Der Strategische Ansatz (SAICM): Online-Workshop

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Beteiligte am Stakeholder Dial

Vertreter:innen des BUND, des vfa und der AOK Baden-Württemberg beteiligten sich am Stakeholder Dialog mit den Teilnehmenden

Quelle: Nils Simon / adelphi / zoom

Im Rahmen der Serie von Workshops zum Austausch der SAICM Akteur:innen in Deutschland untereinander sowie mit BMU und UBA trafen sich am 20. September 2021 50 Vertreter:innen von Regierung, Industrie, Wissenschaft und Zivilgesellschaft bei einem Online-Workshop zum Thema „Humanarzneimittel in der Umwelt“.

Inhaltsverzeichnis

Am 20. September 2021 trafen sich 50 Vertreter:innen von Regierung, Industrie, Wissenschaft und Zivilgesellschaft bei einem Online-Workshop zum Thema „Humanarzneimittel in der Umwelt“.

SAICM, also der Strategische Ansatz zum Internationalen Chemikalienmanagement, wurde 2006 zur Umsetzung des Johannesburger Chemikalienziels von 2002 ins Leben gerufen. Letzteres gibt vor, dass bis 2020 Chemikalien so produziert und eingesetzt werden sollen, dass signifikante negative Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit und die Umwelt minimiert werden. Als freiwilliger Ansatz soll SAICM den gesamten Lebenszyklus von Chemikalien betrachten und dabei alle relevanten Sektoren und Akteurinnen bzw. ⁠Stakeholder⁠ beteiligen. Auf der nächsten, fünften internationalen Chemikalienmanagement Konferenz (ICCM5) wird über die Zukunft von SAICM und damit des internationalen Chemikalienmanagements entschieden. Vorbereitend beteiligen sich Regierungen und andere Stakeholder seit der ICCM4 im Jahr 2015 an einem sog. intersessionalen Prozess, für den die Bundesregierung als ICCM5 Präsidentschaft besondere Verantwortung trägt. Durch die Corona-Pandemie hat sich die ICCM5 auf unbestimmte Zeit verschoben und der intersessionale Prozess entsprechend verlängert. Aktuelle Prognosen gehen von einem Termin im Jahr 2023 aus, mit einem vorbereitenden Treffen in 2022.

Das Thema Arzneimittel in der Umwelt wird seit der ICCM4 unter SAICM als „emerging policy issue“ behandelt.

 

Entwicklungen seit der ICCM4

Silke Hickmann aus dem Fachgebiet Umweltbewertung Arzneimittel vom Umweltbundesamt (⁠UBA⁠) gab den Teilnehmenden einen Einblick in die Entwicklung des Themas „Arzneimittel in der Umwelt“ seit der ICCM4. Dort wurde erstmals eine Resolution zum Thema verabschiedet, mit dem Ziel, Bewusstsein und Verständnis sowie Zusammenarbeit zum Thema zu stärken. In diesem Sinne wurde unter SAICM seitdem in einem Projekt mit der Global Environment Facility (GEF) eine Informationsplattform zu emerging policy issues erstellt, auf der Akteure Informationen austauschen können. Das Projekt hat auch das Instrument der „Community of Practice“ als globales Netzwerk etabliert. In Vorbereitung auf die ICCM5 wäre es wünschenswert, solch eine „Community of Practice“ als Diskussionsplattform und für konkrete Kooperationen zum Thema ins Leben zu rufen.

Die IOMC Organisationen haben das Thema Arzneimittel in der Umwelt seit 2015 in Berichten aufgegriffen, unter anderem veröffentlichte die ⁠OECD⁠ einen Bericht „Arzneimittel in der Umwelt“. Ein erster Ansatz für eine bessere Regelung von Arzneimittelemissionen aus Produktionsbetrieben sind die Arbeiten der Weltgesundheitsorganisation (⁠WHO⁠) zur Berücksichtigung von Umweltaspekten im Kontext der „guten Herstellungspraxis“.

Die jüngsten Entwicklungen auf EU Ebene sind der Strategische Ansatz der Europäischen Union für Arzneimittel in der Umwelt sowie die EU Arzneimittelstrategie. Die Strategie soll den European Green Deal ergänzen, indem sie zur Erreichung des Null-Schadstoffziels bezüglich der Auswirkungen pharmazeutischer Stoffe auf die Umwelt beiträgt. Darüber hinaus sollen Anforderungen an die ⁠Umweltverträglichkeitsprüfung⁠ und die Verwendungsbedingungen für Arzneimittel erhöht sowie die ⁠Nachhaltigkeit⁠ der Arzneimittelindustrie gestärkt werden. Die EU Rechtsvorschriften sollen bis 2022 in einem mehrstufigen Konsultationsprozess überarbeitet werden. Auch das UBA hat ein Positionspapier zur Stärkung des Umweltschutzes eingereicht.

