Sinnvolles Gesamtpaket: erweitertes Monitoring und Beratung
Durch die europäische Gesetzgebung mit der Erweiterung der Richtlinie zur Produkthaftung (RL 85/374/EWG) auf die landwirtschaftliche Primärproduktion (RL 1999/34/EG) und das so genannte „Stable to Table Konzept“ (VO EG 178/2002) sind landwirtschaftliche Betriebe heutzutage verpflichtet, die Qualität ihrer Produkte entsprechend zu dokumentieren. In der Praxis erfolgt die Umsetzung in der Regel durch die integrierte Tierärztliche Bestandsbetreuung(70). Im Zuge des 2014 eingeführten und 2023 überarbeiteten Antibiotika-Monitorings wurde die Rolle des/der Hoftierarztes/-ärztin mit Verantwortungen hinterlegt und nochmals gesetzlich gefestigt (71). Der/Die Hoftierarzt/-ärztin übernimmt laut vertraglicher Bindung an einen Betrieb präventive, prophylaktische und kurative Tätigkeiten. Somit können auftretende Erkrankungen besser ganzheitlich bewertet und durch entsprechende Prophylaxe vermieden werden.
Für jede Nutztierart gibt es darüber hinaus spezifische Monitoring- und Beratungsangebote privater Dienstleister, die über das Maß herkömmlicher Gesundheitsmonitoringsysteme hinausgehen. Teilweise sind sie in Qualitätsfleisch/-milch-Programme eingebettet und die Kosten werden innerhalb der Wertschöpfungskette geteilt. Sie können aber auch für Tierhalterinnen/-halter gebührenpflichtig und mit personellem und zeitlichem Aufwand für die Erhebung, Dokumentation und Interpretation der Daten verbunden sein.
In überbetrieblichen Varianten können Monitoring- und Beratungssysteme kostengünstig organisiert werden, z. B. über Erzeugergemeinschaften. Prinzipiell sinken die Kosten, je mehr Betriebe sich beteiligen. Dabei führt der Vergleich mit anderen Betrieben zu weiteren Verbesserungen in der Tiergesundheit. Alle Daten der Mitgliedsbetriebe werden von Monitoring-Dienstleistern standardisiert in einer Datenbank dokumentiert. Diese Daten werden in aggregierter Form der Tierärzteschaft und der Landwirtschaft zur Verfügung gestellt, wodurch der Gesundheitsstatus des Bestandes im Vergleich zu anderen vergleichbaren Betrieben eingeschätzt werden kann. Dies deckt systemische Risiken und Schwachstellen auf und hilft in der Auswahl geeigneter Präventionsmaßnahmen.
Beispiele für Schwachstellenanalysen in der Milchproduktion sind Mastitis-Diagnose- und Kontrollprogramme oder das Schwachstellenanalyse-Tool „Cows and more“(72) zur Optimierung von Haltung und Management.
Neben privaten Dienstleistern werden Beratungen auch von berufsständischen Organisationen wie den Landwirtschaftskammern der Länder mit ihren Tiergesundheitsdiensten, den Landesbauernverbänden, den Viehvermarkungsgenossenschaften mit spezifischen Serviceeinrichtungen und Bündler-Organisationen angeboten. Zudem können Spezialisten wie Fachtierärztinnen/-ärzte beraten oder auch Anbieter/-innen unterstützen mit ihrer Expertise z. B. zu Fütterung und Stallbau.
Die Kombination von Beratungs- und Monitoringsystemen über die gesamte Wertschöpfungskette in Verbindung mit gezielten einzelbetrieblichen Maßnahmen leisten einen Beitrag für den Tier- und Umweltschutz. Kettenübergreifende Beratung z. B. in der Schweinefleischerzeugung muss sich auf heterogene Betriebe einstellen. Da nicht alles in der Verantwortung eines Akteurs liegt, sind Vereinbarungen zur Kommunikation und Koordination wichtig.
