäulen – vor allem im Sommer – auftreten. In Verbindung mit höheren Nährstoffkonzentrationen (stärkerer Eintrag und geringere Verdünnungsleistung) kann das Wachstum von Schädlingen und Krankheitserregern sowie die Verkrautung begünstigt werden, was der Erreichung der Zielsetzung der Kompensationsmaßnahmen entgegenwirkt.

Um diese Entwicklungsziele dennoch erreichen zu können, besteht die Möglichkeit durch zusätzliche (Pflege-)Maßnahmen die eigenständige Entwicklung positiv zu beeinflussen.

Schritt 3: Maßnahmen entwickeln und vergleichen

Maßnahmen und/oder Strategien 

Am Beispiel dreier Maßnahmen wurde die klimatische Veränderung auf deren Funktionstüchtigkeit untersucht. Bereiche die von ⁠Klimafolgen⁠ betroffen sind. umfassen den Wasserkreislauf und die Pflanzengesellschaft. Exemplarisch für terrestrische Wassersysteme wurden Feuchtbiotope und Kleingewässer gewählt. Zur Betrachtung der ⁠Flora⁠, lag der Fokus dieser Studie auf Erstaufforstungen, Röhricht und Seggenried. Untersuchungsgegenstand waren die im Rahmen eines Planfeststellungsverfahrens vereinbarten Zielsetzungen unter den heutigen und zukünftigen klimatischen Bedingungen (Zeitraum bis 2050).

Vergleichende Maßnahmen waren:

  • Erstaufforstung in Mielkendorf
  • Maßnahmen aus dem südlichen Stadtgebiet Kiels: (halboffene Weidelandschaft Großer Wiesenberg), Neugestaltung von Waldarealen mit Biotopfunktion („Meimersdorfer Moor“), naturnahe Umgestaltung der „Wellsau“

Die Maßnahmen wurden auf ihren Anlass und ihre Zielsetzung, Ausgangssituation, Überprüfung und Einschätzung der zukünftigen Zielerreichung  überprüft. Weitergehend werden in einem Maßnahmenkatalog Maßnahmen zur Pflege und Unterstützung der Entwicklung der halboffenen Weidelandschaft mit Gehölzstrukturen, Kleingewässer, Fließgewässer, des Röhrichts, Seggenrieds und Niedermoors 

Schritt 5: Monitoring und Evaluation

Ansatz, Ziel und Ergebnisse von Monitoring und/oder Evaluation 

Darüber hinaus wird empfohlen, dass der Entwicklungsprozess der  Kompensationsmaßnahmen durch ein langfristiges Monitioringprogramm begleitet wird. Dadurch können Unterstützungsmaßnahmen wenn nötig fachgerecht initiiert werden, um das Risiko von Fehlentwicklungen zu minimieren. Zusätzlich können Entwicklungsstände der Kompensationsmaßnahmen protokolliert werden. Das Verfahren kann im Rahmen eines Stichprobenmonitorings oder stetigen Monitorings angewandt werden.

Fachbehörden, Landschaftspflegeverbände oder -einrichtungen könnten entweder nach eigenem Ermessen (stichprobenartig) oder periodisch (stetig) die Entwicklungsstände der Kompensationsmaßnahmen gegenüber Ausgangszustand und jeweiliger Zielsetzung überprüfen. Bis 2030 sollten die Kompensationsgebiete durch Vor-Ort-Begehungen zweimal jährlich, danach einmal jährlich durchgeführt werden.

Wer war oder ist beteiligt?

Projektleitung 

GERICS Climate Service Center Germany

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Handlungsfelder:
 Biologische Vielfalt  Wasserhaushalt und Wasserwirtschaft  Handlungsfeldübergreifend  Sonstige