Bereits zur ICCM4 hatte das UBA eine Datenbank zu Funden von Arzneimittelwirkstoffen in der Umwelt (PHARMS-UBA) eingerichtet, die ab Herbst 2021 in einer überarbeiteten Version abrufbar sein wird. Ein Projekt der Universität York untersucht Arzneimittelkonzentrationen in Ländern, für die bisher kaum Daten verfügbar sind. Die Ergebnisse beider Datenbanken unterstreichen die Relevanz, das Thema Arzneimittel in der Umwelt weiterhin auch im Kontext von SAICM zu behandeln.

Stephan Luther aus dem Referat für Gewässerschutz des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (⁠BMU⁠) stellte die Spurenstoffstrategie des Bundes vor, die sich u.a. mit Spurenstoffen aus Arzneimitteln befasst. Im sog. Spurenstoffdialog wurde die Strategie gemeinsam mit Stakeholdern aus Wissenschaft, Industrie, Umwelt-NGOs, aus den Ländern und der Wasserwirtschaft erarbeitet. Nachdem in zwei Dialogphasen zunächst konkretisierte Maßnahmen erarbeitet wurden, startete im September 2019 eine Pilotphase, in der diese Maßnahmen in der Anwendung getestet und anschließend evaluiert wurden. Mittlerweile werden die letzten Details der Strategie finalisiert, um dann eine erfolgversprechende Implementierung zu ermöglichen. Im Rahmen des Spurenstoffdialogs wurden u.a. Empfehlungen für Kriterien zur Betrachtung (Relevanz) von Spurenstoffen von einem unabhängigen Expertengremium entwickelt und an UBA und BMU weitergeleitet. Darüber hinaus wurden während der Pilotphase für drei relevante Spurenstoffe sog. Runde Tische eingerichtet, an denen ⁠Stakeholder⁠ jeweils gemeinsam Maßnahmen und deren Umsetzung diskutieren können. Ein übergeordnetes Logo ist Teil der BMU Kampagne "Gib der Natur nicht den Rest" im Rahmen der UN-Wasserdekade und kann unter un-wasserdekade [at] bmu [dot] bund [dot] de von Stakeholdern, die über das Thema Arzneimittel-Spurenstoffe in Gewässern informieren möchten, beantragt werden. Zur Frage, in welchen Kläranlagen eine vierte Reinigungsstufe nötig wäre, erarbeiteten die Stakeholder des Spurenstoffdialogs einen Orientierungsrahmen, der den Ländern durch die Bund-Länder Arbeitsgemeinschaft Wasser zur Anwendung empfohlen wurde. Herr Luther identifizierte als Erkenntnisse aus dem Spurenstoffdialog, dass bestehende Instrumente verstetigt und ergänzt und Maßnahmen schneller umgesetzt werden sollten. Hierbei helfen Erfolgskontrollen ebenso wie eine verbesserte Transparenz und Öffentlichkeitsarbeit. Maßnahmen sind darüber hinaus auf lokaler und regionaler Ebene anzustoßen und zu fördern und bisherige Aktivitäten können auf weitere Maßnahmenbereiche ausgeweitet werden. Die Reihe der Stakeholder Workshops im Spurenstoffdialog wird fortgesetzt. Darüber hinaus können sich Stakeholder, die zu einem der existierenden oder künftigen Runden Tische beitragen möchten, per Email an Herrn Luther wenden.

Janek Kubelt vom Umweltbundesamt stellte anschließend das aus dem Spurenstoffdialog hervorgegangene Spurenstoffzentrum des Bundes (SZB) vor, welches im Rahmen eines gemeinsamen Projektes eng mit dem Fraunhofer ISI und der IKU GmbH zusammenarbeitet. Das Spurenstoffzentrum ist eine Plattform zum Informationsaustausch und zur Wissenserweiterung für Spurenstoffe und koordiniert seine Arbeit mit den Spurenstoffzentren der Länder (soweit vorhanden) sowie den Stakeholdern und wissenschaftlichen Institutionen. Künftig soll das Zentrum das Expertengremium unterstützen, Managementoptionen erarbeiten und weitere Runde Tische initiieren, moderieren und auch organisatorisch begleiten.

