Ökosystemleistungen von Fließgewässern
Intakte Ökosysteme bieten dem Menschen eine Vielzahl von Leistungen: Gesunde Böden sind die Grundlage für die Erzeugung von Lebensmitteln, Wälder liefern den Rohstoff Holz, Feuchtgebiete und Ozeane tragen zur Klimaregulierung bei, Flüsse versorgen uns mit Trinkwasser. Diese Leistungen werden als Ökosystemleistungen bezeichnet. Wissenschaftlich ausgedrückt sind es Leistungen und Güter, die dem Menschen einen direkten oder indirekten wirtschaftlichen, materiellen, gesundheitlichen oder psychischen Nutzen bringen (Naturkapital TEEB DE 2012).
Flüsse und Bäche dienen der Wasserversorgung, als Verkehrswege und sind wichtige Kompartimente der Abwasserbehandlung. Die Industrie nutzt sie für Kühlzwecke und Produktionsprozesse, die Landwirtschaft zur Bewässerung. Zusammen mit ihren Auen sind Fließgewässer der Lebensraum vieler Tier- und Pflanzenarten. Fließgewässer haben vor allem in urbanen Räumen eine ausgleichende Wirkung auf das Lokalklima und unterstützen die Frischluftzufuhr in Städten. An zugänglichen und attraktiven Flüssen können sich die lokale Bevölkerung und Reisende entspannen und erholen.

Flüsse als Verkehrswege
Der Transport von Gütern auf Wasserstraßen entlastet die Verkehrssituation auf Autobahnen und Bundesstraßen.
Quelle: bilanol / Fotolia

Flusswasser wird zur Kühlung eingesetzt
Wärmekraftwerke entnehmen Flusswasser zur Kühlung. Sie sind – gemessen an der anteiligen Wasserentnahme – die größten Wassernutzer in Deutschland.
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Wasserkraftwerk Iffezheim am Rhein
Das größte Laufwasserkraftwerk Deutschlands produziert Strom für 250.000 Haushalte.
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Einleitung von Abwasser in einen Fluss
Flüsse übernehmen die „letzte Stufe“ der Abwasserreinigung.
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Die Gewässersohle fungiert als natürliche Reinigungsanlage
In der Gewässersohle eines Fließgewässers laufen zahlreiche Abbauprozesse ab, die das Flusswasser reinigen.
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Flüsse und Auen dienen als „Lungen“ und „Klimaanlagen“ in Städten
Die Verdunstung von Wasser aus Fließgewässern und deren Vegetation reduziert die Umgebungstemperatur überwärmter Siedlungsbereiche. Zusätzlich dienen die Fließgewässer als Bahnen für die Frischluftzufuhr.
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Flüsse wie die Rur dienen der Erholung
Die Anziehungskraft von Tourismusregionen wird durch die Erholungs- und Freizeitmöglichkeiten im und am Wasser gestärkt.
Quelle: Georg Lamberty / Planungsbüro Zumbroich

