Die Wörter „dringend“ und „müssen“ fielen auffallend häufig während der Preisverleihung des „Blauen Kompass“, wenn es um den Handlungsbedarf zur Klimawandelanpassung ging. Zum Abschluss der „Woche der Klimaanpassung“ dankte Umweltministerin Steffi Lemke daher nicht allein den Preisträgern, sondern allen Bewerbern für ihre Ideen: „Nichts davon wird verloren sein, alles fließt in unsere Arbeit ein.“
Sicher hatten die rund 100 Gäste im Lichthof des Bundesumweltministeriums am 16. September 2022 bei der Verleihung des „Blauen Kompass“ noch die Bilder dieses Sommers im Kopf: Dürre, Hitzewellen, Wasserknappheit und Waldbrände prägten die Jahreszeit. Ein Sommer der Extreme und in Zukunft womöglich die Regel. „Wir sehen erneut die daraus resultierende Übersterblichkeit, die Schäden für die Infrastruktur und die Auswirkungen auf die Landwirtschaft. Wir Wissenschaftler sind gerne als Übertreiber wahrgenommen worden. Aber wir haben die Situation eher unter- als überschätzt“, erklärte Prof. Dr. Dirk Messner, Präsident des Umweltbundesamtes (UBA), in seiner Eröffnungsansprache. Das bekräftigte auch Bundesumweltministerin Steffi Lemke: „Das Ausmaß der Klimakrise und die Folgen, die uns ganz offensichtlich doch früher und heftiger erreichen als die Wissenschaft, als wir selbst das angenommen haben, zeigt, dass wir handeln müssen.“
50 Prozent mehr Bewerbungen und höhere Publikumsbeteiligung
Die Folgen des Klimawandels werden für immer mehr Menschen spürbar – und immer mehr versuchen, ihnen entgegenzuwirken, sie abzufedern und im bestmöglichen Fall auf diesem Wege auch Vorsorge und zusätzlich Klimaschutz zu betreiben. Mit 240 Bewerbungen für den „Blauen Kompass“ stieg die Anzahl der Einreichungen in diesem Jahr von zuletzt 160 um 50 Prozent – auch dank der erfolgreichen Arbeit des Wettbewerbsbüros der co2online gGmbH. Anhand von sechs Kriterien – Wirksamkeit, finanzielle Tragbarkeit, Nachhaltigkeit, positive Nebeneffekte, Flexibilität und Robustheit – bewertete das Institut für ökologische Wirtschaftsforschung die Einreichungen. Auf dieser Grundlage nominierten das BMUV und das Umweltbundesamt 20 Projekte für vier Kategorien sowie für einen Publikumspreis. Eine achtköpfige, interdisziplinäre Jury wählte im Juni die vier Preisträger aus, für den Publikumspreis fand das Voting online – unter Rekordbeteiligung – statt.
Viel Neues bei der vierten Verleihung
Die höchste staatliche Auszeichnung für Projekte zur Vorsorge und Anpassung an die Folgen des Klimawandels im Rahmen eines Wettbewerbes verliehen BMUV und UBA erstmalig gemeinsam. Die Veranstaltung markierte den feierlichen Abschluss der ersten „Woche der Klimaanpassung“, mit der BMUV und das ZentrumKlimaAnpassung die Vielfalt lokaler und regionaler Klimaanpassungslösungen sichtbar machten. Erstmals wurde der Bundespreis „Blauer Kompass“ in diesem Jahr auch in der Kategorie „Kommunen“ verliehen. Neu ist außerdem ein Preisgeld in Höhe von 25.000 € für jedes Gewinnerprojekt.
Für eine Premiere sorgte Popsänger Tim Bendzko, der per Videostream seinen neuen Song „Wer rettet die Welt für mich“ vorstellte. Er schickte vorab eine Grußbotschaft zur Verleihung: „Mir liegt das Weltretten sehr am Herzen und ich bin sehr froh, dass ich nicht mehr allein kämpfen muss, sondern dass es jetzt so viele gibt, die sich dafür einsetzen, damit wir von diesem Planeten noch eine Weile etwas haben.“
Tolles Vorhaben auf dem „Hof Tolle“
Nils Tolle, Klimawandel-Manager und Landwirt vom Hof Tolle, sieht es ganz ähnlich wie Tim Bendzko: „Wir müssen es schaffen, ansonsten wird die nächste Generation es ganz, ganz schwierig haben“, sagt er. Tolle reichte zusammen mit drei Freunden, mit denen er den Hof führt, das Projekt „Integrierte und dynamische Agrarplanung für den Klimawandel“ ein. Hierfür überreichte ihm Ministerin Lemke den „Blauen Kompass“ in der Kategorie „Private und kommunale Unternehmen“.