Weiterführender Link: Mikroverunreinigungen in Gewässern - UBA-Empfehlungen

 

Stakeholderdialog und Diskussion mit den Teilnehmer:innen

Gefragt nach den schwerwiegendsten Problemen bei der Umweltbelastung durch Humanarzneimittel bzw. deren Wirkstoffe und möglichen Lösungsansätzen, stellte Erik Petersen das Positionspapier des BUND zum Thema Arzneimittel in der Umwelt vor, an dessen Entstehung er beteiligt war. Sowohl die Tier- als auch die Humanmedizin global betrachtend, stellt der BUND fest, dass es an Daten mangelt. Als mögliche Lösungsansätze nannte Herr Petersen die Förderung der Arzneimittelforschung zu Umweltauswirkungen und die Entwicklung eines Umweltklassifizierungssystems. Darüber hinaus müssten sowohl medizinisches Fachpersonal als auch Patient:innen über die Umweltbelastungen und Klassifizierungen informiert werden. Um den Gebrauch von Medikamenten generell zu senken, spricht sich der BUND für ein Werbeverbot für Arzneimittel und für eine Verschreibungspflicht für besonders umweltschädigende Medikamente aus. Um Einträge in die Umwelt zu minimieren, sollen Apotheken wieder die zentrale Annahmestelle für Arzneimittelreste werden und in relevanten Kläranlagen eine vierte Reinigungsstufe eingebaut werden. Im Sinne der Herstellerverantwortung über den gesamten Lebenszyklus von Arzneimitteln, sollten die für diese Maßnahmen anfallenden Kosten von den Hersteller:innen getragen werden.

Marijke Ehlers vom Verband der forschenden Arzneimittelhersteller (vfa) stellte fest, dass Produktionsanlagen in Deutschland über sehr hohe Standards verfügen, mit denen der Eintrag von Stoffen in die Umwelt während der Produktionsprozesse minimiert wird. So wird in einigen firmeneigenen Kläranlagen bereits eine vierte Reinigungsstufe verbaut. Frau Ehlers veranschaulichte den kontinuierlichen Fortschritt und Anstrengungen unter den vfa-Mitgliedern anhand zweier Beispiele, die in der Praxis erprobt bzw. zum Einsatz kommen: Ein Verfahren, bei dem Anlagen mit extremer Kälte vorgereinigt werden; Arzneistoffreste platzen dadurch ab, können abgesaugt werden und das spätere Spülwasser ist weniger stark belastet. Ein weiteres Beispiel ist die Vakuumverdampfung von Spülwassern, wodurch die Menge des Abwassers stark reduziert wird; dies spart Energie sowohl beim weiteren Transport in die Verbrennungsanlagen als auch bei der Verbrennung der Spülwasser.

Jan Barth von der AOK Baden-Württemberg erläuterte, wie Nachhaltigkeitskriterien für Vergabeverfahren dabei helfen können, Arzneimitteleinträge in die Umwelt zu minimieren. Arzneimittelrabattverträge der AOKs entscheiden im patentfreien Markt darüber, mit welchen Produkten (Generika) von welchen Hersteller:innen die Patient:innen - immerhin ca. 40% der gesetzlich Versicherten in Deutschland - versorgt werden. Für die AOKs bietet diese Nachfragemacht die Möglichkeit, sich für Nachhaltigkeitskriterien bei der Antibiotikaproduktion einzusetzen. Den Anstoß gab eine Forschungsarbeit der Changing Markets Foundation von 2016 (Superbugs in der Lieferkette), die die Rolle der Produktionsstätten von Antibiotika bei der Entstehung multi-resistenter Keime untersuchte. Im Jahr 2020 wurden mithilfe des Umweltbundesamtes erstmals während einer Ausschreibung für fünf Antibiotikawirkstoffe Nachhaltigkeitskriterien etabliert. Um mit dem Vergabe- und Sozialrecht konform zu bleiben, wurde Pharmakonzernen ein Bonus von 6% bei der Bewertung der Angebote gewährt, die ansonsten über den Preis entschieden werden, wenn sie für sich und ihre Wirkstoffhersteller:innen schriftlich bestätigten, dass Grenzwerte der Nicht-Effekt-Konzentrationen eingehalten wurden. Ziel der Einführung dieser Ausschreibung und Vergabekriterien war es, Denkanstöße zu geben, Diskussionen anzuregen, und mit gutem Beispiel voranzugehen.

