Optisch perfektes Obst und Gemüse belastet Umwelt und Klima

Umweltbundesamt und Verbraucherzentralen fordern vom Handel mehr Natürlichkeit für Äpfel, Möhren und Co.

Alle O-Töne können Sie als mp3-Datei herunterladen und für Medienberichte verwenden. Interview: 3:49 Minuten

Anmoderationsvorschlag: Perfekt gerade Möhren, Kohlrabi mit wunderschönen großen grünen Blättern oder große und komplett identische Hochglanzäpfel: Der Handel bietet dem Kunden gern makelloses und einheitliches Obst und Gemüse an. Weil das die Umwelt und ⁠Klima⁠ aber erheblich belastet, haben Umweltbundesamt (⁠UBA⁠) und Verbraucherzentralen den Handel jetzt gemeinsam dazu aufgefordert, in Zukunft auf mehr Natürlichkeit in den Obst- und Gemüseabteilungen zu setzten. Anne Biewald vom UBA verrät Ihnen mehr dazu, hallo.

Begrüßung: "Hallo!"

1. Frau Biewald, warum gelangt Obst und Gemüse mit sehr verschiedenen Größen und Formen oder optischen Makeln meist nicht in den Handel?
O-Ton 1 (Dr. Anne Biewald, 46 Sek.): "Der Lebensmitteleinzelhandel hat an Obst und Gemüse sehr hohe Anforderungen, die oft weit über die gesetzlichen Vorgaben hinausgehen. Ein Beispiel dafür ist Brokkoli, der muss mindestens ein halbes Kilo wiegen, oder Kohlrabi, der einen Umfang von zehn bis zwölf Zentimeter hat. Solche Vorgaben gibt es aber auch für Obst: Da dürfen Äpfel zum Beispiel gar keine Schalenfehler haben. Bei Verkauf von Obst und Gemüse in allen gesetzlich definierten Handelsklassen, also auch in Klasse II, kann man aber solches Obst und Gemüse in jeder Größe und in jeder Form und auch mit optischen Makeln ganz ohne Probleme verkaufen. Für viele Obst und Gemüsesorten gilt zudem nur die allgemeine Vermarktungsnorm, bei der es überhaupt gar keine Klasseneinteilung gibt. Hier ist es nur wichtig, dass Obst und Gemüse gesund und frei von gesundheitsschädlichen Mängeln ist."

2. Dann erklären Sie uns doch bitte mal, wieso optisch perfektes Obst und Gemüse sowie Gemüse mit nicht verzehrfähigen Blättern eine Belastung für Umwelt und Klima sind!
O-Ton 2 (Dr. Anne Biewald, 45 Sek.): "Also das ist so: Damit das Obst und das Gemüse so frisch und makellos aussehen kann, wie wir es kennen und dann auch noch die geforderten Größen erreichen kann, müssen sehr oft zusätzlich Pflanzenschutz und Düngemittel eingesetzt werden. Für die Blätter an Kohlrabi und Radieschen zum Beispiel, die ja wirklich nur der Optik dienen und häufig nicht verzehrt werden, müssen dann Schutzmittel eingesetzt werden, um eigentlich unschädliche Schädlinge der Blätter zu bekämpfen. Und dann kommt dazu: Wenn dieses Obst und Gemüse den Handelsvorgaben nicht entspricht, wird es den Erzeugerbetrieben nicht abgenommen. Und im allerbesten Fall wird es dann zu Saft weiterverarbeitet oder Möhren und Kartoffeln werden verfüttert. Ganz häufig wird dieses Gemüse und dieses Obst aber einfach nur untergepflügt oder anderweitig entsorgt - und hier entstehen dann unnötig Lebensmittelverluste."

3. Was haben die Verbraucherzentralen rausgefunden?
O-Ton 3 (Dr. Anne Biewald, 23 Sek.): "Die Verbraucherzentrale haben in einem Marktcheck in 25 Supermärkten untersucht, ob der Handel wirklich so strenge Vorgaben hat. Und dabei haben sie herausgefunden, dass Kohlrabi und Radieschen fast immer mit Blättern verkauft werden und dass nur ein Viertel der Äpfel und nur 18 Prozent der Möhren in Klasse II, also in der Klasse, die auch verschiedene Größen und optische Makel erlaubt, angeboten wurden."

4. Was empfehlen Umweltbundesamt und Verbraucherzentralen dem Handel konkret?
O-Ton 4 (Dr. Anne Biewald, 34 Sek.) "Wir haben drei Forderungen entwickelt. Zuerst empfehlen wir dem Handel, dass bei Obst und Gemüse in Zukunft auf Vorgaben in Bezug
auf Größe Gewicht oder Aussehen verzichtet werden soll und das Obst und Gemüse mehr
so angeboten werden soll, wie es eigentlich gewachsen ist. Und hier sollten insbesondere
die Spielräume der Vermarktungsnormen ausgeschöpft werden. Also Obst und Gemüse soll nicht nur in Klasse I oder extra verkauft werden, sondern vorwiegend in Klasse II. Unsere zweite Empfehlung bezieht sich auf die Vermarktung nach Gewicht statt nach Stück."