Auf 60 ha Landfläche betreibt der Hof Tolle klimaangepassten Ackerbau und dazu eine Rinder- und Pferde-Pension. Der wissenschaftlich basierte Prozessansatz in dem Betrieb kombiniert Erkenntnisse aus der Anpassungsforschung sowie dem Wassermanagement mit Methoden der strategischen landwirtschaftlichen Betriebsplanung. Das hierfür eingesetzte Tool – IDAP-CC für Integrated and Dynamic Agricultural Planning for Climate Change – hob Prof. Dr. Andrea Heilmann von der Hochschule Harz in ihrer Laudatio hervor: „Wissenschaftliche Erkenntnisse aus einer Masterarbeit haben einen Weg in die Landwirtschaft gefunden und sind hier nun ein Instrument zur Entscheidungsunterstützung.“ Das Tool könne zudem auch für andere Bäuerinnen und Bauern hilfreich sein. Darauf wies Nils Tolle abschließend hin: „Die meisten Kolleginnen und Kollegen arbeiten 12-14 Stunden am Tag, da bleibt nicht viel Platz für Klimaanpassung. Damit sich für viele von uns im Großen etwas ändert, müssen wir politisch aktiv sein.“
Dem Handwerk Wissen an die Hand geben
Politisch und finanziell vom Hamburger Senat gefördert wird der Preisträger aus der Kategorie Bildungs- und Forschungseinrichtungen – gewonnen hat das EnergieBauZentrum der Handwerkskammer Hamburg mit ihrem Projekt „Präventive Klimafolgenanpassung mit dem Hamburger Handwerk“. Handwerker aus allen Gewerken werden hierbei darin geschult, wie sie Gebäude in der Planung oder bei der Sanierung an die Folgen des Klimawandels anpassen können. „Das Projekt versucht, die große Zielgruppe der Handwerksbetriebe heranzuführen an die notwendigen Kompetenzen, um Gebäude sicherer zu machen. Sicherer gegen Starkregenereignisse, sicherer vor sommerlicher Überhitzung“, erklärt Dr. Kai Hünemörder, Leiter Zentrum für Energie-, Wasser- und Umwelttechnik ZEWU. Die Handwerkerinnen und Handwerker agieren als Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Kunden und sollen dabei nicht nur ihren eigenen Bereich, sondern die Aufgabe ganzheitlich betrachten. Das erfolgreiche Projekt ist auch Bestandteil des Hamburger Klimaplans.
Hochdiverse Miniwälder als kleine Grünoasen
Benannt nach dem japanischen Hochschullehrer und Pflanzensoziologen Akira Miyawaki bezeichnet die Miyawaki-Methode die Pflanzung hochdiverser Miniwälder, um angepasste Waldökosysteme auf kleinsten Flächen vorrangig im urbanen Raum zu schaffen. Rund 1000 dieser sogenannten „Tiny Forests“ bestehen weltweit bereits, in Deutschland verbreitet sie der Verein MIYA e.V. seit 2020. Für seine „Tiny Forests – von nachhaltiger Bildung zu klimaresilienten Städten“ erhielt der Verein den „Blauen Kompass“ in der Kategorie Vereine, Verbände, Stiftungen. „Unsere Vision ist, dass in jeder Schule und Kita in Deutschland ein Tiny Forest steht“, sagt Gründer Lukas Steingässer. Den kleinen Wäldchen könnte eine große Zukunft bevorstehen: Sie haben den heißen Sommer fast ausnahmslos gut überstanden.
Hochwasserschutz über kommunale Grenzen hinweg
„Hochwasser kennt keine Grenzen“, konstatierte die Borkener Bürgermeisterin Mechtild Schulze-Hessing. Darum haben die Kommunen im Einzugsgebiet der Bocholter Aa ein gemeinsames Hochwasserschutzkonzept entwickelt: die „Hochwasserallianz Bocholter Aa“. Für dieses durften sie den Bundespreis „Blauer Kompass“ in der neuen Kategorie Kommunen entgegennehmen.
Das Konzept beinhaltet sowohl Grundlagen für die technischen und ökologischen Umsetzungen als auch die Bewusstseinsbildung in der Öffentlichkeit, wie Leben im Katastrophenfall zu schützen und zu retten ist. Neu angelegte Retentionsflächen steigern außerdem die Biodiversität und schaffen zusätzliche Erholungsgebiete. Als „unglaublich vielfältig und interdisziplinär“ bezeichnete Laudatorin Dr. Christine Wilcken vom Deutschen Städtetag das Gewinnerprojekt.
Vom Industriedenkmal zum Zentrum für Klimaanpassung
Die Lausitzer Brikettfabrik ist die älteste der Welt – und bildete sich dank des Freundeskreises Technisches Denkmal Brikettfabrik LOUISE e.V. vom Braunkohleabbau zu einem Lehr- und Lernort für die Folgen des Klimawandels um. „Wir nehmen die Probleme aus der Region auf. Dazu gehören die Themen Wasser, Hitze, Waldumbau und klimaangepasste Bewässerung. Aus der Mitte der Gesellschaft heraus entwickeln wir dann Projekte, um uns dem Klimawandel anzupassen“, erläutert Projektmanager Andreas Claus. Mit fast 14.000 Stimmen beim Online-Voting geht „Leuchtturm LOUISE – Mit kühlem Kopf in heißen Zeiten“ als Sieger des Publikumspreises hervor und trägt gleichzeitig zu einem neuen Beteiligungs-Rekord bei der Abstimmung bei.
Zum Abschluss der Veranstaltung erhielten alle Nominierten auf der Bühne jeweils eine Urkunde als Auszeichnung. Prof. Dr. Dirk Messner machte beim diesjährigen Wettbewerb zwei Gemeinsamkeiten aus: „Nahezu alle Projekte setzen auf naturbasierte Lösungen zur Klimawandelfolgenanpassung, wodurch gleichzeitig auch der Klimaschutz anvisiert wird. Außerdem sind in allen Projekten unterschiedliche Akteure zusammengekommen, die gemeinsam nach Lösungen suchten. Sie sind Beispiel und vorbildlich dafür, wie Governance organisiert werden kann und gesellschaftliche Lernprozesse angestoßen werden.“
„Für Mensch und Umwelt“ ist der Leitspruch des UBA und bringt auf den Punkt, wofür wir da sind. In diesem Video geben wir Einblick in unsere Arbeit.
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