AEGL - Störfallbeurteilungswerte: Organisation und Geschichte

Wie entstehen AEGL-Werte?

Auf die Initiative des Umweltbundesamtes hin beschäftigt sich seit 1993 die deutsche Störfallkommission (2005 aufgegangen in der Kommission für Anlagensicherheit) mit der Thematik von Störfall-Konzentrationsleitwerten. In den USA wurden im gleichen Jahr Richtlinien herausgegeben, die zu den AEGL-Werten führten (mehr).

National wurde 1999 in Deutschland eine Toxikologie-Expertengruppe der damaligen Störfallkommission gegründet, die toxikologisch begründete AEGL-Werte empfiehlt (mehr zum nationalen Abstimmungsprozess).

International erfolgt eine enge Zusammenarbeit mit den USA, wo AEGL-Werte - für die USA verbindlich - festgelegt werden (mehr zum Abstimmungsprozess in den USA). Die Übernahme der in den USA beschlossensen Werte in Deutschland ist nicht verbindlich und kann Korrekturen beinhalten.

Innerhalb der ⁠OECD⁠ gibt es ähnliche Aktivitäten vor allem in den Niederlanden und in Frankreich.

Die Geschichte der AEGL-Werte

In Deutschland wurden erste Aktivitäten zu Störfall-Konzentrationsleitwerten Ende der 80er und Anfang der 90er -Jahre entwickelt:

  • Etwa 1990 entstand ein Konzept des Verbands der Chemischen Industrie zur Festlegung von Störfallbeurteilungswerten (unveröffentlicht).
  • 1991 veröffentlichte der Verband der europäischen Chemischen Industrie (ECETOC) eine entsprechende Methodik.
  • Seit 1993 engagierte sich die damalige Störfallkommission (nunmehr Kommission für Anlagensicherheit) in der Thematik, brachte 1996 eine Dokumentation zu entsprechenden internationalen Werten heraus und entwickelte zunächst Entwurfswerte nach dem Konzept der ERPG-Werte (siehe unten).
  • Das Umweltbundesamt entwickelte zusammen mit den Bundesländern 1994 eine Liste mit prioritären Substanzen zur Störfallverordnung, für die wegen ihrer Störfallrelevanz Beurteilungskriterien zu erarbeiten seien.
  • Im Auftrag des Bundesamtes für Zivilschutz wurden 1995/96 von der TU München sogenannte „Einsatztoleranzwerte“ abgeleitet.
  • Das Umweltbundesamt beauftragte 1998 das Forschungs- und Beratungsinstitut Gefahrstoffe (FoBiG) in Freiburg mit der Entwicklung von AEGL-Werten in internationaler Abstimmung, nachdem auch die damalige Störfallkommission dieses Konzept übernommen hatte und die Toxikologie-Expertengruppe ins Leben gerufen wurde.
  • Weitere Substanzen wurden im Rahmen eines Folgeprojektes duch FoBiG sowie Dr. Voß/Dr. Rosner bearbeitet.

In den USA wurde bereits Anfang der 70er Jahre Überlegungen von 1944 aufgegriffen und mündeten in ersten Störfallreferenzwerten. 1987 wurde das ”Emergency Response Planning Guideline Committee” gegründet, das ERPG-Werte entwickelte, wie sie auch heute in den USA und international noch eine Rolle spielen. 1993 veröffentlichte der National Research Council einen Bericht mit dem Titel: ”Guidelines for Developing Community Emergency Exposure Levels for Hazardous Substances”. Aus den dort dokumentierten allgemeinen Grundzügen einer Methodik und den Erfahrungen mit ERPG-Werten wurde das Konzept der AEGL-Werte entwickelt. Es ist geplant in den nächsten 10 Jahren für ca. 400 bis 500 Substanzen AEGL-Werte bereitzustellen.

