Gender Mainstreaming im Umweltschutz

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Geschlechterunterschiede spielen auch beim Umweltschutz eine Rolle.
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Zwischen Männern und Frauen gibt es auch beim Thema Umweltschutz Unterschiede, etwa, was die Wirkung von Schadstoffen im Körper angeht oder die Art, im Alltag mobil zu sein. Diese Unterschiede mit einzubeziehen, macht Umweltforschung, Politikberatung und Öffentlichkeitsarbeit zielgruppenspezifischer und effektiver. Das UBA integriert Gender Mainstreaming seit 2002 in seine Arbeit.

Inhaltsverzeichnis

 

Rechtlicher Hintergrund

Im Jahr 1995 wurde Gender ⁠Mainstreaming⁠ (GM) in der „Pekinger Erklärung und Aktionsplattform“ auf der 4. Weltfrauenkonferenz der Vereinten Nationen als Strategie verankert, um Gleichstellungsaspekte in alle Bereiche zu integrieren. Ziel ist, dass Geschlechteraspekte immer mitgedacht werden und die tatsächliche Gleichstellung der Geschlechter durchgesetzt wird. Mit dem Vertrag von Amsterdam wurde GM 1997 in das Europarecht aufgenommen und 2008 in den Vertrag von Lissabon überführt (Artikel 8 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union, AEUV). In Deutschland ist GM seit einem Kabinettsbeschluss von 1999 Leitprinzip. Dieser Beschluss führte 2001 zur gesetzlichen Verankerung von GM im Bundesgleichstellungsgesetz (heute § 4 Abs. 1 BGleiG) und zur Aufnahme in die Gemeinsame Geschäftsordnung der Bundesministerien (§ 2 GGO). Seitdem ist GM verpflichtend auch für die Bundesverwaltung und Ressortforschungseinrichtungen des Bundes, wie das ⁠UBA⁠, und soll leitend sein für Regierungshandeln (vgl. Gleichstellungsstrategie der Bundesregierung 2020, S. 31 und Bericht zum Umsetzungsstand 2021).

Mittlerweile sind Gender-Belange und das Ziel, zur Geschlechtergerechtigkeit im oder durch Umweltschutz beizutragen, auch in verschieden internationalen Umweltabkommen der Vereinten Nationen enthalten. Die Klimarahmenkonvention (United Nations Framework Convention on Climate Change, ⁠UNFCCC⁠) hat sich einen Gender Action Plan gegeben. Weitere Übereinkommen der Internationalen Gemeinschaft, die sich einen Gender Action Plan gegeben haben, sind:

  • Stockholm Konvention (⁠Stockholmer Übereinkommen⁠ über persistente organische Schadstoffe), Baseler Konvention (Basler Übereinkommen über die Kontrolle der grenzüberschreitenden Verbringung gefährlicher Abfälle und ihrer Entsorgung) und Rotterdamer Übereinkommen (Rotterdamer Übereinkommen über das Verfahren der vorherigen Zustimmung nach Inkenntnissetzung für bestimmte gefährliche Chemikalien sowie ⁠Pestizide⁠ im internationalen Handel) (gemeinsamer Gender Action Plan)
  • Biodiversitätskonvention (Übereinkommen über die biologische Vielfalt)
  • Wüstenkonvention (Übereinkommen der Vereinten Nationen zur Bekämpfung der Wüstenbildung in den von ⁠Dürre⁠ und/oder Wüstenbildung schwer betroffenen Ländern, insbesondere in Afrika)

Die Minamata-Konvention zur Eindämmung von Quecksilber und die Ramsar-Konvention zum Schutz von Lebensräumen von Wasser- und Wattvögeln haben Resolutionen angenommen, in denen Frauen als vulnerable Gruppe und Genderaspekte Beachtung finden. Über allem steht das Querschnittsziel 5 „Geschlechtergleichstellung erreichen und alle Frauen und Mädchen zur Selbstbestimmung zu befähigen“ der internationalen Nachhaltigkeitsziele (Sustainable Development Goals, ⁠UN⁠), das im Rahmen der Agenda 2030 als eigenständiges Ziel verfolgt und gleichzeitig in alle anderen Ziele hinein wirken soll, was den Gender Mainstreaming Ansatz aufgreift.