5. Was ist damit konkret gemeint?
O-Ton 5 (Dr. Anne Biewald, 39 Sek.): "Aktuell gibt es eine Reihe von Gemüsearten, die nach Stück verkauft werden, Kohlrabi oder Blumenkohl zum Beispiel. Und das bedeutet, dass im Handel dann oft einheitliche Größen von Kohlrabi oder Blumenkohl liegen, weil wenn da sehr kleine Gemüse lägen, dann würden die Verbraucherinnen und Verbraucher das wahrscheinlich nicht kaufen. Würden Blumenkohl Kohlrabi und Co. aber jetzt nach Gewicht verkauft und nicht nach Stück, könnte der Handel da ganz einfach seine Vorgaben auf die Größe lockern weil dann die Verbraucherinnen und Verbraucher natürlich das Gemüse in jeder Größe kaufen würden. Und unsere letzte Empfehlung bezieht sich auf die nicht verzehrbaren Blätter: Hier empfehlen wir natürlich, dass Gemüse, wie Kohlrabi
Radieschen oder ein Bund Möhren, ohne die Blätter verkauft wird."

6. Welche Vorteile hätte das und wer würde alles davon profitieren?
O-Ton 6 (Dr. Anne Biewald, 59 Sek.): "Also, von der Senkung der strengen Vorgaben des Handels würden tatsächlich nicht nur Klima und Umwelt profitieren, sondern Verbraucherinnen und Verbraucher, die Erzeugerbetriebe - und zu guter Letzt auch der Handel. Für Verbraucherinnen und Verbraucher wäre es zum Beispiel vorteilhaft, dass Kohlrabi und anderes Gemüse, das ohne verzehrfähige Blätter verkauft würde, sich länger hält, weil über die großen Blattoberflächen ja sehr viel Wasser verdunstet wird. Außerdem wäre es vorteilhaft, wenn es im Handel sehr verschiedene Größen gibt: Dann könnten Verbraucherinnen und Verbraucher viel eher wirklich nach Bedarf einkaufen, also auch mal einen ganz kleinen Blumenkohl. Das hätte auch noch den Zusatzeffekt, dass Lebensmittelabfälle im Haushalt reduziert werden. Für Erzeugerbetriebe wäre es auch sehr vorteilhaft, wenn die Vorgaben sinken, denn sie könnten ihren Einsatz an Pflanzenschutz und Düngemittel reduzieren und einen größeren Anteil ihrer Produkte an den Handel verkaufen. Und zu guter Letzt wäre so eine Senkung auch vorteilhaft für den Handel, denn er könnte sein Image in Bezug auf Umwelt und Klima deutlich verbessern."

7. Welche Rollen spielen wir als Kunden dabei?
O-Ton 7 (Dr. Anne Biewald, 31 Sek.): "Die Verbraucherinnen und Verbraucher spielen natürlich eine wichtige Rolle, denn der Handel kann seine Vorgaben nur dann dauerhaft senken, wenn wir dieses neue Angebot auch wirklich annehmen. Das bedeutet also ganz konkret, dass man auch den Kohlrabi ohne Blätter kaufen muss und sich in den Einkaufskorb neben die geraden Möhren auch mal eine krumme Möhre legt. Und das wiederum ist nur möglich, wenn die Verbraucherinnen und Verbraucher auch wirklich gut informiert sind - wenn also zum Beispiel verständliche und leicht zugänglich Informationen im Kundenmagazin erhältlich sind oder direkt beim Einkaufen."
Anne Biewald vom Umweltbundesamt (UBA) mit Infos darüber, warum wir in Zukunft aus Umwelt- und Klimaschutzgründen mehr unperfekt aussehendes Obst und Gemüse einkaufen sollten. Vielen Dank für das Gespräch!

Verabschiedung: "Vielen Dank!"

Abmoderationsvorschlag: Wenn Sie das alles noch mal in Ruhe nachlesen möchten: Informationen zu den Handelsvorgaben, der Umweltrelevanz und Lösungsmöglichkeiten finden Sie in der UBA-Broschüre "Mehr Natürlichkeit im Obst- und Gemüseregal - gut für Umwelt und Klima". Die können Sie sich ab sofort auf www.umweltbundesamt.de unter dem Reiter "Publikationen" downloaden.

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Optisch perfektes Obst und Gemüse belastet Umwelt und Klima

Quelle:
point of listening GmbH
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Schlagworte:
 Obst und Gemüse  Landwirtschaft  Lebensmittel  Lebensmittelverschwendung