Auch die ⁠OECD⁠ engagierte sich mit dem ”Chemical Accidents Programme” auf Basis zweier Sitzungen in Paris (27. und 29. Joint Meeting of the Chemicals Group and Management Committee, 1998 und 1999) in der Unterstützung von AEGL-Werten.

Ähnliche Werte

  • SBW - Störfallbeurteilungswerte

    Anfang der 90er Jahre hat der deutsche Verband der Chemischen Industrie (VCI) ein - bislang unveröffentlichtes - “Konzept zur Festlegung von Störfallbeurteilungswerten“ vorgelegt. Diese Werte beziehen sich auf eine Einwirkzeit von 60 Minuten. Das Gefährdungsniveau sieht vor, dass in der Regel das Leben von Menschen nicht bedroht ist oder keine schwerwiegenden, insbesondere irreversiblen Gesundheitsschäden resultieren. Im Vergleich mit ERPG liegen die Störfallbeurteilungswerte in der Regel zwischen ERPG-2 und ERPG-3. Anwendungsbereiche der Störfallbeurteilungswerte sind die Auslegung von Betriebsanlagen, zu treffende störfallbegrenzende Maßnahmen sowie als Hilfsgröße bei Katastrophenschutzmaßnahmen. Es wird darauf hingewiesen, dass die Werte, von denen zur Zeit 37 vorliegen, vor dem Hintergrund der aktuellen Datenlage und der Fortentwicklungen in der Methodik einer Überprüfung zu unterziehen wären.

    Verband der chemischen Industrie: Konzept zur Festlegung von Störfallbeurteilungswerten. Unveröffentlichtes Manuskript, ca. 1990.

  • EEI - Emergency Exposure Indices

    Mit seinem „Technical Report No. 43“ („Emergency Exposure Indices for Industrial Chemicals“ hat das „European Centre for Ecotoxicology and Toxicology of Chemicals“ (ECETOC) der europäischen Chemischen Industrie einen Beitrag zur Ableitung von Störfallgrenzwerten geliefert. Außer zwei im Rahmen der Methodik behandelten Beispielstoffen wurden bislang allerdings keine weiteren Werte abgeleitet. Mit Ausnahme einiger Abweichungen in der Definition der Schweregrade (EEI-3 umfasst nicht nur tödliche oder lebensbedrohliche Situationen, sondern soll auch bleibende Schädigungen (“permanent incapacity“) ausschließen, ähnelt das Vorgehen dem AEGL-Konzept. Im Gegensatz zur letzterer bleibt die EEI-Methodik hinsichtlich des Umgangs mit Sicherheitsfaktoren unklarer. Wiederum in Analogie zu den AEGL-Werten könnten nach der EEI-Methodik jedoch auch Werte für unterschiedliche Zeithorizonte (z.B. 15, 30 und 60 Minuten) benannt werden.

  • ETW - Einsatztoleranzwerte

    Die Ableitung dieser Werte erfolgte 1995/1996 im Auftrag des Bundesamtes für Zivilschutz an der TU München. Diese Werte sind auch in der Entwurfsfassung der vfdb-Richtlinie 10/01 vom Juli 2005 (vfdb: Vereinigung zur Förderung des Deutschen Brandschutzes e.V.) zur Bewertung von Schadstoffkonzentrationen im Feuerwehreinsatz enthalten. Die Einsatztoleranzwerte wurden nur für einen Schweregrad und einen Zeithorizont (4 Stunden) abgeleitet. Das Gefährdungsniveau wird definiert als ”keine gesundheitliche Gefährdung ungeschützter Einsatzkräfte und der Bevölkerung”. In der neuesten Fassung werden AEGL-2-Werte übernommen und es liegen zur Zeit insgesamt 45 Werte vor.