Gewässer und Auen regulieren den Wasserhaushalt
Schotterkörper - wie hier am Uferabbruch zu sehen - haben eine Pufferwirkung für den Regenwasserabfluss und bewirken eine Vergleichmäßigung der Pegelstände.
Quelle: Thomas Zumbroich / Planungsbüro Zumbroich
Renaturierungen stärken Ökosystemleistungen
In vielen Fällen wird technisch nachgeholfen, damit Flüsse eine gewünschte Aufgabe erfüllen können (z. B. Schifffahrt, Wasserkraftnutzung). Der technische Ausbau führt oft zum Verlust natürlicher Ökosystemleistungen. Mit Renaturierungen können Schäden, die durch bestimmte Nutzungen entstehen, ausgeglichen oder abgemildert werden.
Renaturierungen leisten einen wichtigen Beitrag zur Sicherung bzw. Wiederherstellung der Funktionsfähigkeit von Fließgewässern und können zu konkreten Steigerungen unterschiedlicher Ökosystemleistungen führen, wie der Verbesserung von:
- wasserwirtschaftlichen Leistungen: z. B. effektivere, natürliche Wasserreinigung durch Abbauprozesse in intakter, renaturierter Gewässersohle;
- ökologischen Leistungen: z. B. Zunahme der Fischdichte aufgrund gewässertypspezifischer, renaturierter Habitatbedingungen und
- soziokulturellen Leistungen: z. B. Zunahme von Wohn-, Lebens- und Erholungsqualität in einer naturnahen, renaturierten Flusslandschaft.
Ziel einer nachhaltigen Bewirtschaftung von Fließgewässern sollte es sein, die zahlreichen Interessen seitens Schifffahrt, Wasserkraftnutzung, Hochwasserschutz, Naturschutz, Erholung und Tourismus, Stadtentwicklung sowie Land- und Forstwirtschaft möglichst in Einklang zu bringen und gleichzeitig die ökologische Funktionsfähigkeit der Fließgewässer als Grundlage für all diese Leistungen zu gewährleisten. Mehr dazu: Kooperation und Partizipation für erfolgreiche Renaturierungen
Wesentliche Teile der großen deutschen Flüsse sind als ausgebaute Bundeswasserstraßen Verkehrswege. Das Netz der Wasserstraßen in Deutschland hat eine Länge von rund 7.300 km (BDB 2016, UBA 2017). Die Anforderungen an die deutschen Wasserstraßen haben sich jedoch im Laufe der Zeit geändert. Der Gütertransport konzentriert sich heute auf wenige Flüsse und Kanäle. Auf zahlreichen Nebenwasserstraßen wird kaum noch Fracht transportiert, diese bieten sich für Renaturierungen an.
Das Bundesprogramm "Blaues Band Deutschland" sieht Renaturierungen im Netz der Bundeswasserstraßen und den Wiederanschluss ihrer Auen vor (BMVI & BMUB 2017). Dadurch können neue Akzente in Richtung Natur- und Gewässerschutz, Hochwasservorsorge sowie Wassertourismus, Freizeitsport und Erholung gesetzt werden. Mehr dazu: Masterplan Fuldaaue schafft Interessensausgleich an der Fulda
Renaturierungen machen Wasserkraft ökologisch verträglicher
Die rund 8.000 Wasserkraftanlagen in Deutschland liefern jährlich etwa 20.000 Gigawattstunden elektrische Energie. Damit trägt die Kraft der Flüsse zur regenerativen Energieerzeugung in Deutschland bei. Der mit der Wasserkraftnutzung verbundene Gewässerausbau hat allerdings nachteilige Folgen für die Gewässerökosysteme. Die wesentlichen Beeinträchtigungen sind der Aufstau der Gewässer, die Unterbrechung der Durchgängigkeit und die direkte Schädigung und Tötung von Organismen durch den Turbinenbetrieb (UBA 2017).
In den Stauhaltungen für Wasserkraft stellen sich untypisch geringe Fließgeschwindigkeiten ein, die zu Verschlammung und Sauerstoffmangel führen. Unterhalb der Stauung reißt der Fluss Geschiebe aus der Gewässersohle mit sich und in der Folge kommt es zur Vertiefung des Flussbettes und zur Grundwasserabsenkung in der Aue.
Mit Maßnahmen zur Entwicklung von Ausweich- bzw. Ersatzhabitaten oder zur Reaktivierung des Geschiebetransports lassen sich ökologische Verbesserungen im Wirkungsbereich von Wasserkraftanlagen erzielen. Ein Beispiel für ökologische Verbesserungsmaßnahmen an Wasserkraftwerken und Renaturierungen von Fischhabitaten als Ausgleichsmaßnahmen liefert das Projektbeispiel Inn: Mit gemeinsamen Zielen renaturieren.
Selbstreinigung und Nahrungsquellen
Zusammen mit ihren Überflutungsflächen funktionieren Flüsse und ihre Auen wie große Reinigungsanlagen. Muscheln, Schnecken, Würmer, Insekten und Insektenlarven filtern das Wasser und nehmen Phosphate und Nitrate auf. Kies- und Sandschichten filtern das versickernde Wasser ebenfalls. Diese natürlichen Prozesse sind zudem die Grundbedingung dafür, dass in den Fließgewässern über Abwässer eingeleitete Schmutzstoffe zu großen Teilen abgebaut werden. Durch solche Prozesse leisten Flüsse als "Nieren" der Landschaft einen wichtigen Beitrag zur Reinigung des Flusswassers und zur Bereitstellung von Trinkwasser.
Auf der Gewässersohle haften Algen an, die vom herbeiströmenden Material leben. Die Algen werden wiederum von Fischen und Insektenlarven abgeweidet und bilden den Anfang der Nahrungskette an deren Ende der Mensch steht.