Gemäß Unionsrecht (Art. 8 AEUV) ist die Definition von Gender Mainstreaming, auf die sich auch das UBA stützt, bei allen Tätigkeiten darauf hinzuwirken, Ungleichheiten zu beseitigen und die Gleichstellung von Männern und Frauen zu fördern. GM setzt dabei auf der höchsten Ebene an und soll als Top-Down-Strategie und Querschnittsthema durch die gesamte Organisation durchdekliniert werden. Als Querschnittsaufgabe bedeutet dies, die Kategorie Geschlecht in die Ziele, Prozesse und Strukturen von Organisationen zu integrieren sowie von der Planung bis zur Evaluation von politischen Maßnahmen die Geschlechteraspekte und Geschlechterverhältnisse zu berücksichtigen. Alle Aufgabenbereiche und Entscheidungen sollten in Hinblick auf die Auswirkungen auf die verschiedenen Lebenssituationen der Geschlechter untersucht werden, sodass ggf. bestehende Differenzen zwischen ihnen (an-)erkannt und einbezogen werden. Denn alle Bereiche sind von der Kategorie Geschlecht durchzogen und die Auswirkungen von Entscheidungen, Daten, Forschung, Strukturierung von Prozessen oder Institutionen etc. auf die Geschlechter können unterschiedlich sein. Eine geschlechterdifferenzierte Sichtweise ist daher in allen Politikbereichen zu entwickeln, auch wenn einige auf den ersten Blick als „geschlechtsneutral“ erscheinen mögen.

Auch das Bundesumweltministerium hat sich zu GM als leitendem Grundprinzip bekannt und will im Rahmen der Bundesgleichstellungsstrategie Geschlechterperspektiven und -wirkungen im Gesamtressort verstärkt berücksichtigen (Gleichstellungsstrategie der Bundesregierung 2020, S. 116). Das Bundesumweltministerium will mit „einer ausdifferenzierten Umweltpolitik zu einer größeren sozialen Gerechtigkeit für alle Geschlechter“ beitragen, indem „gendersensible Maßnahmen zur Anpassung an und zur Minderung des Klimawandels entwickelt werden“ (ebd.).

Das UBA hat GM seit dem wegweisenden Pilotforschungsprojekt „Geschlechterverhältnisse und Nachhaltigkeit“ (2000-2004) aufgegriffen und über mittlerweile drei Implementierungskonzepte (2010-2015; 2016-2019; 2020-2023) vorangetrieben. Seit 2008 wurde zur Umsetzung und Kompetenzbildung eine Anlaufstelle für Gender Mainstreaming im UBA eingerichtet, die bei der Gleichstellungsbeauftragten angesiedelt ist. Der*die Stelleninhaber*in ist als wissenschaftliche*r Mitarbeiter*in qualifiziert, Gender im Querschnitt – einschließlich der UBA Forschung – zu verankern, Schulungen zu konzipieren und zu geben und UBA-Mitarbeitende zu allen Genderfragen (inkl. geschlechtergerechter Sprache) zu beraten.

 

Warum macht Gender Mainstreaming den Umweltschutz besser?

Mit Beachtung von GM in der Umweltforschung kann ein Beitrag zu Geschlechtergerechtigkeit und Gleichstellung erreicht werden, denn eine geschlechtergerecht ausgestaltete Umweltforschung und Politikberatung ist zielgruppenspezifischer und effektiver. Es kann mit dem Einbezug des biologischen Geschlechts (engl. „Sex“) und des sozialen Geschlechts (engl. „Gender“) eine Perspektivenerweiterung erfolgen. Aspekte, die ansonsten unsichtbar geblieben wären, rücken ins Blickfeld. Zum Beispiel ergeben sich beim Stoffwechsel, im Hormonsystem oder Körperbau Unterschiede zwischen den biologischen Geschlechtern, die die Wirkungen von toxischen Stoffen beeinflussen können. Doch auch Verhalten und das soziale Geschlecht spielen bei Expositionsfragen eine Rolle: Wer ist welcher Chemikalie (z.B. in Putz- und Reinigungsmitteln oder Holzschutzmitteln) wie lange in welcher Dosierung ausgesetzt? Und wie kann der Körper diese gegebenenfalls wieder abbauen? Hier gibt es wiederum biologische Unterschiede: Zum Beispiel können Frauen auch durch Menstruationsblut und durch Stillen Schadstoffe aus dem Körper wieder abgeben.