  • TEEL - Temporary Emergeny Exposure Limits

    Da offensichtlich trotz der relativ großen Anzahl von ERPG-Werten Bedarf an weiteren Werten bestand, wurde zusätzlich vom US-amerikanischen „Department of Energy” die Ableitung von TEEL-Werten in Auftrag gegeben. In einem relativ ungenauen Verfahren werden hierbei andere Richt- und Grenzwerte (z.B. STEL und IDLH, aber auch Arbeitsplatzgrenzwerte für chronische Exposition) als Anhaltspunkte genutzt, um TEEL-Werte abzuleiten. So wird z.B. das fünffache des US-Arbeitsplatzgrenzwertes (TLV-TWA x 5) als vorläufiger TEEL-2 verwendet und TLV-TWA x 3 als TEEL-1. Teilweise werden auch die Ergebnisse toxikologischer Studien berücksichtigt, wobei diese allerdings ohne kritische Würdigung aus der Sekundärliteratur übernommen werden. Differenzierungen für unterschiedliche Zeiträume werden nicht vorgenommen. TEEL-Werte, von denen bisher etwa 680 vorliegen, gelten übergangsweise, bis bessere Bewertungen vorliegen.

  • IDLH - Immediately Dangerous to Life and Health

    Die US-amerikanische Arbeitsschutzbehörde (OSHA) und das Arbeitsschutzinstitut (NIOSH) entwickelten Mitte der siebziger Jahre ein Konzept von Störfallreferenzwerten. Hierbei soll auch bei Ausfall des Atemschutzgerätes eine Flucht möglich sein und Schadstoffbelastungen von bis zu 30 Minuten sollen nicht zu lebensbedrohlichen oder sonstigen schweren Gesundheitseffekten führen. Entsprechenden IDLH-Werte wurden ursprünglich für 336 Stoffe berechnet. Unter Berücksichtigung externer Kritik wurden die Werte überarbeitet, woraus 1994 eine korrigierte Liste mit 85 IDLH-Werten resultierte.
    Problembereiche sind u.a., dass die Definition des Schutzziels nur ungenaue Kennzeichnungen des Schweregrads von tolerierten Effekten umfasst. Dies führt dazu, dass manche IDLH-Werte mit AEGL-2 vergleichbar sind, während andere eher AEGL-3-Werten entsprächen. Zudem ist das Vorgehen bei der Zeitextrapolation auf 30 Minuten vergleichsweise schematisch. Als dritter Punkt ist zu beachten, dass eine Auswertung der Daten nur auf der Ebene von Sekundärliteratur erfolgt und die Begründungen der Werte entsprechend ungenau sind.

  • ARE - Acute Reference Exposure

    Die US-amerikanischen Umweltbehörde EPA hat 1998 einen Entwurf für die Methodik zur Ableitung von akuten Referenzwerten vorgelegt. Primäres Ziel ist hierbei die Ableitung einer Konzentration oder Dosis ohne nachteilige Effekte. Anhand der vorgeschlagenen Methodik ist aber auch eine Abstufung von Effekt-Konzentrationen mit unterschiedlichem Schweregrad möglich. Diese werden als „Adverse Effect Level“ (AEL1 und AEL2) und „Franc effect level“ (FEL) bezeichnet. Die Kriterien dieser Werte stimmen nicht direkt mit denen der entsprechenden AEGL-Werte überein. So wird etwa die Frage der „Fähigkeit zur Flucht“ im AEL2 nicht berücksichtigt. Der FEL hingegen dürfte oftmals niedriger sein als die Schwelle zu lebensbedrohlichen oder tödlichen Effekten. Die vorgeschlagene ARE-Methodik wendet moderne mathematische Extrapolationstechniken (z.B. „Benchmark-Methode“ und „Kategorische Regression“) an, was jedoch eine gute Datenlage erfordert, die bei vielen Stoffen nicht gegeben ist. Ebenso wie in der AEGL-Methodik und unter gleichen Annahmen ist die Ableitung für verschiedene Zeiträume vorgesehen. ARE-Werte wurden bislang nur für einige wenige Beispielsstoffe berechnet. Die EPA ist im AEGL-Komitee vertreten.

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