 

Diskussion mit den Teilnehmer:innen

Die Teilnehmer:innen interessierten sich für diverse Aspekte des Umgangs mit Humanarzneimitteln in der Umwelt, darunter die Frage, wer die Kosten der Abwasserreinigung trägt. Hierbei verwiesen einige der Sprecher:innen auf die Relevanz der erweiterten Herstellerverantwortung sowie die derzeit laufende Novellierung der Kommunalabwasserrichtlinie auf europäischer Ebene. Der Konflikt mit dem heutigen ⁠Verursacherprinzip⁠ und die Rolle der verschreibenden Ärzt:innen, Apotheker:innen und Patient:innen dürfe aber nicht ignoriert werden. Im weiteren Verlauf wurde erwähnt, dass die EU Beschaffungsrichtlinie es schon jetzt erlaubt, die bei der Beschaffung angewandten Kriterien über den Preis hinaus zu erweitern. Schweden und Norwegen sind hier als Vorreiter zu nennen. Schweden verfügt zudem mit seiner sog. White List darüber hinaus noch über eine weitere Maßnahme zur Schaffung positiver Anreize.

Teilnehmer:innen und Beitragende waren sich weitestgehend darüber einig, dass die Kommunikation, sei es in Form von Dialogen auf nationaler, europäischer oder internationaler Ebene oder in Form von Öffentlichkeitsarbeit oder Risikokommunikation, von großer Bedeutung ist um Einträge von Arzneimitteln in die Umwelt z.B. durch unsachgemäßen Gebrauch oder -Entsorgung zu verhindern. In diesem Zusammenhang verwies Herr Kubelt darauf, dass das Spurenstoffzentrum plant, künftig auch die Nachverfolgung des Nutzens der gemeinsam erarbeiteten Maßnahmen zu übernehmen. Grundlage für funktionierende Informationssysteme ist allerdings eine verbesserte und vergleichbare Datenbasis.

Über Dialogforen hinausgehend wurde betont, wie wichtig Rechtsvorschriften und behördliche Zulassungsverfahren sind, u.a. um einheitliche Voraussetzungen für Hersteller:innen zu schaffen und eine gute Datenbasis für Risikokommunikation oder mögliche Klassifikationssysteme, aber auch Grenzwerte für Produktionsbetriebe.

Teilnehmende und andere ⁠Stakeholder⁠ sind eingeladen, sich an den aktuellen Konsultationen aktiv zu beteiligen.

 

Reflektionen des Nationalen SAICM Focal Point, Umweltbundesamt

Dr. Hans-Christian Stolzenberg betonte, wie wichtig reger Austausch betroffener Stakeholdergruppen ist. Nur so können Zielkonflikte erkannt, geklärt und Komplexitätsfallen umgangen werden. Für einen SAICM Focal Point geht es nicht nur um die nationale und EU-Ebene, wo vieles bereits geregelt ist oder zumindest angegangen wird, sondern auch um die globale Perspektive. Bedürfnisse und Möglichkeiten können in anderen Ländern und Weltregionen sehr unterschiedlich sein. Wichtig sind Initiativen, bei denen ⁠Stakeholder⁠ wie von Herrn Barth gezeigt vorangehen und neue Hebel in Bewegung setzen. SAICM will den Austausch über Best Practice Ansätze und auf inhaltlicher Ebene anregen und Stakeholder zusammenzubringen. Hierzu bietet die SAICM Knowledge Platform interessante Möglichkeiten. Eine Community of Practice zum Thema „Environmentally persistent pharmaceutical pollutants“ (EPPPs) braucht zunächst eine „Gründungsinitiative“. Diese kann das ⁠UBA⁠ gern unterstützen und mit den relevanten Personen und Institutionen in Kontakt bringen. Darüber hinaus sind alle zu EPPP-relevanten Themen aktiven Stakeholder aufgerufen, ihre wertvollen konkreten Arbeiten dazu engagiert fortzusetzen, ungeachtet der ICCM5-Verschiebung.

 

Abschluss und Ausblick

Moderatorin Dr. Minu Hemmati dankte allen Beitragenden und Teilnehmenden und rief dazu auf, sich untereinander zu vernetzen und sich in den laufenden SAICM Prozess einzubringen. Die Multi-⁠Stakeholder⁠ Plattform SAICM und der aktuell laufende Prozess zur Weiterentwicklung von SAICM (SAICM Beyond 2020), dessen Präsidentschaft Deutschland innehat, bietet zahlreiche Gelegenheiten zur Mitgestaltung.

Frau Hemmati kündigte weitere Online-Workshops für SAICM Stakeholder in Deutschland im kommenden Jahr an. Workshops zu mehreren Themen werden derzeit vorbereitet. Alle Stakeholder sind zudem eingeladen, sich mit Frau Maro Luisa Schulte (schulte [at] adelphi [dot] de) in Verbindung zu setzen, wenn sie Themenvorschläge für die Workshops haben und/oder zu den Workshops beitragen möchten (z.B. durch die Präsentation ihrer Arbeit oder den Austausch von Informationen zu einem bestimmten Thema).

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