Hintergrund und Ziele
Die anthropogen gesteuerte Entwässerung der eingedeichten Niederungsgebiete entlang der Nordseeküste bildet seit Jahrhunderten eine zentrale Voraussetzung für die Nutzung der Küstenregion als Kulturlandschaft und Siedlungsraum. Im Laufe der Zeit ist eine komplexe Entwässerungsinfrastruktur entstanden, die von Entwässerungsverbänden und Sielachten betrieben und unterhalten wird.
Als besonders anspruchsvoll stellt sich die Entwässerungssituation im Gebiet des I. Entwässerungsverbandes Emden (I. EVE) dar, dessen Geländeoberfläche zu rund einem Drittel unterhalb von Nor-malhöhen-Null liegt. Aufgrund der Topographie des Verbandsgebietes kann lediglich während kurzer Tideniedrigwasserphasen im natürlichen Gefälle in die Außenems entwässert werden (Sielbetrieb). In den übrigen Zeiträumen – d. h. bei höheren Tidewasserständen – ist die Entwässerung dagegen nur durch Pumpeneinsatz möglich (Schöpfbetrieb). Ohne eine funktionierende Entwässerung würde es im Verbandsgebiet regelmäßig zu großflächigen Überschwemmungen kommen.
Trotz des erreichten Ausbauzustandes des Entwässerungssystems gerät die Binnenentwässerung im Verbandsgebiet des I. EVE bei extremen Wettersituationen wie Sturmfluten und langanhaltenden Dauerregenperioden bereits heutzutage an ihre Kapazitätsgrenzen. Aufgrund der Folgen des Klimawandels (Veränderung der Niederschlagsverhältnisse, Meeresspiegelanstieg) sowie durch fortschreitende Flächenversiegelungen werden sich die Belastungen des Systems künftig zusätzlich erhöhen.
Vor diesem Hintergrund bestanden die Zielsetzungen des KLEVER-Projektes insbesondere darin,
1) mit Hilfe modellgestützter Szenarienanalysen die zu erwartenden Auswirkungen der sich ändernden Einflussfaktoren auf die Binnenentwässerung im Verbandsgebiet des I. EVE zu untersuchen,
2) im Rahmen eines projektbegleitenden Beteiligungsprozesses denkbare Maßnahmenoptionen zur Anpassung des Entwässerungssystems und -managements zu identifizieren und diese einer multikriteriellen Bewertung zu unterziehen,
3) ausgewählte Maßnahmenoptionen hinsichtlich ihrer potenziellen Wirksamkeit zu quantifizieren.
Laufzeit
bisUntersuchungsregion/-raum
- Deutschland
- Niedersachsen
- Küste
Verbandsgebiet des I. Entwässerungsverbandes Emden
Schritte im Prozess zur Anpassung an den Klimawandel
Schritt 1: Klimawandel verstehen und beschreiben
Um globale Klimaänderungen auf die unterschiedlichen Regionen der Welt zu übertragen, werden regionale Klimamodelle genutzt, die in der Berechnung örtliche topographische Gegebenheiten berücksichtigen. Die drei in diesem Projekt verwendeten regionalen Klimamodelle wurden speziell für Klimaprojektionen in Mitteleuropa entwickelt. Die für KLEVER verwendeten regionalen Klimamodelle sind mit den Szenarien RCP8.5, RCP4.5, A2, A1B und B1 gerechnet worden. Die Analysen stützen sich damit auf ein Modellensemble aus drei regionalen Klimamodellen (REMO, WETTREG und XDS) und fünf unterschiedlichen Szenarien.
Im Rahmen von KLEVER wurden vor allem die Veränderungen der beiden Klimagrößen Temperatur und Niederschlag betrachtet, die den größten Effekt auf die Abflussbildung und damit auf die Anforderungen an die Binnenentwässerung haben.
Der globale Meeresspiegelanstieg wirkt sich aufgrund der Meeresströmungen und der Küstenmorphologie regional unterschiedlich aus. Für die Analysen hinsichtlich der künftigen Entwicklung im Bereich des Verbandsgebietes des I. EVE wurden die regionalen Modellrechnungen der IPCC-Szenarien RCP4.5 und RCP8.5 ausgewertet. Jedes Szenario wird dabei von einer Vielzahl von Klimamodellen quantifiziert. Im Rahmen von KLEVER wurden sowohl die Mittelwerte aller Modelle (Ensemble-Mittelwert) als auch die 95%-Perzentile (Wert, der von 5 % der Modelle überschritten wird) für die Szenarien betrachtet. Die betrachteten Projektionen zeigen für die Nordseeküste einen zu erwartenden Meeresspiegelanstieg zwischen 50 und 110 cm bis zum Ende des Jahrhunderts.
