Industrielle Prozesswärme kann bis 2045 CO₂-neutral sein

Hochofen in einer Industriehallezum Vergrößern anklicken
Für die Ver- und Bearbeitung von Materialien wird in vielen Branchen Wärme benötigt.
Quelle: fotograupner / Adobe Stock

Die Umstellung industrieller Prozesswärme auf CO₂-neutrale Energieträger ist in Deutschland technisch bis 2045 realisierbar. Sie wird zur Bearbeitung von Materialien benötigt und meist mit fossilen Brennstoffen erzeugt. Wichtigster Anreiz für den Wechsel auf CO₂-neutrale Energieträger ist eine Kostensenkung für diese Energien auf das Niveau der fossilen. Nur dadurch kann die Umstellung gelingen.

Im Auftrag des Umweltbundesamtes hat das Fraunhofer-Institut für System und Innovationsforschung Karlsruhe gemeinsam mit dem Institut für Industrieofenbau und Wärmetechnik der RWTH Aachen University das Forschungsvorhaben „CO2-neutrale Prozesswärmeerzeugung - Umbau des industriellen Anlagenparks im Rahmen der Energiewende: Ermittlung des aktuellen SdT und des weiteren Handlungsbedarfs zum Einsatz strombasierter Prozesswärmeanlagen“ durchgeführt. In dieser Studie wurden Techniken für die CO2-neutrale Bereitstellung von ⁠Prozesswärme⁠ aus technischer, wirtschaftlicher und ökologischer Perspektive betrachtet. Ein Schwerpunkt lag auf der Elektrifizierung und dem Einsatz von Wasserstoff, unter der Prämisse, dass diese Energieträger in ausreichender Menge und CO2-neutral verfügbar sind.

Die CO2-neutrale Bereitstellung von Prozesswärme ist eine Grundvoraussetzung zur Erreichung der Klimaziele Deutschlands. Ein Großteil der Treibhausgasemissionen des Industriesektors lässt sich direkt auf die Prozesswärme zurückführen. Diese ist derzeit stark von fossilen Energieträgern abhängig. 13 Branchen und 34 exemplarische Anwendungen in der Metall- und Mineralindustrie sowie die Querschnittstechnik Dampferzeugung wurden hinsichtlich der Umgestaltung des Anlagenparks zur Verwendung CO2-neutraler Technologien untersucht. Insgesamt fielen etwa 1800 Anlagen in den Untersuchungsrahmen der Studie. Dabei verteilten sich die betrachteten Anwendungen entlang der Wertschöpfungsketten und wurden vorwiegend aufgrund ihrer Bedeutung beim Energieverbrauch ausgewählt. Insgesamt deckten die betrachteten Anwendungen mit etwa 140 TWh ca. 32 Prozent des Energieverbrauchs der gesamten deutschen Industrie im Jahr 2018 ab.

Im Ergebnis zeigt sich ein sehr heterogener Anlagenbestand für die Umstellung auf eine CO2-neutrale Alternativtechnik. So ist die Elektrifizierung einzelner Anwendungen zum Beispiel in der Gießereiindustrie, der Massivumformung oder dem Schmelzen von Aluminium mit Induktionsöfen bereits Stand der Technik (SdT). In den Branchen Kalk und Zement weist sie jedoch noch eine sehr niedrige Technologiereife auf, die mit grundlegenden technischen Hürden verbunden ist. Dieser sehr heterogene Anlagenbestand muss bei der Entwicklung von Transformationsstrategien zwingend berücksichtigt werden.

Branchenübergreifende Schlussfolgerungen

Über alle Branchen und betrachtete Technologien hinweg lässt sich schlussfolgern, dass die Umstellung auf eine CO2-neutrale Prozesswärmeerzeugung bis 2045 technisch realisierbar ist. Dabei werden sich die Lösungen zwischen den Branchen und Anwendungen sehr wahrscheinlich unterscheiden. Wasserstoff sowie die Elektrifizierung werden jeweils eine wichtige Rolle spielen, wenngleich in vielen Bereichen noch weitere Forschungen und Entwicklungen nötig sind. Hochskalierung auf industrielles Niveau sowie die Erprobung im Betrieb sind bei den meisten Techniken entscheidend. Für die Bereitstellung von Prozessdampf sind bereits heute sowohl für Wasserstoff als auch für die Elektrifizierung Techniken für den industriellen Einsatz verfügbar.