Infektionsgefahren durch Screenings früher erkennen
Infektionsgefahren können durch regelmäßige Maßnahmen des Gesundheitsmonitorings und Untersuchungen früher erkannt werden(73). So können auch gezielt und zeitnah Maßnahmen ergriffen werden, um den Gesundheitsstatus zu verbessern. Seit 2014 ist ein Antibiotikamonitoring verpflichtend. Die zuständige Behörde erhält dadurch Informationen, welche Betriebe Gesundheitsprobleme haben und kann dementsprechende Vor-Ort-Kontrollen durchführen. Optional kann bei Schweinen das Vorhandensein von resistenten Mikroorganismen (z. B. Methicillin resistenter Staphylococcus aureus (MRSA) und „extended-spectrum beta-lactamases“ produzierende E. coli (ESBL-E)) bestimmt werden. Dazu werden Nasen- und Analabstriche sowie Luft- und Staubproben genommen(74, 75). Die Kosten für diese Tests muss der/die Landwirt/-wirtin selbst tragen. Überwiegend positive Befunde deuten auf ein schlechtes Hygienemanagement bei gleichzeitig hohem Tierarzneimitteleinsatz hin. In diesem Fall sollten das Gesundheitsmanagement verbessert sowie Hygiene- und Sanierungsmaßnahmen eingeleitet werden. Hierdurch kann die Wahrscheinlichkeit des Auftretens von MRSA und ESBL-E reduziert werden. Damit verringert sich das Risiko von Gesundheitsproblemen und speziell eines durch Resistenzen erschwerten Krankheitsverlaufs z. B. bei Durchfall- und Atemwegserkrankungen.
Innovative digitale Monitoringverfahren
Die systematische produktionsbegleitende Aufzeichnung von Leistungsdaten durch digitale Monitoringverfahren unterstützt die Tierbeobachtung und ermöglicht eine frühzeitige Erkennung von Leistungsrückgang oder krankheitsbedingter Verhaltensänderung. Das rasche Einleiten von geeigneten Maßnahmen verhindert, dass sich Einzeltiererkrankungen zum Bestandsproblem entwickeln können.
Kombinierte Sensor-Software-Systeme können laufend gesundheitsrelevante Daten erheben. Beispiele für solche digitalen Monitoringverfahren sind:
- Melkroboter, die die Zellzahl laufend bestimmen;
- Futterspender, die einen Rückgang der Futteraufnahme melden oder Wasserverbrauchsänderungen erkennen;
- Ohrmarken zur Temperaturüberwachung der Tiere und
- Geräuschaufzeichnung und Bewegungsmustermessungen, die z. B. einen Aktivitätsrückgang der Tiere messen.
All diese technischen Hilfsmittel können die fachkundige Tierbeobachtung durch Landwirte/-wirtinnen unterstützen, aber nicht ersetzen. Der Arbeitsaufwand der auf dem tierhaltenden Betrieb entsteht, wenn digitale Daten erfolgreich in das Management integriert werden, sollte nicht unterschätzt werden: Beispielsweie gehen Experten davon aus, dass die Zeit, die nach dem Wechsel vom Melkstand auf einen Melkroboter für das Melken und den engen Kontakt mit den Kühen im Melkstand eingespart werden kann, mindestens in gleichem Umfang für das sorgfältige Auswerten der Daten und die Beobachtung der Kühe aufgewendet werden muss, um einen vergleichbaren Gesundheitsstatus aufrecht zu erhalten.
Monitoring und Beratung unterstützen die Differentialdiagnostik
Monitoring- und Beratungssysteme können zur frühzeitigen Erkennung von unspezifischen Krankheitssymptomen im Tierbestand beitragen oder die Differentialdiagnostik zwischen Krankheiten mit ähnlicher oder übereinstimmender Symptomatik unterstützen. Wenn diese Vor-Informationen in die Diagnostik einfließen, können die Ansteckungsgefahr in der Herde und der metaphylaktische Tierarzneimitteleinsatz verringert werden. Dies dient der Wirtschaftlichkeit des Betriebs, dem Tierwohl und der Umwelt gleichzeitig.
Zum erweiterten Monitoring zählen auch pathologisch-anatomische Untersuchungen von not-getöteten Tieren durch eine Untersuchungs- oder Forschungseinrichtung. Sektionen können helfen, die Differentialdiagnostik zu verbessern und somit die gesunden Tiere zu schützen.
Literatur
70. Bundesverband praktizierender Tierärzte e.V. (2017). Leitlinien Bestandsbetreuung.
71. AMG Novelle (2013). Sechzehntes Gesetz zur Änderung des Arzneimittelgesetzes. Bundesgesetzblatt Teil I 2013Nr. 62 vom 16.10.2013.
72. Die Schwachstellenanalyse im Detail. Wie funktioniert die Erfassung?
73. Siehe auch Leitlinien Bestandsbetreuung des Bundesverbands praktizierender Tierärzte
74. Schulze-Geisthövel, S. (2015). System innovations promoting health management in pig production chains. Hochschulserver ULB Uni Bonn
75. Schmithausen, R. M., Kellner, S. R., Schulze-Geisthoevel, S. V., Hack, S., Engelhart, S., Bodenstein, I., Al-Sabti, N., Reif, M., Koerber-Irrgang, B., Harlizius, J., Hoerauf, A., Exner, M., Bierbaum, G., Petersen, B., Bekeredijian-Ding, I. (2015). Surveillance of eradication of MRSA and ESBL-E on a model pig farm. American Society For Microbiology