In welcher Sprache sprechen wir, wenn von gravierenden Veränderungen der Ökosysteme, vom Schmelzen der Gletscher, dem unwiederbringlichen Verlust der Artenvielfalt zu Lande und im Wasser, von der Umformung der Landschaften, aber auch der Zerstörung der Städte und Siedlungen die Rede ist? Passt diese Sprache zu dem, was der Klimawandel an Veränderungen, als neue Realitäten in nicht allzu ferner Zeit mit sich bringen wird? Und kann die Literatur eine Verbündete für die anstehende Transformation der Gesellschaft hin zu einer nachhaltigen Entwicklung sein? Anlässlich der Ausstellung Delphinium Maximum im Bauhaus Museum Dessau widmet sich diese Veranstaltung in Zusammenarbeit mit dem Umweltbundesamt dem literarischen Genre Nature Writing, dessen Traditionslinien bis ins 19. Jahrhundert zurückreichen – und doch als literarische Praxis so gegenwärtig aktuell ist. Kenah Cusanit und Jan Röhnert – eingeführt von dem Verleger Andreas Rötzer – lesen an diesem Nachmittag aus ihren neusten Veröffentlichungen: dem Essay „Senatore Cappelli“ und dem Essay-Band „Wildnisarbeit“. Anschließend findet ein Gespräch über den Erkenntniswert einer Literatur an den Schnittstellen von Wissenschaft, Poesie und Lebenspraxis statt, moderiert von Oliver Klimpel (Leiter Kuratorische Werkstatt, Stiftung Bauhaus Dessau), Fotini Mavromati (Kunstbeauftragte, Umweltbundesamt): https://bauhaus-dessau.de/veranstaltungen/nature-writing/
Wann: Samstag, 12.07.2025, 15 Uhr
Wo: Bauhaus Museum, Mies-van-der-Rohe-Platz 1, 06844 Dessau-Roßlau
Eintritt frei
Ein Kurzstreckenlauf durchs World Wide Web mündet in eine Überquerung der Alpen, ein Greifvogel kreist über der Geschichte der Namen von Weizensorten, ein menschliches Herz ähnelt einem Hefeteig. Kenah Cusanits Essay „Senatore Cappelli“ springt mit intellektueller Neugier, mit sprachlicher Elastizität und Elan, mit Haltung und Humor zwischen scheinbar unvereinbaren Themenfeldern hin und her und verbindet sie zu einem oszillierenden Ganzen. Die Autorin faltet Motive in- und übereinander, findet Verwandtschaften im scheinbar Fremden, zoomt ins Detail und wagt die Vogelperspektive. Sie verknüpft die Mikrostruktur einer Darminnenwand mit den Stoppelfeldern der industriellen Landwirtschaft. In „Senatore Cappelli“, ausgezeichnet mit dem Deutschen Preis für Nature Writing 2024, führt uns Kenah Cusanit auf eine so amüsante wie tiefgründige Reise mitten ins Herz der Gegenwart.
Wildnisarbeit wurde nie vom Schreibtisch betrieben, deshalb begeben sich die drei Teile von Jan Röhnerts Essay in die letzten Leipziger Brachen, in die wendländische Elbtalaue und auf den Ostthüringer Streuobsthang über einem verwilderten Steinbruch. Der Autor begegnet Menschen und Werken, in den das Tun Hand in Hand geht mit dem Schreiben von dem was sich nur im Offenen ereignet. Röhnert kultiviert seine Orte wie er in dee Landschaft Spuren liest und Sporen legt – eine Landschaft, die sich erst offenbart, wenn das Wilde in ihr zugelassen wird. Ein ergänzender Traktat verankert schließlich das Nature Writing dort, wo es herkommt: bei der Natur und ihren Elementen.
Kenah Cusanit, 1979 geboren, lebt in Berlin. Für ihre literarischen Texte wurde die Altorientalistin und Ethnologin bereits mehrfach ausgezeichnet, u. a. mit dem Preis der Deutschen Akademie Rom Villa Massimo für ihren Debütroman „Babel“. Mit „Senatore Cappelli“ gewann sie den Deutschen Preis für Nature Writing.
Jan Röhnert, 1976 in Gera geboren, ist Literaturwissenschaftler, Essayist, Übersetzer, Autor von Reiseprosa und Lyriker, der u.a. mit dem Lyrikdebütpreis des Literarischen Colloquiums Berlin, einem Harald-Gerlach-Stipendium, dem Wolfgang-Weyrauch-Förderpreis ausgezeichnet wurde. Er unterrichtet an der TU Braunschweig und lebt in Leipzig. Zuletzt ist der Erzählband „Karstwärts“ (2024) und „Wildnisarbeit. Schreiben, Tun und Nature Writing“ (2025) erschienen.
Andreas Rötzer (*1971) studierte Philosophie in Passau und Paris, seit 2004 leitet er den Verlag Matthes & Seitz Berlin. Neben der „Dritten Natur“ umfasst das Verlagsprogramm unter anderem die von Judith Schalansky herausgegebene Reihe „Naturkunden“ sowie Sachbücher der Reihe „Fröhliche Wissenschaft“. 2017 wurde vom Verlag der „Deutsche Preis für Nature Writing“ eingerichtet, im selben Jahr wurde Andreas Rötzer zum Verleger des Jahres gewählt.