Ein weiteres Beispiel: Je nachdem wie die Rollen und gesellschaftlichen Erwartungshaltungen an Maskulinität(-en) bzw. Femininität(-en) definiert und selber angenommen werden, kann das in unterschiedlichen Umwelteinstellungen münden. So ist ein inzwischen über Jahrzehnte konstanter Befund in der UBA-Umweltbewusstseinsstudie, dass Frauen über alle Milieus hinweg im Schnitt umweltbewusster sind als Männer und dem sozial-ökologischen Wandel einen höheren Stellenwert einräumen. Beispielsweise befürworten weibliche Befragte mit 90 Prozent signifikant häufiger als männliche (82 Prozent), dass staatliche Beihilfen ausschließlich für klima- und umweltgerechte landwirtschaftliche Methoden gezahlt werden sollten. Diese Unterschiede in den Einstellungen übersetzen sich in eine höhere Achtsamkeit für Umweltschutz und sind empirisch nachweisbar bei Umwelt- sowie Konsumverhalten. So bemühen sich gemäß einer UBA-Forschung zu Abfallvermeidung Frauen eher darum, unverpackte Lebensmittel zu kaufen und sie finden sich in Paarhaushalten und Familien stärker in der „klassischen“ Rollenverteilung wieder, für Lebensmitteleinkauf und Recycling verantwortlich zu sein. Aus diversen Ressourcenstudien wissen wir, dass Geschlecht einer der drei signifikantesten Faktoren des Pro-Kopf-Gesamtenergieverbrauchs ist: Weniger Wohlhabende, in Ostdeutschland Lebende und weibliche Personen verbrauchen im Vergleich am wenigsten Energie.

Ein anderes Projektbeispiel stellt die 5. Umweltstudie zur Gesundheit (GerES V) dar, bei der herausgefunden wurde, dass es toxikologische Geschlechteraspekte gibt, da 3-14-jährige Jungen höher mit Arsen, Blei, Quecksilber und polychlorierten Biphenylen (⁠PCB⁠) belastet sind, hingegen Mädchen gleichen Alters mit verschiedenen Bioziden.

Diese Beispiele verdeutlichen: GM ist in der Umwelt- und umweltbezogenen Gesundheitsforschung relevant, da bei einer Berücksichtigung der unterschiedlichen Anforderungen und Bedürfnisse der Menschen die Umweltpolitik zielgruppenspezifischer gestaltet werden kann. Hierdurch können wiederum ein Mehrwert und höherer Wirkungsgrad entfaltet werden. Wenn die Umweltpolitik auf alle Geschlechter ausgeweitet und ausdifferenziert wird, schafft das realitätsnähere Problemsichten und lösungsoptimierende Herangehensweisen, was für größere soziale und Umweltgerechtigkeit sorgt.

 

Umsetzung von Gender Mainstreamig im UBA

GM im ⁠UBA⁠ startete 2002 mit dem Pilot-Forschungsprojekt „Geschlechterverhältnisse und Nachhaltigkeit“. In diesem Projekt wurde untersucht, wie Geschlechtergerechtigkeit und Umweltpolitik zusammenwirken und sich gegenseitig stärken können. Im Jahr 2003 hat die Amtsleitung des UBA beschlossen, GM am UBA einzuführen. Seit 2004 hat sich das UBA auf den Weg gemacht, Genderaspekte in allen Ebenen, Bereichen und Prozessen zu integrieren. Dafür wurde eine Anlaufstelle Gender ⁠Mainstreaming⁠ bei der Gleichstellungsbeauftragten geschaffen, welche für die Facharbeit sowie die Personal- und Organisationsentwicklung zuständig ist.

Das erste Implementierungskonzept von GM wurde nach dem Beschluss der UBA-Amtsleitung von 2010 umgesetzt und verfolgte das Ziel, GM in die Personal-, Organisationsentwicklung und Forschung / Politikberatung / Information und Öffentlichkeitsarbeit aufzunehmen.

2015 wurde das zweite Implementierungskonzept erstellt, in dem erstmals eine gesteuerte Umsetzung von GM mithilfe von sogenannten SMART-Zielen (spezifisch, messbar, attraktiv, realistisch, terminiert) erreicht werden sollte.
Zu den Personalzielen gehörte beispielsweise die Durchführung von Fortbildungen zum Thema Gender Mainstreaming für die UBA-Mitarbeitenden, um die Gender-Kompetenz auf allen Ebenen aufzubauen.
Um GM in der Organisation mit Leben zu füllen, sollte es eine gleichstellungsfördernde Gestaltung der Strategie, Struktur und Kultur des Hauses geben. Auf der Ebene der Facharbeit sollten Genderaspekte integriert werden, sodass diese bei Forschungsprojekten, Politikberatung und der Öffentlichkeitsarbeit Anwendung finden. Produkte und Dienstleistungen sollten auf ihre Genderaspekte überprüft und verbessert werden, damit die Gleichbehandlung und Chancengleichheit gefördert werden kann.