- Veränderte Niederschlagsmuster
- Höhere mittlere Temperaturen
- Meeresspiegelanstieg und Sturmfluten
- Starkniederschlag (inkl. Hagel, Schnee)
Gegenwart bis 2100
Schritt 2a: Risiken erkennen und bewerten (Klimafolgen/-wirkungen)
Um die potenziellen Auswirkungen der Szenarien auf den Wasserhaushalt abzuschätzen, können hydrologische Modelle eingesetzt werden. Zur Abschätzung der mit den Klima- und Landnutzungsszenarien einhergehenden hydrologischen Veränderungen im Verbandsgebiet des I. EVE wurde das Wasserhaushaltsmodell SIMULAT nach vorausgegangener Kalibrierung und Validierung eingesetzt.
Die daraus resultierenden Abschätzungen für die mittleren und saisonalen Veränderungen sowie für Extremereignisse zeigen deutlich, dass künftig klimabedingt von erschwerten Entwässerungsbedingungen im Gebiet des I. EVE auszugehen ist.
Schritt 3: Maßnahmen entwickeln und vergleichen
Um das Entwässerungssystem und -management bestmöglich an die zukünftigen Veränderungen und Entwicklungen anzupassen, ist es unabdingbar, alle relevanten Institutionen in einen Ideenfindungsprozess zur Entwicklung geeigneter Anpassungsoptionen einzubeziehen. Aus diesem Grund wurde für die Maßnahmenentwicklung im Rahmen von KLEVER ein projektbegleitender Beteiligungsprozess durchgeführt, in den Vertreterinnen und Vertreter verschiedener Institutionen aus den Handlungsbereichen Wasserwirtschaft, Naturschutz, Landwirtschaft, Binnenfischerei, Tourismus/Freizeit, Raumplanung und Katastrophenschutz eingebunden waren.
Der Beteiligungsprozess im Rahmen von KLEVER erfolgte in drei Phasen. Wichtigste Bausteine waren Einzel- bzw. Kleingruppengespräche mit den Akteuren, Diskussionen in den Akteursforen und zum Ende der Projektlaufzeit durchgeführte Arbeitsgruppentreffen zur Konkretisierung der Ergebnisse aus den Foren.
Entsprechend der sektorübergreifenden Zusammensetzung der beteiligten Akteure ergab sich insgesamt eine große Bandbreite an Maßnahmenvorschlägen, die zur weiteren Bearbeitung in übergeordnete Maßnahmenkategorien und -bereiche (Entwässerungsinfrastruktur, Retentionskapazitäten, Wasserstandshaltung, Hochwasser- und Überflutungsvorsorge, Kommunikation & Kooperation) zusammengefasst wurden.
Um abzuschätzen, welche Maßnahmen den unterschiedlichen Anforderungen an das Entwässerungssystem und -management am besten gerecht werden, wurde im Verlauf des projektbegleitenden Beteiligungsprozesses ein multikriterielles Bewertungsverfahren eingesetzt, mit dem anhand definierter Kriterien eine entsprechende Einschätzung von Seiten der eingebundenen Akteure vorgenommen wurde. Die drei Hauptkriterien lauten: Wasserwirtschaftliche Relevanz, Effekte auf andere Anforderungsbereiche sowie Umsetzungswahrscheinlichkeit, mit jeweils drei weiteren Teilkategorien.
Die Projektergebnisse können als Ansatzpunkte für vertiefende konzeptionelle Überlegungen und konkrete Planungen zur Anpassung des Entwässerungssystems und -managements im Verbandsgebiet des I. EVE und in vergleichbaren Küstenräumen dienen.
Wer war oder ist beteiligt?
Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit
Carl von Ossietzky Universität Oldenburg
Jade Hochschule
Küste und Raum
I. Entwässerungsverband Emden
Niedersächsischer Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz (NLWKN)
Landkreis Aurich
Stadt Emden