UBA-Studie: Wie deutsche Großstädte sich an den Klimawandel anpassen

Eine Großstadt mit Gebäuden und Bäumenzum Vergrößern anklicken
Anpassungsaktivitäten in deutschen Großstädten
Quelle: Manolofranco/pixabay.com

Jede zweite der 76 deutschen Großstädte mit mehr als 100.000 Einwohnern hat bereits eine eigene Strategie veröffentlicht, wie sie mit den Folgen des Klimawandels umzugehen plant. Viele weitere Städte erarbeiten aktuell entsprechende Strategien oder führen andere Anpassungsaktivitäten durch. Insgesamt sind damit mehr als 90 Prozent aller deutschen Großstädte im Bereich der Klimaanpassung aktiv.

Inhaltsverzeichnis

Autoren: Christian Kind, Katharina Sartison (adelphi)

Großstädte sind Innovations- und Wachstumszentren sowie Motoren der Wirtschaftsentwicklung im eigenen Land und weltweit (EEA 2016). Durch die Vielzahl an Einwohnerinnen und Einwohnern sowie die dichte Infrastruktur haben viele Risiken des anthropogenen Klimawandels, zum Beispiel Starkniederschläge, Sturmfluten oder Hitzewellen, Auswirkungen auf unterschiedliche urbane Funktionen, Infrastrukturen und Dienstleistungen in der Großstadt. Daraus entstehen beträchtliche Anpassungserfordernisse und damit verbundene Kosten (WBGU 2016). Daher ist es von großem Interesse, wie intensiv sich Großstädte in Deutschland bislang mit Folgen des Klimawandels und der Anpassung auseinandergesetzt haben. Diese Analyse ist für die weitere Gestaltung von Anpassungspolitik relevant, insbesondere wenn Förderprogramme, Weiterbildungs- und Informationsangebote weiterentwickelt werden.

Onlinerecherche zu Klimaanpassung deutscher Großstädte
Im Auftrag des Umweltbundesamtes hat adelphi im Dezember 2016 eine Recherche zum aktuellen Stand der Aktivitäten deutscher Großstädte zur ⁠Anpassung an den Klimawandel⁠ durchgeführt und dabei folgende Fragen untersucht:

  • Wie viele Großstädte haben sich in Deutschland bisher näher mit Folgen des Klimawandels auseinandergesetzt?
  • Was sind inhaltliche Schwerpunkte der vorliegenden Anpassungsstrategien?
  • Gibt es bestimmte Faktoren (zum Beispiel Größe, Lage, Verschuldungsgrad), die mit der Intensität der Auseinandersetzung mit ⁠Klimafolgen⁠ in Großstädten korrelieren?
  • Auf welche Partner oder Förderprogramme wurde bei der Erstellung der Strategien zurückgegriffen?

Wir gingen diesen Fragen mit einer Onlinerecherche nach: Im ersten Schritt suchten wir im Dezember 2016 über eine Internetsuchmaschine mit verschiedenen Kombinationen von Begriffen nach Aktivitäten jeder deutschen Großstadt zum Umgang mit Folgen des Klimawandels. Anschließend recherchierten wir weitere Daten zur Charakterisierung jeder Großstadt (zum Beispiel Einwohnerzahl oder Verschuldung) und setzten diese in Verbindung mit den Anpassungsaktivitäten der Städte. Die Onlinerecherche stellt den öffentlich zugänglichen Stand dar. Eventuell ablaufende Aktivitäten, die nicht im Internet zu finden sind, konnten hier nicht beachtet werden und eine Befragung der Verantwortlichen in den jeweiligen Städten war in dieser Studie nicht vorgesehen.

 

Entwicklung von Strategien und Aktivitäten der Anpassung in deutschen Großstädten