Beitrag zur Klimaanpassung
Luftqualität und Mikroklima beeinflussen das menschliche Wohlbefinden. Feinstäube und verschiedene Luftschadstoffe haben eine direkte Wirkung auf die Lebenserwartung und auf das Risiko, an Herz-Lungen-Leiden zu erkranken (Voss & Hassauer 2004). Naturnahe Fließgewässer und ihre gehölzbestandenen Uferstreifen filtern die Luft und reduzieren die Konzentration gesundheitsschädlicher Feinstäube.
In Städten führen dichte Bebauung, geringer Grünflächenanteil und mangelnder Luftaustausch zu einer deutlichen Erhöhung der Temperaturen. Die Verdunstung von Wasser aus Fließgewässern und deren Vegetation führt insbesondere an heißen Sommertagen zur Reduktion der Umgebungstemperatur und damit zu einer Verbesserung der Situation in überwärmten Siedlungsbereichen (Naturkapital Deutschland – TEEB DE 2016). Bäume am Ufer und im Gewässernahbereich kühlen die Umgebung zusätzlich, indem sie den Boden beschatten.
Naturnahe Fließgewässer leisten als sogenannte grün-blaue Infrastruktur einen wichtigen Beitrag zu einem gesunden Leben in unseren Städten und zur Anpassung an die Folgen klimatischer Veränderungen. An der Ruhr dienen Renaturierungsmaßnahmen beispielsweise auch der Klimafolgenanpassung. Darunter fallen z. B. die Schaffung kühlender, größerer Wasserflächen durch Gewässeraufweitungen und der Rückbau von versiegelten Flächen. Mehr dazu: Positive Wirkung auf Ökosystemleistungen und Klimafolgenanpassung durch renaturierte Ruhr
Artenvielfalt im und am Fluss
Intakte Fließgewässer und ihre Auen sind komplexe, sehr artenreiche Ökosysteme. Sie bieten Lebensraum für eine besonders hohe Vielfalt verschiedener Tier- und Pflanzenarten. Aber diese Vielfalt steht unter hohem Druck: In keinem anderen Ökosystem sind so viele Arten bedroht oder bereits verschwunden wie im oder am Wasser. Renaturierungen können dazu beitragen, die Lebensraumfunktion des Gewässers aufzuwerten. Mehr dazu: Naturschutz und Gewässerentwicklung – ein schönes Paar
Renaturierungen haben z. B. die Fischerhuder Wümmeniederung zu einem Gebiet von überregionaler ökologischer Bedeutung gemacht, insbesondere für wasserliebende Brut- und Rastvögel (Mehr dazu: Wümme: Fischotter, Lachs und Tüpfelsumpfhuhn sind zurück). An der Ahr dienten Renaturierungen dazu, die Lebensräume von Wanderfischen von der Mündung bis hinauf in die Eifel wieder zu vernetzen (Mehr dazu: Ahr: Barrierefreiheit und Lebensraum für Fische schaffen). An der Murg konnten im Zuge von Renaturierungen zahlreiche FFH-Lebensraumtypen etabliert werden (Mehr dazu: Lebensräume für FFH-Arten durch Renaturierung der Murg geschaffen).
Lebensqualität, Tourismus und Erholung
Menschen zieht es zum Wasser. Flusslandschaften ermöglichen eine intensive Begegnung mit Natur und Landschaft. Sie sind attraktive Erholungsgebiete und beliebte Ziele für die Freizeitgestaltung. Naturnahe Gewässer erhöhen zudem die Attraktivität von Städten und Regionen sowie die Lebensqualität der Bevölkerung und verstärken die touristische Anziehungskraft (Mehr dazu: Erholung und Tourismus am renaturierten Fluss). Beispielsweise entwickelte sich an der renaturierten Hase der sanfte Tourismus zu einem wichtigen Wirtschaftsfaktor (Mehr dazu: Erholungssuchende und Fischfans profitieren von der Revitalisierung der Haseauen).
Gewässer und Auen regulieren Hochwasser
Natürliche Überschwemmungsgebiete in den Flussauen leisten einen wichtigen Beitrag zur Minderung des Hochwasserrisikos (Mehr dazu: Hochwasser durch Renaturierung entschärfen). Untersuchungen an der Nebel haben z. B. ergeben, dass infolge von Renaturierungsmaßnahmen ein um ca. 16 % größerer Hochwasserrückhalteraum zur Verfügung steht und dass technische Lösung (z. B. Polder oder Deich) mit gleicher Leistung rund 174 Mio. Euro kosten würden (Mehl et al. 2018) (Mehr dazu: Positive Effekte von Renaturierungen auf Ökosystemleistungen der Nebel). An der Fulda verbesserte eine umfangreiche Auenreaktivierung den Hochwasserschutz für die Stadt Rotenburg deutlich (Mehr dazu: Renaturierung der Fulda führt zu spürbarer Verbesserung bei Hochwasser ). An der Murg wirkten sich Renaturierungen mit Vorlandabflachung innerorts und Deichrückverlegung außerorts positiv für den Hochwasserschutz der Stadt Rastatt aus (Mehr dazu: Renaturierung effektiver als Hochwasserrückhaltebecken an der Murg).

Heerener Mühlbach vor der Renaturierung
Der Heerener Mühlbach war vor seiner Renaturierung weit entfernt von einem leistungsfähigen Ökosystem.
Quelle: Lippeverband / UBA

Renaturierter Heerener Mühlbach in Kamen entlastet Abwassersystem
Der renaturierte Heerener Mühlbach ist wieder Teil des direkten Wohnumfeldes. Er entlastet das Abwassersystem, weil ihm Regenwasser von den Grundstücken zugeführt wird.
Quelle: Lippeverband / UBA