Schadstoffe

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Industrieanlage an der Ostsee
Quelle: FG II 2.3 / UBA

Die Verschmutzung mit Schadstoffen ist eines der größten Probleme der Meeresumwelt. Schadstoffe gelangen über eine Vielzahl von Wegen in die Meere. Sie reichern sich in Sediment und Organismen an und können dort jahrzehntelang verbleiben. Die Ökosysteme der Meere und ihre Meereslebewesen sind daher einer großen Zahl an Schadstoffen dauerhaft ausgesetzt.

Schadstoffeinträge

Schadstoffe gelangen über verschiedene Wege in die Meere: Indirekt über in das Meer mündende Flüsse und über den atmosphärischen Transport, d.h. über Luftströmungen. Direkt werden sie über Einleitungen von Abwässern aus Kläranlagen oder Industrieanlagen an der Küste sowie durch Seeschifffahrt und Offshore-Industrie, wie der Öl- und Gasförderung eingetragen. Schadstoffe können lange in der Umwelt verweilen und über lange Strecken transportiert werden. Sogar in entlegenen Regionen wie der Antarktis werden sie nachgewiesen. Für die Ost- und Nordsee sind die indirekten Schadstoffeinträge über Flüsse und ⁠Atmosphäre⁠ maßgeblich. Die atmosphärischen Einträge, die über weite Strecken transportiert werden können, stammen vor allem aus Verkehr, Verbrennungsanlagen und der Seeschifffahrt. So haben beispielsweise 61 Prozent der Cadmium- und 85 Prozent der Quecksilber-⁠Deposition⁠ auf die Ostsee ihren Ursprung nicht in deren Wassereinzugsgebiet.

Die in die Meere eingetragenen Schadstoffe stammen zum einen aus zahlreichen kleinen bzw. verteilten, sogenannten diffusen Quellen – das sind Haushalte, kleinere Industrieanlagen und Landwirtschaft – sowie aus lokalen Quellen, sogenannten Punktquellen. Schadstoffe aus diffusen Quellen sind in Konsumprodukten, Körperpflegemitteln, Arzneimitteln, Bioziden und Pflanzenschutzmitteln enthalten und werden vor allem über Kläranlagen- und Niederschlagsabflüsse in die Meere eingetragen. Punktquellen – das sind insbesondere große Industrieanlagen – sind für hohe Einträge in der Vergangenheit verantwortlich, vor allem Schwermetalle und POPs (Persistant Organic Pollutants) stammen aus diesen Quellen. Sie haben maßgeblich zu der gegenwärtigen Belastung der Flusssedimente, Ästuare und marinen Sedimente geführt. Diese belasteten Sedimente sind, vor allem wenn sie durch Hochwasser, Strömung oder Ausbaggerung verlagert werden, heute immer noch eine Eintragsquelle für Schadstoffe. In die Meere gelangte Schadstoffe lassen sich, je nach Stoffeigenschaften, in Wasser, Sediment oder Biotaproben nachweisen.

Gefährliche Stoffe und ihre Effekte

Für die Meeresumwelt sind vor allem Schadstoffe gefährlich, die drei Stoffeigenschaften vereinen: sie werden nicht oder nur langsam abgebaut (persistent), sie reichern sich in Lebewesen an (bioakkumulierend) und sind giftig (toxisch). Diese ⁠PBT⁠-Stoffe erfordern in besonderem Maße Vorsorge. Aufgrund ihrer Langlebigkeit können sich diese Stoffe vor allem in den Meeresökosystemen anreichern und weit verbreiten. Wirkungen können zeitlich verzögert auftreten.

Tiere, die im marinen Nahrungsgefüge weit oben stehen, sind Schadstoffen, die sich im Körpergewebe anreichern, besonders stark ausgesetzt. Sie nehmen Schadstoffe über ihre Nahrung auf. Die Schadstoffbelastung kann ihre Reproduktionsfähigkeit und Gesundheit beeinträchtigen.

Die Schadstoffbelastungen in den Meeren sind ein dauerhafter Stressor für Meereslebewesen und haben in der Vergangenheit zu Effekten auf der Individual- und Populationsebene geführt.

Beispiel: Marine Säuger
Ein aktuelles Beispiel für die Auswirkungen von Schadstoffbelastungen ist das wahrscheinliche Aussterben einer Orca-Population an der Westküste von Schottland, dort konnte in den letzten Jahrzehnten kein Kalb beobachtet werden. Als Grund diskutiert wird vor allem die Belastung mit Polychlorierten Biphenylen (⁠PCB⁠). Die Stoffe reichern sich im Fettgewebe und in der Muttermilch an. Sie stören das Immunsystem und das Hormonsystem. Das kann eine verminderte Fortpflanzungsrate der Tiere und verringerte Überlebenschancen der Kälber zur Folge haben.

Auch für die Ostsee werden in der HELCOM (Helsinki Übereinkommen zum Schutz der Ostsee) Liste der gefährdeten und/oder im Rückgang befindlichen Arten und Lebensräume Schadstoffe als Gefährdungsursache für marine Säuger aufgeführt. Organochlorverbindungen sind als Schadstoffe genannt, die die Fortpflanzung von Seehunden und Kegelrobben reduzieren und Schwermetalle als Schadstoffe, die zu reduzierter Fruchtbarkeit, geschwächtem Immunsystem und Krankheit bei Schweinswalen führen können.