In der Bundesrepublik Deutschland gibt es derzeit 76 Großstädte (inklusive der Stadtstaaten) mit mehr als 100.000 Einwohnerinnen und Einwohnern. Ein Jahr nach der Verabschiedung der Deutschen ⁠Anpassungsstrategie⁠ an den ⁠Klimawandel⁠ veröffentlichten deutsche Großstädte 2009 die ersten Anpassungsstrategien. Bis zum Stichtag der Recherche 1.1.2017 haben insgesamt 38 Großstädte eine Anpassungsstrategie oder eine integrierte ⁠Klimaschutz⁠- und -anpassungsstrategie publiziert, also genau die Hälfte aller deutschen Großstädte. Weitere elf Städte erarbeiten derzeit solche Strategiedokumente. Von den vorliegenden 38 Strategiedokumenten legen 20 Strategien den zentralen Fokus auf die ⁠Anpassung an den Klimawandel⁠. In den übrigen Dokumenten wird Anpassung gleichwertig oder nachrangig mit anderen Themen behandelt, etwa im Landschaftsplan oder in Klimaschutzstrategien (siehe Abbildung 1). Insgesamt gibt es 31 weitere Großstädte, die zwar kein strategisches Dokument veröffentlicht haben, aber dennoch einzelne Anpassungsaktivitäten unternehmen. Im Rahmen dieser Recherche verstehen wir unter „Anpassungsaktivitäten“ zum Beispiel die Planung einer Anpassungsstrategie, die Beteiligung von Verwaltungsorganen an Forschungsprojekten, Workshops der Behörden zur Öffentlichkeitsarbeit oder Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern oder Unternehmen. Als Anpassungsaktivität zählt auch, wenn eine Kommune ihre ⁠Exposition⁠ oder ⁠Vulnerabilität⁠ gegenüber ⁠Klimafolgen⁠ untersucht. Fasst man Anpassungsaktivitäten und -strategien zusammen, ergibt diese Recherche, dass sich mindestens 90 Prozent der deutschen Großstädte inzwischen aktiv mit den Folgen des Klimawandels auseinandersetzen. Bis 2014 waren es erst 68 Prozent der Großstädte.

Abbildung 1 zeigt die Entwicklung der Veröffentlichung von Anpassungsstrategien (Integrierte Strategien und Anpassungsstrategien) in Großstädten seit 2009 sowie eine Prognose für 2017. Während in den meisten Jahren zwischen 2 und 4 Strategien veröffentlicht wurden, fallen die Jahre 2012 mit 12 Strategien und 2013 mit 10 Strategien deutlich auf. Für 2017 liegt die Prognose bei 11 Strategien.
Abb1:Veröffentlichte Anpassungsstrategien und integrierte Strategien seit 2009 mit Prognose für 2017

Hier wird angenommen, dass die elf identifizierten Großstädte, die, laut Online Recherche, ein Strategiedokument planen, 2017 veröffentlicht werden.

Quelle: Kind und Sartison (2016)
 

Inhaltliche Schwerpunkte der Anpassungsstrategien

Inhaltlich nimmt die Analyse bisheriger und zukünftiger Veränderungen des Klimas oder Stadtklimas und der Betroffenheit in den Strategien von Großstädten meist den größten Raum ein. Die Dokumente sind durch klassische Perspektiven der Verwaltung und (Stadt-)Planung geprägt. Dabei werden viele Strategien nach Handlungsfeldern strukturiert wie Stadtentwässerung, Verkehr, Energie, Gesundheit, Stadtgrün, ⁠Biodiversität⁠ oder Gebäude. Zu den vorrangig genutzten Instrumenten zum Umgang mit Klimaveränderungen gehören vor allem planerische Vorgaben sowie bauliche Maßnahmen, zu denen auch Begrünungsaktivitäten zählen. Die Analyse zeigt jedoch auch, dass umfassendere Ansätze, die stärker die Akteursvielfalt in Großstädten, die Kommunikation und Beteiligung sowie sanfte Instrumente berücksichtigten, weniger angewandt werden. So widmen sich beispielweise nur acht von 38 Strategien in nennenswerter Weise dem Thema der Öffentlichkeitsarbeit und Kommunikation. Über die Beteiligung von verwaltungsfremden Akteuren (etwa: Akteure aus der Zivilgesellschaft) am Strategieprozess wird nur in acht Strategien berichtet.

 

Stand der Anpassung nach Einwohnerzahl

Betrachtet man den Stand der Anpassungstätigkeiten in Bezug zur Einwohnerzahl der Städte (siehe Abbildung 2), so wird ersichtlich, dass größere Städte deutlich aktiver sind als kleinere Großstädte. Die Städte mit mehr als einer Million Einwohnerinnen und Einwohner sind bereits alle in der Anpassung an ⁠Klimafolgen⁠ tätig.