Eine Überprüfung der GM-Strategie des UBA fand im Jahr 2019 sowohl extern durch eine GM-Vergleichsstudie der Heinrich-Böll-Stiftung sowie eine interne Evaluierung der SMART-Ziele statt. Dem UBA wurde bei der externen Evaluierung bescheinigt, insgesamt auf einem sehr guten Weg zur Umsetzung von Gender Mainstreaming zu sein. Bei der internen Evaluierung wurden von den acht SMART-Zielen vier voll, eines teilweise und drei nicht erfüllt, was ein insgesamt positives, aber verbesserungswürdiges Bild ergibt.

Das dritte Konzept zur Implementierung von GM wurde auf Basis dieser Evaluierung weiterentwickelt und in den Gleichstellungsplan von 2020-2023 integriert, der nunmehr auch als Steuerungsinstrument für GM benutzt wird. So ist sichergestellt, dass GM dauerhaft verankert ist, im Vierjahresturnus mit den anderen Zielen des Gleichstellungsplans evaluiert und eine Neuausrichtung bzw. Nachsteuerung ermöglicht wird. Aktuell steht beim UBA im Mittelpunkt, ein Multiplikator*innen-System zu etablieren. Dies hat zum Ziel, dass neben der Anlaufstelle Gender Mainstreaming pro Abteilung eine Person vorhanden ist, die Gender- mit Fachkompetenz verbindet, um Forschungsvorhaben und Politikberatung geschlechtergerechter zu gestalten.

 

Beispiele für genderfokussierte Umweltforschung

Neben der Integration von Genderaspekten in die Forschung hat das ⁠UBA⁠ Projekte durchgeführt, bei denen GM in der Umweltforschung fokussiert bearbeitet wurde:

Im Forschungsprojekt „Interdependente Genderaspekte der Klimapolitik“ wurde evaluiert, wie mit Gendergerechtigkeit ein Beitrag zu einer erfolgreichen Klimapolitik geleistet werden kann. In der Portfolioanalyse des Projekts wurde die Literatur zu Genderaspekten in klimapolitischen Handlungsfeldern zusammengefasst und ausgewertet. Im Abschlussbericht „Gendergerechtigkeit als Beitrag zu einer erfolgreichen Klimapolitik: Wirkungsanalyse, Interdependenzen mit anderen sozialen Kategorien, methodische Aspekte und Gestaltungsoptionen“ werden Wirkweisen und Chancen zur Verbesserung von Geschlechtergerechtigkeit aufgezeigt. Außerdem hat das interdisziplinäre Forschungsteam bestehende Programme auf ihre Genderrelevanz hin analysiert und es gibt konkrete Politikempfehlungen, etwa zum Klimaschutzgesetz und Gender-Aktionsplänen. Wichtige Erkenntnisse ergeben sich auch für Methoden, Daten und Forschungsbedarfe. Schließlich werden Empfehlungen zu Finanzierungs- und Förderaspekten sowie Wissensverbreitung und Kompetenzstärkung gemacht und ein an den Klimabereich angepasstes und im Projektverlauf getestetes Instrument zur gleichstellungsorientierten Folgenabschätzung (Gender Impact Assessment) vorgestellt.

Um Forschungsbedarfe zu identifizieren (Vorlaufforschung) hat das Umweltbundesamt im Forschungsprojekt „Interdependente Genderaspekte der Bedürfnisfelder Mobilität, Konsum, Ernährung und Wohnen als Grundlage des urbanen Umweltschutzes“ die Potenziale der Kategorie Geschlecht für eine zielgruppenspezifischere, effektivere urbane Umweltforschung ausgelotet und zukünftige Forschungsbedarfe benannt. Der Projektbericht stellt den Forschungsstand zur Bedeutung von Geschlecht und Geschlechterverhältnissen für eine umweltschonende Gestaltung der Bedürfnisfelder Wohnen, Mobilität, Bekleidung und Ernährung sowie zu den Querschnittsthemen gemeinschaftlicher Konsum und Digitalisierung dar. Er formuliert neue Forschungsfragen und -felder für den urbanen Umweltschutz auf Basis der vorgefundenen rollenspezifischen Zuständigkeiten und Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern. Zum Beispiel werden die ungleiche Verteilung von Care-Arbeit und Einkommen oder geschlechtsspezifische Konsum- und Ernährungspraktiken angesprochen.

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