Beispiel: Bestand der Seeadler im Ostseeraum
Anfang des 20. Jahrhunderts war der Bestand des Seeadlers in allen Ostseeanrainerländern bis auf wenige Brutpaare zurückgegangen. In einigen Ländern war er völlig verschwunden. Durch Schutzmaßnahmen erholte sich der Bestand langsam wieder, in den 1950er-Jahren begann der Bestand aber zu stagnieren oder wieder abzunehmen. Untersuchungen von Seeadlereiern zeigten, dass der Misserfolg bei der Brut in direktem Zusammenhang mit den sehr hohen Konzentrationen von ⁠DDT und PCBs in Seeadlereiern stand. Das Verbot des Insektizids ⁠DDT⁠ und PCBs und weiteren Pflanzenschutzmitteln in den 1970er-Jahren führte ab Mitte der 1980er-Jahre zu Erfolgen: die Population der Seeadler im Ostseegebiet steigt, der Bruterfolg ist gut.

Zusätzlich können auch Stoffe, die diese drei Kriterien für ⁠Persistenz⁠, Bioakkumulation und Toxizität nicht oder nur teilweise erfüllen, problematisch für die Meeresumwelt sein. Wichtiges Beispiel für Stoffe, die ähnlichen Anlass zur Sorge geben sind endokrin (hormonell) wirksamen Stoffe.

Beispiel: Auswirkungen von TBT im Meer
Ein anerkannter endokrin wirksamer ⁠Stoff⁠ der in der Meeresumwelt schwerwiegende Schäden verursacht hat, ist Tributylzinn (TBT) – aus der Gruppe der Organozinnverbindungen. TBT besitzt eine dem männlichen Geschlechtshormon ähnliche Wirkung und führt bei einigen Weichtieren zu Fortpflanzungsstörungen. Durch diese Wirkung von TBT sind beispielsweise in der Nordsee und an den Wattenmeerküsten die Bestände einiger Schneckenarten (wie Wattschnecke (Hydrobia ulvae) oder Strandschnecke (Littorina littorea)) stark zurückgegangen. Die Einträge von TBT aus Antifoulinganstrichen von Schiffen nehmen aufgrund der Verbote der EG-Verordnung 782/2003 und des AFS-Übereinkommens (International Convention on the Control of Harmful Antifouling Systems on Ships) ab. Sedimente - sind aber immer noch stark mit TBT belastet.

Stoffverbote und neue Stoffe im Meer

PBT-Stoffe werden noch Jahrzehnte nach Beendigung ihrer Anwendung in der Meeresumwelt zu finden sein. Stoffverbote zeigen aber Wirkung: so werden auch für die in Deutschland seit langem nicht mehr in der Landwirtschaft eingesetzten Insektizide ⁠-Dieldrin, und ⁠Lindan die Konzentrationen im Meer sinken. Dafür gibt es neue Schadstoffe, die in steigenden Konzentrationen gemessen werden. Ein Beispiel sind per- und polyfluorierte Alkylsubstanzen (⁠PFAS⁠), die auch "forever chemicals" ("Ewigkeitschemikalien") genannt werden, da sie in der Umwelt nicht abgebaut werden. Perfluoroctansulfonsäure (⁠PFOS⁠) als ein Vertreter der PFAS wird derzeit regulär in den Küstengewässern überwacht und die gemessenen Konzentrationen überschreiten die Bewertungsschwelle in Wasser.

fliegender Seeadler mit einem Fisch in den Krallen
Seeadler
Quelle: II 2.3 /UBA

Regionale Meeresschutzkonvention OSPAR und HELCOM

Die regionalen Meeresschutzübereinkommen (HELCOM für die Ostsee und ⁠OSPAR⁠ für den Nordostatlantik) adressieren schon seit dem Ende der 1970er die Verschmutzung der Meere durch Schadstoffe. Die Überwachung der Konzentrationen gefährlicher Stoffe insbesondere in Sediment und Biota und die Entwicklung von Maßnahmen zur Minderung der Einträge sind Teil ihrer Strategien für gefährliche Stoffe. Vor allem bei der Verminderung der Einträge aus Punktquellen konnten große Erfolge erzielt werden. So sind die Schwermetalleinträge in die Oberflächengewässer im deutschen ⁠Einzugsgebiet⁠ der Nord- und Ostsee seit Jahren rückläufig.  Das ist auf wirkungsvolle Reduzierungen der Einträge aus der Industrie zurückzuführen, die sich in einer Reduzierung der industriellen Direkteinträge, der Einträge über die ⁠Atmosphäre⁠ und der Kläranlagen widerspiegelt.

EU-Richtlinien

Die Zustandsbewertung gemäß Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie (MSRL) für die deutschen Nord- und Ostseegebiete zeigt, dass der gute Umweltzustand in beiden Meeren aktuell verfehlt wird. Die Verschmutzung durch Schadstoffe trägt wesentlich zu dieser Verfehlung bei. Um die Ziele der MSRL ⁠und der ⁠Wasserrahmenrichtlinie⁠ (WRRL) zu erreichen, werden Maßnahmen zur Verminderung der Schadstoffeinträge in Nord- und Ostsee durchgeführt.