Auch der Aufwand für die Umstellung von der heutigen Referenztechnik auf die jeweilige CO2-neutrale Alternativtechnik hängt stark von der spezifischen Anwendung ab. Dennoch zeigt sich über alle Anwendungen hinweg, dass die Elektrifizierung in den meisten Fällen einen Neubau der Anlagen erfordert. Im Unterschied dazu wird für den Einsatz von Wasserstoff, bei heute mit Erdgas beheizten Referenztechniken, in den meisten Fällen eine Umrüstung möglich sein.

Kosten- und Wirtschaftlichkeitsbetrachtung

Die Betrachtung von Kosten- und Wirtschaftlichkeit unterlag Unsicherheiten, weil für die nötigen Investitionen wenig aktuelle belastbare Daten verfügbar waren und die Ergebnisse auch von der Wahl der Systemgrenze abhängen. Es ist zudem zu beachten, dass die Wirtschaftlichkeitsbetrachtungen für die Anlagentechnik nur die Investition in Prozesswärmetechnik einschließt und keine weiteren Kosten, zum Beispiel für Infrastrukturanpassungen.

Zentrale Kostenkomponente sind die anfallenden Energiekosten aus dem Betrieb der Anlagen. Ein höherer CO2-Preis, der Abbau von Vergünstigungen bei der Besteuerung fossiler Brennstoffe sowie niedrigere Preise für (erneuerbaren) Strom und Wasserstoff sind nötig um CO2-neutrale Techniken attraktiv zu machen. Für eine gelingende Transformation ist es zwingend notwendig einen Markt- und Förderrahmen zu schaffen, der den wirtschaftlichen Betrieb CO2-neutraler Techniken ermöglicht.

Die Höhe der nötigen Investitionskosten hängen stark davon ab, ob bestehende Referenztechniken umgerüstet oder modernisiert werden können oder, ob ein Neubau der Anlage nötig ist. Wenn ein Neubau von CO2-neutralen Alternativtechniken mit einem Neubau der heutigen Referenztechnik verglichen wird, dann sind die nötigen Mehrinvestitionen gering. Bei der Umstellung auf Wasserstoff ist davon auszugehen, dass in vielen Fällen eine Umrüstung bestehender gasbefeuerter Anlagen möglich ist und dadurch die anwendungsseitigen Investitionen geringer sind als bei der Elektrifizierung.

Betrachtung weiterer Einflussfaktoren

Neben der Wirtschaftlichkeit beeinflussen weitere Faktoren, wie Technikverfügbarkeit und Technologiereife sowie die Lebensdauer, der Modernisierungszyklus und das Alter des bestehenden Anlagenbestandes die Dynamik, mit der die Umstellung des Anlagenbestandes auf CO2-neutrale Techniken stattfindet. Aufgrund langer Modernisierungszyklen ist die Gefahr hoch, dass Investitionen in fossil beheizte Referenztechniken frühzeitig wieder ausgetauscht werden müssen (Stranded Assets).

Auch wirken Instrumente wie Investitionsförderung teilweise stark zeitverzögert auf reale Investitionsentscheidungen, da Reinvestitionen erst in Zukunft anstehen. Die Modellierung der Marktdiffusion zeigt, dass es notwendig ist, den regulatorischen Rahmen frühzeitig so zu reformieren, dass CO2-neutrale Techniken zeitnah wettbewerbsfähig werden. Ansonsten besteht eine hohe Gefahr von Lock-ins durch Reinvestition in fossil beheizte Anlagentechnik mit langer Lebensdauer. Eine planbare Transformationspolitik würde den Unternehmen erlauben, zukünftige Preisänderungen frühzeitig zu antizipieren. Diese vorausschauende Transformation auf Seiten der Investoren und der gestaltenden Politik hilft Stranded Assets und Lock-ins zu vermeiden.

Die Ergebnisse dieser Studie werden derzeit im Rahmen einer Projektaufstockung durch die Auftragnehmer mittels branchenspezifischer Workshops vermittelt und ergänzt sowie in mehreren Veröffentlichungen in verschiedenen Formaten zielgruppenspezifisch verwertet.

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