Abbildung 2 zeigt die Anpassungsaktivität und Einwohnerzahl in deutschen Großstädten. Dabei wird unterschieden in Großstädte mit veröffentlichter Anpassungsstrategie, Großstädte mit einzelnen Aktivitäten zur Anpassung und Großstädte ohne Aktivität und ohne Strategie zur Anpassung. Großstädte ab einer Million Einwohner (4) haben alle eine veröffentlichte Anpassungsstrategie. Von den 10 Großstädten mit 500.000 bis eine Million Einwohner haben 8 eine Anpassungsstrategie und 2 einzelne Aktivitäten zur Anpassung
Abbildung 2: Stand der Klimaanpassung nach Einwohnerzahl in 2016
Quelle: Kind und Sartison (2016)
 

Stand der Anpassung und Pro-Kopf Verschuldung

In der Gruppe der höchstverschuldeten Städte (mehr als 10.000 Euro Schulden Pro-Kopf im Kernhaushalt) finden sich mit Bremen (inklusive Bremerhaven), Berlin und Hamburg drei Stadtstaaten, unter denen drei von vieren trotz hoher Verschuldung bereits ein Strategiedokument für den Umgang mit ⁠Klimafolgen⁠ erarbeitet haben. Städte mit einer mittleren Pro-Kopf Verschuldung (2.000 bis 10.000 Euro pro Kopf) werden ebenfalls aktiver im Bereich Klimaanpassung. Während 2014 erst 73 Prozent der Städte mit diesem Verschuldungsgrad Anpassungsaktivitäten vorweisen konnten, sind es 2016 bereits 92 Prozent. So lässt die Anzahl der Strategien darauf schließen, dass trotz einer hohen Pro-Kopf-Verschuldung des Kernhaushaltes zunehmend Klimaanpassungsaktivitäten oder -strategien entwickelt werden und die Anpassung an die Folgen des Klimawandels nicht immer eine Frage der Finanzierung, sondern als eine notwendige kommunale Aufgabe gesehen wird.

 

Stand der Anpassung in den alten und neuen Bundesländern

In den neuen Bundesländern befinden sich zehn der 76 Großstädte Deutschlands (siehe Abbildung 3). Hier lässt sich beobachten, dass mittlerweile alle diese Städte Anpassungsaktivitäten unternehmen und neun davon bereits ein Strategiedokument veröffentlicht haben. Zumindest auf der Ebene der Großstädte steht dieser Befund in Widerspruch zu der von Huschit et al. (2014: 17) aufgestellten These, dass in den neuen Bundesländern unter anderem aufgrund von Schrumpfung und angespannten Haushalten Anpassung gegenüber anderen Problemen nachrangig behandelt wird. In den alten Bundesländern führen circa 90 Prozent der dort angesiedelten Großstädte bis dato Anpassungsaktivitäten durch.

Abbildung 3 zeigt die Anpassungsaktivität deutscher Großstädte im Vergleich zwischen alten und neuen Bundesländern. In den alten Bundesländern haben 29 Großstädte eine veröffentlichte Anpassungsstrategie (in den neuen Bundesländern sind es neun). Einzelne Anpassungsaktivitäten finden in den alten Bundesländern in 30 Großstädten statt, in den neuen Bundesländern in einer. Und während in den neuen Bundesländern bereits alle der 10 Städte zur Anpassung tätig sind, sind in den alten Bundesländern 7 von 66 noch
Abbildung 3: Anpassungsaktivitäten und Lage der deutschen Großstädte
Quelle: Kind und Sartison (2016)
 

Finanzierungsquellen und externe Unterstützung

Unter den 38 Anpassungsstrategien werden in 13 Dokumenten keine Angaben zur Finanzierung des Anpassungsprozesses beziehungsweise der Strategieerstellung gemacht (siehe Abbildung 4). Hier kann davon ausgegangen werden, dass die Strategien ausschließlich mit eigenen Haushaltsmitteln erstellt wurden. Die übrigen Strategien wurden finanziert über:

EU-Mittel: siebtes EU Framework Programm (EU-FP7)

Bundesmittel:

  • „Nationale Klimaschutzinitiative“ des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (⁠BMUB⁠)
  • „Experimenteller Wohnungs- und Städtebau“ (ExWoSt) des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (BMVBS) und des Bundesinstituts für Bau-, Stadt-, und Raumforschung (BBSR)
  • „Klimawandel in Regionen zukunftsfähig gestalten“ (KLIMZUG) vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (⁠BMBF⁠)

Landesmittel (Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz NRW)

Zur Erstellung von Anpassungsstrategien holen sich Städte meist Expertise von Partnern aus der Region ein: Bei circa 73 Prozent der Strategiedokumente wurde die jeweilige Stadtverwaltung durch mindestens einen externen Partner unterstützt. Meist waren dies Universitäten oder Forschungseinrichtungen (in zehn Fällen) und/oder Planungs-, Ingenieurs- beziehungsweise Architekturbüros (in zwölf Fällen) oder beides (in sechs Fällen).

Abbildung 4 zeigt die Finanzierungsquellen der Anpassungsstrategien in Deutschland in 2016. 13 Strategien wurden vom BMUB finanziert, 6 vom BMVBS, 4 vom BMBF, jeweils eine von der EU und LANUV. Die restlichen 13 sind eigenfinanziert.
Abbildung 4: Finanzierungsquellen der Anpassungsstrategien in Großstädten Deutschlands in 2016
Quelle: Kind und Sartison (2016)
 

Fazit

Die Ergebnisse unserer Onlinerecherche machen deutlich, dass deutsche Großstädte die Risiken des Klimawandels wahrnehmen und sich entsprechend anpassen. Das ist auch trotz angespannter Haushaltslage möglich. Der Anteil der aktiven Großstädte im Bereich der Klimaanpassung ist von 68 im Jahr 2014 auf 90 Prozent in 2016 gestiegen und unsere Recherche zeigt, dass weitere Kommunen Aktivitäten und Strategien für das Jahr 2017 planen. Großstädte, die noch nicht aktiv sind, können sich beispielweise über das Onlinetool „Klimalotse“ vom Umweltbundesamt zu der Erstellung und Durchführung von Maßnahmen und Strategien zur Klimaanpassung informieren (⁠UBA⁠ 2016). Dieser hilft nicht nur Großstädten, sondern auch kleinen und mittleren Kommunen sich zukünftig an die Folgen des Klimawandels anzupassen.

 

Literatur

European Environment Agency (2016): Urban adaptation to climate change in Europe 2016. Transforming Cities in a changing climate. Kopenhagen: EEA. Zuletzt eingesehen am 30.11.2016 unter: http://www.eea.europa.eu/publications/urban-adaptation-2016.
Huschit, K.; Schwabedal, F.; Ptak, D.; Stender, C. (2014): Evaluierung des Förderprogramms „Maßnahmen zur Anpassung an den Klimawandel“ – Auswertung der Statistik und des Vernetzungstreffens sowie weitere Empfehlungen für das Förderprogramm. Berlin: Projektträger Jülich. Zuletzt eingesehen am 30.11.2016 unter: https://www.ptj.de/lw_resource/datapool/_items/item_6183/das_bericht.pdf.
Umweltbundesamt (⁠UBA⁠) (2016): Klimalotse. Zuletzt eingesehen am 30.11.2016 unter: https://www.umweltbundesamt.de/themen/klima-energie/klimafolgen-anpassung/werkzeuge-der-anpassung/klimalotse.
Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) (2016): Der Umzug der Menschheit: Die transformative Kraft der Städte. Zusammenfassung. Berlin: WBGU. Zuletzt eingesehen am 30.11.2016 unter: http://www.wbgu.de/fileadmin/templates/dateien/veroeffentlichungen/hauptgutachten/hg2016/Kurzfassung_Urbanisierung_DT_1.pdf.

Webseiten der oben erwähnten Förderprogramme
Bundesministerium für Bildung und Forschung (⁠BMBF⁠): ⁠Klimawandel⁠ in Regionen zukunftsfähig gestalten (KLIMZUG). Zuletzt eingesehen am 30.11.2016 unter: http://www.klimzug.de/.
Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (⁠BMUB⁠): Nationale Klimaschutzinitiative. Projektträger Jülich. Zuletzt eingesehen am 30.11.2016 unter: https://www.ptj.de/klimaschutzinitiative.
Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (BMVBS) & Bundesinstitut für Bau-, Stadt-, und Raumforschung (BBSR): Experimenteller Wohnungs- und Städtebau (ExWoSt). Zuletzt eingesehen am 30.11.2016 unter: http://www.bbsr.bund.de/BBSR/DE/FP/ExWoSt/exwost_node.html.
Europäische Kommission: Sustainable Urban Development Planner for Climate Change ⁠Adaptation⁠ (SUDPLAN). Seventh Framework Programme (EU-FP7). Zuletzt eingesehen am 30.11.2016 unter: http://sudplan.eu/.
Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz (LANUV) NRW: Klimaanpassung in NRW. Zuletzt eingesehen am 30.11.2016 unter: https://www.umwelt.nrw.de/klima-energie/klimawandel-und-anpassung/klimaanpassung-in-nrw/.

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